Anton Schulte

Anton Schulte, einer der bekanntesten Evangelisten Deutschlands und Gründer von NEUES LEBEN, ist tot. Doch nicht nur in seinem Vermächtnis lebt er weiter.

Visionär. Mann der ersten Stunde. Urgestein der Evangelisation. Kleiner Dicker. Deutschlands Billy Graham. Gottes Sonnenschein. Die Liste der Spitznamen für Anton Schulte ist lang. Ende Dezember 2010 verstarb der Gründer des Missionswerkes NEUES LEBEN im Alter von 85 Jahren. Der Schlüssel? Wenn es um die wichtigste Eigenschaft ging, die ein Evangelist besitzen muss, musste Anton Schulte nicht lange überlegen. „Liebe zu Gott und Liebe zu den Menschen“, fasste er dann schlicht zusammen, und fügte hinzu: „Und Humor. Zumindest hilft es sehr, wenn man ihn hat.“ Einer wie er musste es wissen. Bereits als junger Mann hatte der einstige Müllergeselle aus Bottrop die Leidenschaft, anderen Menschen den Glauben nahezubringen. Kaum einer hat seit den frühen Nachkriegsjahren bis weit in die 1980er vor mehr Menschen im deutschsprachigen Raum über Gott gesprochen als er: auf Marktplätzen und in Kongresshallen, in Radio und Fernsehen, durch Zeitschriften und Bücher.

Der Gottes-Mann

Eine Portion himmlischen Humor konnte Anton Schulte bereits zu Beginn seines Lebens als Christ gebrauchen. Auswandern wollte er, weg aus Europa, weg von Krieg und Armut. Neuseeland lockte. „Doch dann sprach Gott.“ Es war ein verregneter Mittwochabend im November 1948, als er, ein deutscher Kriegsgefangener, auf einer Farm in Schottland in seinem Zimmer saß und alle eigenen Lebenspläne ad acta legte. „Herr, ich möchte für dich da sein und dahin gehen, wohin du mich sendest“, hatte er gebetet. Gottes „Antwort“ kam prompt. „Danach begann ich, für meine Angehörigen zu beten. Und mit einem Mal betete ich für die Menschen meiner Heimat und alle anderen, die die deutsche Sprache sprechen. Da wusste ich: Ich muss nach Deutschland gehen und den Menschen sagen, was Jesus mir bedeutet. Das ist Gottes Plan für mein Leben.“

Gott. Nicht immer hatte der im Leben des jungen Mannes etwas zu sagen gehabt. Erst wenige Wochen zuvor war er schottischen Christen begegnet, hatte angefangen, mit ihnen über den Sinn des Lebens zu diskutieren, hatte Gott angezweifelt und bekämpft. Doch als dann in einer Predigt der Satz „Du brauchst Jesus!“ fiel, da wusste der damals 23-Jährige, dass Gott „mich, mich und keinen anderen meinte“. Jahrelang war er, obwohl „von lieben Eltern“ katholisch erzogen, Atheist gewesen. Und jetzt vertraute er stammelnd mit einem simplen „Yes“ Jesus Christus sein Leben an.

Der Medien-Mann

Seit diesem Tag in Schottland bis zuletzt, trieb den Evangelisten nur ein Gedanke: Wie man den Deutschen nur immer wieder sagen könne, wer Jesus ist, was er für sie getan hat und wie wertvoll seine Botschaft für sie ist. „Was mich bewegt und wo ich wirklich wach liege in der Nacht, wenn ich daran denke, ist dieses Land. Ich leide an Deutschland. Ich leide an Deutschland, weil es auf der einen Seite so unwissend und auf der anderen Seite so falsch informiert ist, was das wirkliche Christentum, was das Evangelium betrifft“, sagte er in einem Interview zum 50-jährigen Jubiläum des von ihm gegründeten Magazins NEUES LEBEN. Aber er sah auch Aufbrüche und offene Türen, die es noch nicht gab, als er 1949 in seine Heimat zurückkehrte: Besonders freuten ihn die wieder zunehmende Zahl christusgläubiger Professoren, das interessierte Fragen nach Gott, vor allem unter Jugendlichen, die neue Hinwendung der Volkskirchen zu Mission und Gemeindebau, und nicht zuletzt glaubwürdige Christen, die „keine Angst vor einer säkularisierten Gesellschaft haben“ und zu kreativen Aktionen und neuen Formen greifen, um Menschen mit dem Evangelium zu erreichen.

Wenn es um neue Wege ging, war er selbst immer vorn dabei. Zu weit vorn für manchen. Er war gerade frisch verheiratet und hatte sich mit seiner Frau Hermine im Westerwald niedergelassen, als ihm Anfang der 50er-Jahre eine Idee kam: Nahezu in jedem deutschem Haushalt stand ein Radio. Warum also dieses Medium nicht zusätzlich zu Evangelisationen in Zelten und auf Marktplätzen für das Evangelium nutzen? Zunächst stieß er auf verschlossene Türen, auch wenn nach einigen Anlaufschwierigkeiten am 4. Dezember 1953 über Radio Monte Carlo seine erste Predigt über den Äther gegangen war. Keine christliche Organisation wollte ihn in seinen Ambitionen unterstützen. „Einen so bunten Vogel mit so vielen Ideen hat man nicht so gerne.“ Selbst „Jugend für Christus“, wo er nach seiner theologischen Ausbildung auf der Bibelschule Wiedenest eine Anstellung gefunden hatte, sah die eigenen Aufgabenschwerpunkte woanders. Doch weil die Sendungen gut ankamen und Radio Monte Carlo die Zusammenarbeit mit ihm fortsetzen wollte, machte der „westfälische Dickkopf“ auf eigene Faust weiter. Mit Erfolg: „Erst erhielten wir elf, dann 16, später 700 Briefe wöchentlich.“

Um der Radioarbeit den nötigen rechtlichen Rahmen zu geben, gründete Anton Schulte 1954 mit sechs weiteren Personen den „Verein evangelistisches Jugendwerk“, der später in „Neues Leben“ umbenannt wurde. „Evangelisation unter Verwendung aller technischen Möglichkeiten“ – das damals gewählte Motto ist bis heute die Maxime des Vereins. Im Laufe der Jahre entstand so neben Radioarbeit und der Evangelisationsarbeit in Zelten und Kongresshallen auch eine ausgedehnte Schriftenmission. Traktate wurden gedruckt und verteilt, ab 1956 wurde die Zeitschrift „Neues Leben“ herausgegeben. Schallplatten mit Glaubensgrundkursen wurden an alle verteilt, die sich bei vorangegangenen Evangelisationen für ein Leben mit Gott entschieden hatten.

Die Telefonkurzpredigt, die in verschiedenen Städten installiert war, hörten sich innerhalb weniger Jahre zwei Millionen Menschen an. Und 1986 fiel schließlich der Startschuss für die Neues Leben- Fernseharbeit, deren heutige Magazin-Sendung „Hautnah“ wöchentlich auf Bibel TV ausgestrahlt wird. Doch bei aller Offenheit für technische Möglichkeiten war Technik für Anton Schulte nie die Hauptsache. „Das Entscheidende ist immer die geistliche Vollmacht des einzelnen Mitarbeiters.“ Er selbst verbrachte täglich viel Zeit im Gebet und mit dem Lesen der Bibel. „Diese innige Gemeinschaft mit Gott ist die größte Stärke in meinem Leben gewesen.“

„Wer die Form nicht ändern will, verliert den Inhalt.“

Der Team-Mann

Mitarbeiter hatte Anton Schulte über die letzten nahezu sechs Jahrzehnte viele. Heute beschäftigen die einzelnen Werke von NEUES LEBEN insgesamt fast 100 Mitarbeiter, vom Evangelisten bis zur Bürokraft, hinzu kommen zahlreiche ehrenamtliche Helfer. Leicht war es nicht immer, die Verantwortung für so viele Menschen zu tragen. Da blieb manche Nacht ohne Schlaf. Besonders wenn es schicksalhafte Entscheidungen zu treffen gab, „die mir selbst sehr wehtaten“. Er sei von viel „zarterer Haut“, als die meisten Menschen vermuten würden, sagte er rückblickend.

„Bei NEUES LEBEN kam immer erst der Auftrag und dann die Organisation“, erklärte der Evangelist. Deshalb fanden neben ihm auch viele andere kreative Köpfe Raum für ihre Ideen. Die Kindermissionarin Ruth Frey zum Beispiel baute eine große Kinderarbeit auf. Der Pastor und Motorradprofi Helmfried Riecker gründete unter dem Dach von Neues Leben die sportmissionarische Arbeit „SRS – Sportler ruft Sportler“. Herbert Müller, damals Geschäftsführer von Neues Leben, begann in den Siebzigern mit dem „Urlaub unter Gottes Wort“, einer Arbeit, die später „Neues Leben Reisen“ verantwortete. Weitere eigenständige Vereine entstanden in Österreich, der Schweiz, Kanada, Südamerika und Indonesien. Die Selbstverwaltung einzelner Arbeitsbereiche war immer schon Schultes erklärtes Ziel. Denn „so können wir unserem Auftrag am besten nachkommen“. Als 1985 auch noch ein Theologisches Seminar unter dem Dach von Neues Leben eröffnet werden konnte, erfüllte sich ein weiterer großer Traum des Evangelisten. Schon bei der Einweihung des Neues Leben Zentrums 1973 hatte ihn der Gedanke an ein bibeltreues Studienzentrum bewegt.

Nicht von ungefähr, denn wenn auch sein eigener Schwerpunkt die Verkündigung des Evangeliums war, hielt Anton Schulte vor allem die Schulung von Christen für wichtig, wenn es um die Durchdringung der Gesellschaft mit dem Evangelium geht: „Ich habe immer geglaubt und glaube es auch heute noch, dass Deutschland eine Erweckung bekommt“, sagte er 2006 im Gespräch mit unserer Redaktion. „Darum ist die zurzeit wichtigste Aufgabe die theologisch-geistliche Ausbildung von Evangelisten und Pastoren, aber auch von Laien, damit die kommende Erweckung nicht sofort durch unbiblische, gesetzliche Praktiken oder geistliche X-Beliebigkeit Schaden nimmt.“

 

Schweres und Schönes

Gab es bei so viel Einsatz nicht auch manche Fehlentscheidung? „Sicher, die gab es auch. Wer viel bewegt hat, hat dabei auch so manchen ungewollten Fehler gemacht“, räumte Schulte freimütig ein. „Wäre da nicht die Gnade Gottes, müsste auch ich verzweifeln.“

Wie ist er mit Kritik umgegangen? Wenn es ernsthafte Kritik gab, habe er die Fehler zuerst bei sich gesucht und seine Motive durchforscht. Er sei „ein bußbereiter Mensch“. Doch manche Kritik sei derart lächerlich gewesen, dass er häufig einfach „mitgelacht“ habe. Oft war Schulte „den Frömmlern nicht fromm genug“ und „den liberalen Theologen als Evangelikaler zu bibeltreu“. Doch der Evangelist ging seinen Weg. „Wer den Kopf so weit zum Fenster raus hält wie ich, muss damit rechnen, dass die Leute tratschen.“

Sehr wehgetan habe ihm seinerzeit allerdings der Stil einer Auseinandersetzung, als es Mitte der 90er zu einer – zum Teil hausgemachten – Finanzkrise bei der „Neues Leben Reisen GmbH“ kam. „In so einer Situation demütig zu sein und die eigenen Fehler zuzugeben, ist das eine. Sich von Verleumdungen und Feindseligkeiten nicht erschrecken zu lassen, geistlich damit umzugehen und nicht mit gleicher Münze heimzuzahlen, ist das andere.“ Den Konflikt jener Zeit wertete er als eine der „erschütterndsten geistlichen Erfahrungen meines Lebens“.

Lieber als an Krisen erinnerte sich auch Anton Schulte an die schönen Momente seines Lebens. Und von denen gab es viele. Wenn seine Worte über Jesus Christus und sein Versöhnungswerk den Weg in die Herzen seiner Zuhörer fanden und für diese ein neues Leben mit Gott begann, war er glücklich. Dass dazu auch seine Geschwister und vor allem seine Kinder und Enkelkinder zählen, erfüllte ihn mit großer Dankbarkeit. Er nannte es „Gottes großes Geschenk an einen Evangelisten, der seine Kinder zum Teil durchs Telefon erzogen hat“. 

Evangelist im Unruhestand

Die letzten Jahre lebte Anton Schulte mit seiner zweiten Frau Heidi abwechselnd im westfälischen Balve und auf der Kanaren-Insel Lanzarote, deren mildes Klima dem schwer an Asthma erkrankten Evangelisten gesundheitliche Linderung verschaffte. Dass er mit 67 Jahren noch einmal heiraten würde, daran wollte er nach dem Tod von Hermine nicht einmal denken. 36 Jahre lang waren sie glücklich gewesen und die Trauer und Einsamkeit der folgenden Jahre brachten ihn oft an seine Grenzen. Doch im Rückblick sah er, wie kostbar auch diese Erfahrung trotz des tiefen Schmerzes war. Besonders von seiner Familie habe er damals derart viel Liebe erfahren, dass es „Unrecht wäre, wenn ich mich über diese Zeit beschweren würde“. Nach einigen Jahren Witwerdasein heiratete er im Dezember 1991 die ebenfalls verwitwete Heidi Kühnel. Auf der Hochzeitsanzeige stand: „Eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.“

Der Kanzel blieb er bis zuletzt treu, wann immer seine häufig angeschlagene Gesundheit es zuließ. Vor allem predigte er in seiner Gemeinde in Balve, aber auch auf Lanzarote oder in seiner alten Heimatgemeinde in Wölmersen. Daneben gehörte seine Kraft zuletzt vor allem der Arbeit von Neues Leben Indonesien, wo das Werk eine Schule mit 300 Schülern unterhält.

Aus der verantwortlichen Leitung des Gesamtwerkes hatte er sich bereits Anfang der 1990er Jahre zurückgezogen. Heute leitet ein dreiköpfiger Vorstand die Geschäfte, zu dem auch seine beiden Enkel Steffen und René gehören. Was den inhaltlichen Kurs betrifft, will man sich auch zukünftig an den Überzeugungen des Gründers orientieren: „Wer die Form nicht ändern will, verliert den Inhalt“, war dessen Credo gewesen. „Jede Arbeit, die Gott dienen will, muss sich von Zeit zu Zeit hinterfragen, Überholtes entrümpeln und neues Land einnehmen. Sonst wird sie brüchig, alt, morsch und marode.“ Vor allen Überlegungen stand für Anton Schulte aber die unbedingte Treue zu Gott: „Gott allein die Ehre! – Wenn das die Einstellung ist, kann der Herr ein Werk auch weiterhin führen.“

Anton Schulte hat viel bewegt. Und ist trotzdem auf dem Boden geblieben. Als er vor einigen Jahren einmal gefragt wurde, was die Menschen nach seinem Tod einmal über ihn sagen sollen, antwortete er bescheiden: „Ich weiß nicht. Vielleicht das: Er war nur ein kleiner Dicker, aber er hatte einen großen Gott.“