Lasst mich doch bitte in Frieden

Ratgeber

Was ist davon zu halten, wenn uns einer so kommt? Wie damit umgehen, darauf reagieren? Was steckt hinter dem offensichtlichen Rückzug? Oder ist es am Ende gar keiner? Angelika Marsch hat sich diesen Fragen genähert und weiß Rat.

Meist klingt es gesprochen bedeutend genervter als sich der Titel – vor allem mit dem Weichmacher bitte – liest. Da wird der Sohn wiederholt erinnert, sein Zimmer aufzuräumen. Schließlich schlurft er mit übergroßem Sweatshirt und ins Gesicht gezogener Kapuze in sein Reich und lässt ein „Lasst mich in Ruhe!“ zurück. Oder die Tochter wird ermahnt, sich nicht übermäßig zu schminken. Sie steht auf, schreit „Mann, ihr könnt mich alle mal!“, knallt die Tür zu und wirft sich auf ihr Bett. Nicht besser geht es den Erwachsenen, wenn sie nach einem arbeitsreichen Tag nach Hause kommen und sofort mit allem konfrontiert werden, was sich in der Familie abspielt. Wer seufzt da nicht innerlich und äußert sich mehr oder weniger wortstark „Lasst mich doch in Frieden!“. Ich denke, wir kennen alle solche Szenen, in denen deutlich wird: Wer sich so äußert, der will sich in diesem Moment nicht den Anforderungen durch andere stellen. Will in Ruhe gelassen werden und sucht nach einer Möglichkeit sich zurückzuziehen. 
    
Der Wunsch nach Rückzug kommt auch in solchen Momenten auf, in denen jemand in einer starken Auseinandersetzung steckt und merkt, die eigenen Argumente greifen nicht mehr oder die anderen haben sich verbündet. Da kommt schnell der Gedanke hoch „Mensch, lasst mich doch in Frieden!“. In einem solchen Szenario kann der Satz ein Ausdruck von innerer Hilflosigkeit sein und bereits einen Anflug von Verzweiflung widerspiegeln. 
Übersetzt man den Wunsch, in Frieden gelassen zu werden, ins umgangssprachliche Englisch, wird schnell deutlich, was dahinter stecken könnte. „Leave me alone!“, „Get off my back!“, „ Stop hassling me!“, „Back off!“. Hier merkt man, dass sich jemand in seinem Lebensraum bedrängt und unter Druck gesetzt fühlt. Ob das Gegenüber das Recht dazu hat, spielt in diesem Moment zunächst keine Rolle. Wichtig ist, dass der Sprecher die Situation als eine Grenzüberschreitung empfindet und den starken Wunsch nach mehr Freiraum äußert. Natürlich muss in einer Konfrontation auch darüber gesprochen werden, ob der Rückzugswunsch nicht eine oft und gern gewählte Ausflucht vor einer notwendigen Auseinandersetzung ist! 

Liest man nun den Satz „Lasst mich doch bitte in Frieden“ noch einmal mit der Betonung auf dem Wörtchen bitte, so könnte es auch eine Äußerung einer Person sein, die zu den hochsensiblen Menschen gehört. Hochsensible nehmen ihre Umwelt besonders intensiv wahr: Sprache, Mimik, Gerüche, Farben, Temperatur, Musik, die gesamte Atmosphäre, Schönes und Trauriges, zwischenmenschliche Beziehungsfelder, vor allem Spannungen, die in der Luft liegen, usw. Es entsteht in ihnen eine Fülle von Eindrücken, die sie nicht so schnell bewältigen können. So ist das „lasst mich“ zunächst ein genereller Appell an das Umfeld im Sinne von „Ich brauche Raum und Zeit zum Verarbeiten von all den Eindrücken, die in mir sind“. Das zusätzliche „bitte“ deutet daraufhin, dass die sensitive Person schon fast die Erlaubnis braucht, sich zurückziehen zu dürfen, weil sie oft zu viel Verantwortung für ihr Umfeld übernimmt und sich nicht so gut abgrenzen kann. Ihr tut es gut, die Antennen einzufahren und sich eine virtuelle Kapuze über den Kopf zu ziehen. Erst in der ruhigen Verarbeitung bekommen Menschen und Dinge ihren Platz. 

Persönlich kenne ich diesen anstrengenden Verdauungsprozess von übermäßig vielen und intensiven Eindrücken nur zu gut. Es geht nicht ohne bewussten Rückzug und das offene Gespräch mit Gott, der mich bis ins Innerste versteht und mir sortieren hilft, so dass wieder Frieden im Herzen wohnen kann. Schön, wenn andere dafür Verständnis haben und mir diese Seelen-Oase zugestehen.

Was steckt also hinter dem „Lasst mich in Frieden!“? Ist es die Flucht vor den Ansprüchen anderer? Wenn ja, ist sie berechtigt? Oder ist es eher die Angst vor einer Auseinandersetzung? Und wenn ja, wäre es nicht besser, mich ihr zu stellen? Oder ist es die Bitte eines Menschen um Freiraum, in dem wieder Frieden entstehen kann? Je länger ich drüber nachdenke, eins ist klar: Was immer es ist, wenn kein echter Friede entsteht, ist etwas faul.

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