04. September 2018 | Dr. Steffen Schulte

Was passiert überhaupt, wenn wir beten?

Diese Frage mag sich seltsam anhören, aber ich habe sie von Christen und Nicht-Christen gehört. Und ich habe Sie mir auch selber gestellt.

Wenn Gott doch souverän ist, dann geschieht doch sowieso alles so wie er das vorherbestimmt hat. Wie kann unser Gebet da noch einen Beitrag leisten? Oder anders gefragt: Welche Funktion hat unser Gebet? Außerdem ist Gott doch gut, warum sollen wir dann noch unsere Bitten vor ihm bringen? Er soll doch einfach machen. Bekennen, Danken und Lobpreisen ergibt für uns Sinn, sie sind alles Reaktionen auf Gottes Handeln. Aber Fürbitte wirft einige Fragen auf. 
Manche beten, als müssten wir mit unsren Gebeten versuchen einen trägen und gleichgültigen Gott zu motivieren. So als müssten wir Gott durch unsere Gebete dazu motivieren Gutes zu tun oder ihn darüber informieren, wie schlimm es hier auf der Erde zugeht.  Aber das passt gar nicht zu der Art und Weise wie sich Gott in der Bibel offenbart. Gott ist nicht fern und auch nicht apathisch gegenüber unserer Not. 
Natürlich kann man sich damit begnügen, dass Gott uns in der Bibel einlädt und dazu auffordert unsere Bitten vor ihm zu bringen, aber oft hindern uns solche Anfragen daran, uns ganz dem Gebet hinzugeben. Es bleibt ein fader Nachgeschmack der Unsicherheit. 
Manche argumentieren, dass das Fürbittgebet nur uns verändert, jedoch nicht die Situation oder die Person, für die wir beten. Sören Kierkegaard hat z.B. geschrieben, dass Gebet nicht Gott verändert, sondern uns. Dies ist gewiss eine Erfahrung, welche wir oft durch die Fürbitte erleben. Beim Beten verändert sich unsere Haltung. Dies ist auch wichtig. Nicht alle unsere Gebetsanliegen sind gut und nicht immer beten wir aus guten Motiven heraus. Im Gebet ordnen wir unseren Willen Gottes Willen unter. Wir lernen mit Gott und nicht gegen ihn zu beten. Wir bitten, dass sein Reich komme und nicht unseres. Wir bitten, dass sein Wille und nicht unserer geschehe. Dies sehen wir z.B. bei Jesus im Garten Gethsemane. Er bittet, dass Gott den Kelch an ihm vorübergehen lassen möge, ergänzt diese Bitte aber sofort mit den Worten „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe“. Wir können daher festhalten, dass ein Effekt der Fürbitte die Veränderung unserer eignen Haltung ist. 
Weiterhin kann und sollte die Fürbitte auch dazu führen, dass wir das tun, was wir tun können. Durch die Fürbitte für andere entwickeln wir oft auch Mitgefühl und Anteilnahme für das Leid oder die Probleme anderer. Dies kann auch dazu führen, dass wir uns persönlich stärker und bewusster einsetzen. Gebet kann auch unsere Einstellung verändern und uns zu neuem Handeln ermutigen. 
Es wäre einfach, hier Schluss zu machen, aber die Bibel lädt uns dazu ein mehr vom Gebet zu erwarten. Jesus selbst sagt: „Bittet, so wird euch gegeben“ und meint damit mehr als nur innere Veränderung beim Beter. Fürbitte wirkt auch außerhalb des Bittenden. Sie hat die Verheißung in unsere Zeit einzugreifen und Unmögliches möglich zu machen. Aber hier entsteht das Problem. Wie wirkt sich unsere Fürbitte auf die Realität aus? Wie kann es sein, dass unsere Gebete die Ereignisse in unserem Raum-Zeit Kontinuum verändern, wenn doch Gott souverän und absolut gut ist? Würde etwas nicht passieren was Gott will, wenn wir nicht darum bitten? Wir nähern uns hier einem Mysterium, welches wir nicht völlig erklären können. Aber das bedeutet nicht, dass es nicht funktionieren würde. Vielleicht beruft Gott solange keine Menschen, bis jemand darum bittet. Vielleicht ist die Lösung aber auch eine ganz andere. Wichtig ist jedenfalls: Etwas beginnt nicht erst dann zu funktionieren, wenn wir es verstehen. Die Schwerkraft begann nicht erst zu wirken als Newton sie entdeckte. 
Fürbitte funktioniert, auch wenn wir nicht wirklich verstehen, wie Gott dabei alles zusammenbringt. Fürbitte hat etwas Unerklärliches. Allerdings können wir mehr darüber sagen, warum wir beten sollen. Und das kann uns wiederum ermutigen und im Gebet bestärken. Fürbitte ist nämlich auch ein Akt des Bekennens. In dem Moment, wo wir in die Fürbitte eintreten, bekennen wir drei Dinge. Als erstes bekennen wir, dass Gott mächtig ist. Er kann uns helfen. Er kann eine hoffnungslose Situation zum Guten wenden. Gott ist stärker als mächtige Menschen, bösartige Strukturen, satanische Mächte, Krankheit und selbst der Tod. Gebet bedarf dieses Glaubens. Aber wir bekennen noch mehr. Wir bekennen, dass Gott uns helfen möchte. Gott ist gut, und seine Absichten mit uns sind auch gut. Gott kann und will uns helfen. Mit dieser Annahme zu beten ist ein Akt des Glaubens. Durch die Fürbitte bekennen wir, dass wir überzeugt sind, dass unser kleines Leben ihm nicht egal ist. Und dass unsere Sorgen ihm wichtig sind. Letztlich bekennen wir durch die Fürbitte, dass wir Gott brauchen. Wir bekennen unsere Abhängigkeit. Wir sind das Kind, das seinen guten Vater um Hilfe bittet. Und wie Kinder, die erwachsenen werden, so erkennen wir manchmal auch, dass es gut war, dass uns unsere Eltern nicht alles gegeben haben, worum wir sie gebeten haben. 
Es fällt uns oft leicht, mit dieser Haltung vor Gott zu treten, wenn wir an unsere Grenzen stoßen. Wenn wir keine Lösung sehen oder wenn wir zu schwach sind. Aber eigentlich sollten wir in ständiger Abhängigkeit vom Vater leben. Genauso lebte es Jesus vor. Er tat alles aus in Abhängigkeit vom Vater. 
In einer wundersamen und unerklärlichen Weise ist es dieses Bekenntnis, das Gott sucht und auf das er entschieden hat zu reagieren. Durch das Gebet nimmt Gott uns mit hinein in sein Wirken. Wir sollen mit ihm uns danach sehnen, dass sein Reich kommt. Dass seine Gerechtigkeit herrscht. Was für ein Privileg und wunderbares Geschenk! Gott hat sich dafür entschieden unsere Gebete wichtig zu machen und ihnen Bedeutung gegeben.