Schon jetzt, aber noch nicht
Klartext
Spiderman, Batman, Wonder-Woman ... ach, wir lieben einfach Helden. Insgeheim träumen wir doch alle davon, eine Superheldin oder der sprichwörtliche Retter in der Not zu sein. Heldengeschichten sprechen unsere tiefste Sehnsucht an, meint Jürgen Schulz: ein Leben in einer heilen Welt! Diese Sehnsucht kommt mit leiser Stimme daher und ist eine Mitgift aus dem Garten Eden.
Alles fängt mit einer unfassbar schönen Idee Gottes an. Gott schafft eine Welt, in der alles aufblühen kann. Er legt einen Garten an, in dem die Menschen alles im Überfluss haben. Hier können sie Gott begegnen. Hier finden sie ein gutes Leben. Es ist der perfekte Ort, um Kinder großzuziehen. Selbst die Arbeit ist erfüllend und sinnstiftend. Denn was kann schöner sein, als mit faszinierenden Mitmenschen gemeinsam die Welt zu bebauen und zu bewahren. Das Leben in diesem Paradies knüpft Gott lediglich an eine Bedingung: Er erwartet Loyalität. Gott gegenüber loyal zu sein heißt im Garten Eden, von diesem einen Baum, dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, nicht zu essen. Doch die Schlange weiß es besser, und überhaupt: Warum sollen die Menschen nicht selbst zu Göttern werden?
Wir sind eben doch keine Helden
Und der Mensch isst. Die Loyalität der Menschen währt nur kurz. Chaos und Tod sind die Folge! Das Alte Testament berichtet schonungslos offen über das menschliche Versagen und die rücksichtslose Rebellion. Mord, Vergewaltigung und Intrigen wiederholen sich. Wer das Alte Testament liest, legt am Ende nicht selten die Bibel verstört zur Seite. Zu lebensnah, zu realistisch ist die Beschreibung. Der Mensch nimmt sich, was er will, wie pervers sein Verhalten auch sein mag. Wir Menschen gehen so schrecklich miteinander um, dass es einem Wunder gleicht, dass wir überhaupt noch existieren. Wir sind keine Helden, aber wir brauchen dringend einen.
Noah scheint so ein Held zu sein. Sein Vater gibt ihm diesen Namen, weil er erwartet, dass er der Menschheit Trost bringen wird (1. Mose 5,29). Zu Beginn sieht alles sehr vielversprechend aus, denn Noah ist anders. In einer Zeit, in der die Schlechtigkeit der Menschen floriert, steht er für das Gute. Gott kann all das Böse irgendwann nicht mehr sehen und will die Menschheit vernichten. Mit einer Ausnahme. Noah. Denn Noah lebte in enger Gemeinschaft mit Gott (1. Mose 6,9). Doch auch diese Geschichte endet tragisch. Ja, Noah und seine Familie überleben die Flut und sind der Neuanfang für das Leben auf Erden. Am Ende bringt aber auch er nicht das gute Leben, sondern Fluch und Tod (1. Mose 9,25–29). Die traurige Wahrheit ist: an irgendeinem Punkt werden wir alle unsere Loyalität einmal brechen. Unsere Selbstverliebtheit zerstört – letztlich auch uns selbst.
Weltweit sind heute besonders solche von Angriffen auf ihren christlichen Glauben betroffen, die das Evangelium nicht nur glauben, sondern auch weitergeben. Interessanterweise wird schon in neutestamentlicher Zeit das Wort „Märtyrer“ von dem griechischen Wort für „Zeuge“ (martys) abgeleitet. Märtyrer ist also der, der sein Zeugnis von Christus festhält und nicht verleugnet – bis zum gewaltsamen Tod gerade wegen dieses Zeugnisses. Als im Jahr 2007 in Malatya in der Osttürkei drei Christen, zwei Türken und ein Deutscher brutal ermordet wurden, geschah das eben gerade, weil sie „Zeugen“ gewesen waren. Necati Aydin, Ugur Yüksel und Tilmann Geske waren aktive Verkündiger der Frohen Botschaft. Von den Aussagen der Mörder selbst vor Gericht wissen wir, dass diese drei Männer auch angesichts von Messern, die auf sie gerichtet wurden, Jesus nicht verleugnet haben.
Sollen wir uns also danach sehnen oder sogar darum bemühen, Blutzeugen für Jesus zu werden? Natürlich nicht! Ich kannte diese Märtyrer in der Türkei persönlich. Necati Aydin war mit der Schwester meiner Frau verheiratet. Er war ein ernsthafter, aber gleichzeitig sehr lebensfroher Mensch von damals gerade 35 Jahren, der sich sicherlich keinen frühen Tod herbeigewünscht hat. Nicht jeder von uns ist zum Märtyrer berufen; aber jeder, der von Herzen Jesus nachfolgen will, ist zum Zeugen berufen – koste es, was es wolle.
„Wir Menschen bleiben Meister darin, uns das Leben zur Hölle zu machen. Wie sollen wir aber leben, wenn wir ständig alles zerstören?“
Das entscheidende Dilemma bleibt
Die Bibel kennt nur einen einzigen Ausweg: Die Loyalität Gottes gegenüber seiner Schöpfung. Obwohl wir Menschen illoyal sind, bleibt Gott loyal. Er verspricht schon Noah, die Menschheit nicht noch einmal zu vernichten, „auch wenn die Gedanken und Taten der Menschen schon von Kindheit an böse sind.“ (1. Mose 9,21) Viel mehr noch. Gott segnet die Menschheit trotz ihrer Schuld. Er verheißt ihnen, dass es Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht auch weiterhin geben wird, solange die Erde besteht. Gott selbst bewahrt also die Schöpfung vor ihrer Zerstörung. Das entscheidende Dilemma löst sich damit aber nicht auf. Wir Menschen bleiben Meister darin, uns das Leben zur Hölle zu machen. Wie sollen wir aber leben, wenn wir ständig alles zerstören? Der Mensch braucht einen Ausweg, den er selbst nicht schaffen kann. Er braucht jemanden, der ihn von dem selbst verschuldeten Elend und Leid erlöst.
Und weil Gott loyal ist, schreibt er seine wunderschöne Geschichte der Erlösung. Er beruft Abram und verheißt, durch ihn alle Menschen auf Erden zu segnen (1. Mose 12,1–3). Gott kündigt an, dass er durch Abram und die nachfolgenden Generationen das Böse überwinden und ein gutes Leben schaffen wird. Weltweit werden Menschen aufblühen, weil Gott ihnen mit Wohlwollen begegnet. Aus Abram wir Abraham, und über Isaak und Jakob, das Volk Israel und David, erreichen wir den letzten Propheten des Alten Testaments: Maleachi. Von 1. Mose bis Maleachi entfaltet Gott seine Heldengeschichte. Er offenbart seinen Plan zur Erlösung seiner Schöpfung. Doch während Gott um seine Idee wirbt, distanzieren sich die Menschen immer weiter von ihm. Sie versuchen, aus eigener Kraft ein gutes Leben aufzubauen. Und sie scheitern. Jedes Mal. Auch der Prophet Maleachi durchleidet die Selbstverliebtheit der Menschen. Das Alte Testament endet nicht mit einem Happy End. Am Ende wird nicht alles gut. Es braucht eine Fortsetzung.
„Loyalität kann nur erwidert werden, alles andere ist respektlos.“
Wir leben außerhalb des Gartens
Heute kennen wir die Fortsetzung. Gott ist seiner Schöpfung gegenüber loyal geblieben. Wir haben von einem Superhelden gehört und wissen, wer der Erlöser ist: Jesus Christus. Wir glauben an ihn und tragen seinen Namen: Wir sind Christinnen und Christen.
Das Dilemma spüren wir aber immer noch. Unsere Loyalität ist umkämpft. Und ein Dankeschön allein ist nicht die passende Antwort auf Loyalität. Loyalität kann nur erwidert werden, alles andere ist respektlos. Wie können wir als Menschen aber Loyalität erwidern, wenn die Menschheitsgeschichte zeigt, wie böse wir sind? Die gute Nachricht ist, dass Gott durch Jesus Christus einen Neuanfang schafft. Gott vergibt uns und macht uns neu (2. Korinther 5,17). Durch seinen Geist verändert er uns grundlegend (vgl. Hesekiel 37). Gott selbst befähigt uns zu einem loyalen Leben. Dabei bleibt die Spannung des „Schon jetzt, aber noch nicht“, wie es in der Theologie genannt wird, bestehen. Schon jetzt erleben wir, wie Gott selbst eine tiefgreifende und grundsätzliche Veränderung schafft. Aber noch sind nicht alle Umstände des Lebens paradiesisch. Wir leben eben außerhalb des Gartens. Hier trifft die Wirklichkeit des Glaubens auf die Wirklichkeit des Unglaubens. Die entscheidende Frage ist: Glauben wir Gott und sind ihm gegenüber loyal, oder hören wir auf die anderen Stimmen um uns herum? Und wem gegenüber sind wir loyal?
Diese Entscheidung müssen wir täglich treffen. Wer sich nach dem Paradies sehnt, kann aber nur eine Antwort geben. Auch außerhalb des Gartens bleibt das Herzstück eines guten Lebens das, was es schon im Garten Eden war: eine loyale, enge Beziehung mit dem Schöpfer.
Jürgen Schulz, verheiratet mit Lydia und Vater von vier Kindern, ist Pastor einer Gemeindegründung (paderkirche. de) und Gastdozent am TSR, Doktorand im AT und im Podcast duolog.de mit Karl im Gespräch über Glaube und Gesellschaft.
Bestelle kostenfrei die Printausgabe!
Bestelle die aktuelle Ausgabe und erhalte 4x/Jahr das Magazin NEUES LEBEN. Randvoll mit gutem, christlichem Rat für den Alltag, verständlich und anwendbar.
Seite teilen: