Eine Hand wäscht die andere

Kolumne

Alles nicht so einfach, meint Steve Volke, wenn es darum geht, saubere Hände zu behalten. Und es wird nicht einfacher, wenn mit zweierlei Maß gemessen wird. Wie er darauf kommt und was er damit meint? Lesen Sie selbst.

„Warum kommt bei der Entwicklungszusammenarbeit mit den ärmsten Ländern eigentlich immer so viel Geld abhanden? Können die nur Korruption? Also, man weiß ja nie, ob überhaupt etwas und wenn ja, wie viel, dort vor Ort am Ende wirklich ankommt.“ Nur Ausreden, die uns davor schützen sollen, den Ärmsten etwas zu spenden? Oder wirklich ernstzunehmende Vorwürfe?

Also eins ist schon mal klar: Deutschland ist nicht an der Spitze der Länder, in denen die wenigste Korruption geschieht. Aber mit 80 Punkten immerhin auf Platz 10 von 180 Ländern, hinter Dänemark, Neuseeland und Finnland. Die korruptesten Länder der Welt sind Somalia, Syrien und der Südsudan. Insgesamt stagniert das Korruptionsniveau weltweit – der Durchschnittswert im letzten Jahr liegt bei nur 43 Punkten. So die letzten Zahlen von Transparency International, einer Vereinigung, die sich mit der weltweiten Korruption beschäftigt. Vor allem die Regionen Osteuropa, Zentralasien, der Mittlere Osten und Afrika schneiden bei der Korruptionsbewertung unterdurchschnittlich ab.

Gehören wir zu „den Guten“?

Dabei geht es nur um die staatliche und behördliche Korruption, nicht um die private. Denn dafür haben wir auch in Deutschland unsere Sprichwörter: „Eine Hand wäscht die andere“ oder „Geben und Nehmen gehören zusammen“ oder auch „Wie du mir, so ich dir“. Sind Sie auch schon mal von Handwerkern gefragt worden, ob Sie es „etwas billiger“ haben wollen? Und das bedeutet dann: ohne Rechnung und ohne Mehrwertsteuer. Das ist kein freundliches Entgegenkommen des Handwerkers, sondern faktisch Betrug. Wenn es dann noch mit persönlicher Vorteilsnahme einhergeht, ist es Korruption. Integrität ist etwas anderes. Integer sein, können wir zum einen damit erklären, dass jemand sagt, was er tut und tut, was er sagt. Das heißt, er ist authentisch, verlässlich und vertrauenswürdig in seinem Handeln. Das ist aber nur die eine Seite. Integer zu sein, bedeutet auch, sich an Gesetze zu halten. Loyalität dagegen ist etwas anderes.

Und schon sind wir beim größten Problem, wenn es darum geht, andere Länder und Sitten zu beurteilen. In Afrika zum Beispiel sind die Verwandtschaftsverbundenheit und die damit einhergehenden Verpflichtungen so groß, dass Menschen zu hundert Prozent loyal handeln können, dabei aber komplett korrupt sind. Von Integrität fehlt auch jede Spur.

Die Zwänge der Menschen

Zum Beispiel, der eigenen Verwandtschaft verpflichtet zu sein, und zwar in einem Maße, das wir Westeuropäer überhaupt nicht verstehen können, führt viele Menschen in diesen Ländern in ernsthafte Konflikte. Loyalität steht auf einmal gegen Integrität. Die Verbundenheit mit den einen gegen die Ehrlichkeit gegenüber den anderen. Für manche ist dieser Konflikt nicht auflösbar.

Wenn wir – zum Beispiel in unserer Beurteilung von Entwicklungszusammenarbeit und -hilfe – diese Konflikte nicht verstehen lernen, werden wir immer wieder an unsere Grenzen stoßen.

„Wie, Volke. Geht´s noch? Du arbeitest bei einem Hilfswerk und redest der Korruption hier das Wort?“, so sehe ich jetzt in manchen Köpfen die Fragezeichen beim Lesen dieser Zeilen.

Nein! Das tue ich nicht! Ich möchte nur Verständnis dafür wecken, dass wir hinter die Beweggründe schauen sollten, bevor wir unsere Urteile fällen. Dass Korruption nicht duldbar ist, steht außer Frage. Aber Schimpfen allein verändert nicht die Situationen. Es ist nicht so einfach, und deshalb sollten wir es uns auch nicht so einfach machen. Schon gar nicht, wenn wir bei uns dann auch noch auf Handwerkerleistungen ohne Mehrwertsteuer zurückgreifen.

Steve Volke lebt in Marburg und ist seit 37 Jahren mit Anke verheiratet. Er ist freier Journalist, Fotograf und leitet im Hauptberuf den deutschen Zweig des internationalen Kinderhilfswerks „Compassion“.
Mehr von ihm auf stevevolke-blog.de

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