Ein neues Herz zu Weihnachten
von Dan Krainert
Im Dezember 1980 sieht es danach aus, dass Dan Krainert sein letztes Weihnachtsfest feiern wird. Doch dann macht ihm jemand ein unerwartetes Geschenk.
„Der Doktor sagt, dass ich über Weihnachten nach Hause darf.“ Ich legte den Telefonhörer auf und wandte mich meinen Eltern zu. Als ob das eine gute Nachricht wäre, lächelten wir uns an. Doch wir wussten, dass es in Wirklichkeit nicht so war. Es war der 22. Dezember 1980, und wir lebten schon monatelang in dem reservierten Appartement, einen Block von dem medizinischen Zentrum von Stanford in Palo Alto, Kalifornien, entfernt. Hier warteten Patienten wie ich auf eine Organtransplantation. Ich war achtzehn und benötigte nicht mehr und nicht weniger als ein neues Herz.
Mein letztes Weihnachtsfest?
Meine Mutter telefonierte bereits mit meiner Großmutter, die in unserem Haus in Napa war, und meldete uns an: „Wir kommen nach Hause!“, rief sie. „Lasst uns richtig Weihnachten feiern!“ Als wir drei unsere wenigen Habseligkeiten zusammenpackten, war ich innerlich zerrissen: Ein Teil von mir wünschte sich, dass jetzt nicht Weihnachtsferien wären. Ja, ich wollte das Zuhausesein genießen; doch wussten wir alle, dass ich ohne Transplantation bald sterben würde. Welchen Sinn hatte es, Weihnachten zu feiern? Doch schon bald waren wir auf dem Weg nach Hause. Meiner Familie gegenüber wollte ich mich fröhlich und guter Dinge geben, und ich war mir sicher, dass sich meine Familie ebenso verhielt. Der Blick aus dem Autofenster war abwechslungsreich und spannend für mich. Monatelange Krankenhausaufenthalte sind für jeden hart, aber für einen jungen Menschen wie mich waren die trostlosen weißen Wände und der antiseptische Geruch geradezu erstickend. Nun wirkten die Farben, Geräusche und sogar die Auspuffgase auf der Autobahn belebend auf mich. Ich hatte schwere Jahre hinter mir. Ich wurde mit einer degenerativen Herzerkrankung geboren, die sich aber selt-samerweise nicht so bemerkbar machte, als ich noch ein Baby war. Ich konnte ein normales Leben führen. Meine Schultage waren mit Freunden, Kino und Ballspielen ausgefüllt. Das Leben war schön.
Dann, im ersten Jahr an der weiterführenden Schule, brach die Herzerkrankung aus, und die Unbeschwertheit meines bisherigen Lebens hatte ein Ende. Jetzt, in diesem Augenblick, als ich auf dem Autorücksitz saß, spürte ich mein erschöpftes, angeschlagenes Herz wie wild in meiner Brust klopfen. Lange würde es nicht mehr durchhalten. Auf dieser langen Heimreise kurz vor Weihnachten versuchte ich, mich auf all die guten Dinge zu konzentrieren, die mir widerfahren waren. Zuerst war ich durch die Vermittlung unseres Hausarztes auf die Transplantationsliste gesetzt worden. Dann, als alles so aussah, als ob das nötige Geld für die Operation beim besten Willen nicht aufzutreiben wäre, sprangen die Bürger meiner Heimatstadt ein, um mir zu helfen. Durch verschiedene Projekte, wie zum Beispiel Kuchenverkäufe, wurde das Geld zusammengetragen. Freunde, Bekannte und sogar Wildfremde spendeten Blut. Für all diese Opfer wollte ich dankbar sein; doch es war alles so sinnlos, wenn ich kein neues Herz bekommen würde! Mein Vater fuhr den Wagen durch die mir vertrauten Straßen von Napa und bald erreichten wir die Auffahrt unseres weißen Hauses.
„Sie haben ein Herz!“
Die Haustür öffnete sich und meine Großmutter kam uns entgegen. Was hatte sie nur? „Fahrt zurück!“, rief sie aufgeregt. „Sie haben ein Herz! Sie haben die ganze Zeit versucht, euch zu finden! Die Suchmeldung kam sogar über Radio!“ – „Sie haben ein Herz?“, stammelte mein Vater. „Ja, aber es kann nur bis halb fünf konserviert werden; jetzt ist es drei Uhr fünfundzwanzig!“ Wir sahen uns an, alle im Schock. Die Rückfahrt nach Palo Alto würde anderthalb Stunden dauern. Aber Großmutter hatte schon weiter geplant. „Wir haben ein Privatflugzeug gechartert!“, sagte sie. Noch während sie sprach, hielt ein Streifenwagen vor unserer Einfahrt. „Steigen Sie ein!“, schrie der Polizist. „Wir bringen Sie zum Flughafen!“
Unser Rennen gegen die Zeit begann. Der Streifenpolizist raste mit uns zum Flughafen, und ein Pilot mit einer kleinen Cessna flog uns nach Palo Alto. Ein Krankenwagen brachte uns in Windeseile die letzten Meilen von der Landebahn zum Krankenhaus. Wir kamen um genau vier Uhr sechsundzwanzig im medizinischen Zentrum an; uns blieben vier Minuten! Im Vorbereitungsraum gaben mir die Ärzte Medikamente, die die mögliche Abstoßreaktion meines Körpers verhindern sollten. In einer Ecke des Raumes stand ein Radio, und ich hörte, dass der Nachrichtensprecher meinen Namen nannte und die Zuhörer bat, eine stille Minute zum Gebet einzulegen, da meine Operation nun unmittelbar bevorstand. In diesem Moment betete auch ich. Mutter und Vater warteten mit mir. „Ich würde alles dafür geben, mit dir tauschen zu können, mein Sohn“, sagte mein Vater. Mutter hielt ihr Ohr an mein hämmerndes Herz. „Ich kann es hören“, sagte sie. „Morgen wird es ein anderes Geräusch machen“, antwortete ich. Dann gab ich ihr die Karte, die ich in der Hand hielt, auf der das Angebot aus dem biblischen Buch Hesekiel stand: „Ich gebe euch ein neues Herz und einen neuen Geist“ (Kapitel 36, Vers 26).
Zwei Tage nach der Operation konnte ich im Bett aufgerichtet werden. Ich hatte zwar große Schmerzen im Brustraum, aber da war noch etwas: Ich konnte zum ersten Mal seit zwei Jahren mein Herz nicht spüren! Meine Familie stand draußen vor dem Fenster meines Zimmers. Alle hatten sich seltsam aussehende sterile Kittel, Handschuhe und einen Gesichtsschutz anziehen müssen. Nur zwei konnten mich zur gleichen Zeit besuchen. „Frohe Weihnachten, Dan!“, sagte meine Mutter. Weihnachten – es war Heiligabend.
„Mutter hielt ihr Ohr an mein hämmerndes Herz. ,Ich kann es hören.‘ ,Morgen wird es ein anderes Geräusch machen‘, antwortete ich.“
Leonards Herz
Erst vor wenigen Tagen hatte ich über den Sinn nachgedacht, Weihnachten überhaupt zu feiern. Jetzt hatte ich allen Grund der Welt zum Feiern! Mit zitternden Händen gab Mutter mir eine Bibel. Wir schlugen Lukas 2 auf, und jeder hörte ruhig und andächtig zu, als ich den Abschnitt der Geburt Jesu Christi vorlas. Danach brachte mir die Schwester einen großen Stapel Post. All diese Karten! – Viele mir wildfremde Menschen schrieben, sie hätten für mich gebetet. Ich war zutiefst gerührt. Wir öffneten die Briefe und lasen jeden laut vor, bis wir zu einem mit einer Postleitzahl aus dem Mittleren Westen kamen. Nach wenigen Zeilen hielt ich inne, weil ich nicht mehr weitersprechen konnte. „Dan, was ist das für ein Brief?“, fragte mein Vater. Mit heiserer Stimme las ich: „Lieber Dan, auch wenn wir dich nicht kennen, fühlen wir uns deiner Familie verbunden. Unser einziger Sohn, Leonard, hat dir sein Herz gespendet. Der Verlust von Leonard ist so viel leichter zu verkraften, weil wir wissen, dass du nun sein Herz trägst. Mit all unserer Liebe, Paul und Barbara Chambers.“
Ich konnte die Tränen nicht länger zurück-halten. Denn plötzlich wusste ich genau, warum wir Weihnachten feiern: Durch seinen Tod hatte mir der einzige Sohn der Chambers mein Leben gegeben. Durch seinen Tod hat Gottes einziger Sohn den Menschen das Leben gegeben – ewiges Leben.
Ich musste meine Dankbarkeit darüber unbedingt laut hinausschreien. „Ich danke dir, Herr, dass du geboren wurdest!“, rief ich. Und als ich an den jungen Mann dachte, der die Organspenderkarte unterzeichnet hatte, sagte ich leise: „Gott segne dich!“ Denn er hatte mir das schönste Weihnachtsgeschenk gemacht, das man sich vorstellen kann. „Gott segne dich, Leonard Chambers!“
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