Zeigt her eure Füße
Wie geht echtes Dienen? Jesus Christus macht es vor.
Jesus legte sein Oberkleid ab, nahm ein leinenes Tuch und umgürtete sich damit“ (Johannes 13,4). Jesus tut etwas ganz Schlichtes. Und doch sind die Jünger offensichtlich schockiert und peinlich berührt, als ihr Meister sich bereit macht, ihnen die Füße zu waschen. Jesus nimmt die Rolle eines Dieners ein. Er tut das, was keiner tun will. Vor einem großen Essen badete man sich, aber durch den Staub der Straße wurden die Füße natürlich wieder schmutzig. Deshalb war es üblich, den Gästen eine Fußwaschung anzubieten. Doch diese Tätigkeit war so gering geachtet, dass nicht einmal jüdische Sklaven sie verrichten mussten. Man konnte sie dazu auffordern, aber man durfte sie nicht dazu zwingen. Und so kam natürlich keiner der Jünger auf die Idee, den anderen die Füße zu waschen. Wer würde sich so demütigen, wer würde den anderen so viel Anerkennung erweisen? Für sie war es unvorstellbar, einem Mitjünger die Füße zu waschen. Undenkbar! Aber noch undenkbarer war es natürlich, Jesus in dieser Rolle zu sehen. Ihn, den Messias, den Gottessohn, den Wundertäter – ihren Rabbi!
Jesus, der größte Diener aller Zeiten
Ich frage mich, was die Jünger wohl gedacht haben, als Jesus den Mantel auszog, ihn vielleicht langsam faltete und zur Seite legte, um dann das Handtuch um seine Hüfte zu binden und anschließend mit ruhigem Schritt auf sie zuzugehen, bevor er vor ihnen niederkniete. Johannes berichtet im 13. Kapitel seines Evangeliums von dieser außergewöhnlichen – und für die Jünger gewiss auch kuriosen – Handlung Jesu. Und dort erfahren wir auch, warum Jesus dies tut: „Vor dem Passahfest aber, als Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, aus dieser Welt zu dem Vater hinzugehen – da er die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte er sie bis ans Ende („Ende“ ist hier nicht zeitlich zu verstehen, sondern als Fülle, als perfekte Liebe; Anmerkung des Autors). Und bei einem Abendessen, als der Teufel schon dem Judas, Simons Sohn, es ins Herz gegeben hatte, dass er ihn überliefere, steht Jesus – im Bewusstsein, dass der Vater ihm alles in die Hände gegeben und dass er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe – von dem Abendessen auf und legt die Oberkleider ab; und er nahm ein leinenes Tuch und umgürtete sich. Dann gießt er Wasser in das Waschbecken und fing an, die Füße der Jünger zu waschen und mit dem leinenen Tuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war“ (Johannes 13,1–5).
„Bevor wir Jesus dienen können, müssen wir es zulassen, dass er uns zuerst dient.“
Ist das nicht spannend? „Im Bewusstsein, dass der Vater ihm alles in die Hände gegeben und dass er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe“ – in diesem Bewusstsein beginnt Jesus die Fußwaschung. In dem Wissen, alle Macht zu haben, nimmt Jesus die Rolle eines Dieners ein. Er verrichtet Sklavenarbeit. Er, der einzige wirklich freie Mensch, erniedrigt sich. Ein Bewusstsein, das die meisten von uns mit Hochmut und Arroganz erfüllen würde, bewirkt in Jesus eine dienende Haltung.
Sich von Gott bedienen lassen
Nach und nach kommt jeder Jünger an die Reihe – auch Simon Petrus, der Sprecher der Jünger. Und aus ihm platzt heraus, was alle denken: „Herr, du wäschst meine Füße?“ Seine Frage zeigt, wie verblüfft er ist. Petrus soll sich von Jesus dienen lassen? Petrus soll daran teilhaben, dass Jesus sich so erniedrigt? Er soll ein Komplize dieser Demütigung werden? Ja! Genau das muss Petrus hier „ertragen“. Denn was Jesus hier tut, ist ein Vorzeichen auf den ganz großen Dienst, den er für Petrus und für uns alle getan hat – sein Ja zur Kreuzigung. Petrus muss also zulassen, dass etwas Geringes, etwas Kleines für ihn getan wird. Denn etwas viel Größeres wird nicht viel später für ihn getan werden. Und er reagiert, wie auch wir es wahrscheinlich getan hätten: „Du sollst nie und nimmer meine Füße waschen!“
Natürlich reagiert er so. Umgekehrt wäre es in Ordnung! Finden wir doch auch, oder? Doch bevor wir Jesus dienen können, müssen wir es zulassen, dass er uns zuerst dient. Oder anders ausgedrückt: Unsere erste Aufgabe ist, uns von Jesus lieben zu lassen. Er liebt uns in vollkommener Weise! Diese Liebe ist es, die uns von unserer Schuld reinigt. Die uns befreit und heilt und uns Identität schenkt (vgl. Römer 8,23). Sich dienen lassen – das ist der erste Schritt. Das muss auch Petrus lernen. „Jesus antwortete ihm: ,Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil mit mir.‘“ Diese Waschung ist eine symbolische Vorweg¬nahme dessen, was noch kommen soll. Jetzt kommt in Petrus wieder Begeisterung auf. Teilhaben an Jesus? Aber natürlich! „Simon Petrus spricht zu ihm: Herr, nicht meine Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt“ (V. 9)! Mancher mag Petrus vorwerfen, er überstürze die Sache mal wieder. Aber es geht doch um Jesus! Und Petrus will alles haben, was er von Jesus bekommen kann. Wer kann ihm da einen Vorwurf machen?
Wer dient, sagt Danke
„Als er nun ihre Füße gewaschen und seine Oberkleider genommen hatte, legte er sich wieder zu Tisch und sprach zu ihnen: ,Wisst ihr, was ich euch getan habe?‘ Ihr nennt mich Lehrer und Herr, und ihr sagt recht, denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und der Lehrer, eure Füße gewaschen habe, so seid auch ihr schuldig, einander die Füße zu waschen. Denn ich habe euch ein Beispiel gegeben, dass auch ihr tut, wie ich euch getan habe‘“ (V. 12–15). Jesus wäscht den Jüngern die Füße. Er dient ihnen. Und sie nehmen es an. Das stelle ich mir schwierig vor. Bestimmt wollten alle danach Jesus die Füße waschen. Wer würde nicht gerne Jesus sagen und zeigen, wie dankbar man ihm ist? Wer würde nicht gerne die Chance haben, etwas für Jesus zu tun, der so viel für uns getan hat? Im Neuen Testament wird uns nur von zwei Personen berichtet, die das Privileg hatten, Jesus die Füße zu waschen. Und das waren zwei Frauen – Maria Magdalena und Maria von Betanien. Was für ein Vorrecht! Den Dank, den man so tief im Herzen fühlt – sie konnten ihn direkt zum Ausdruck bringen.
„Füße waschen – das kann Vieles sein: Ein freundliches Wort. Eine Einladung zum Abendessen. Eine helfende Hand.“
Doch unser Text zeigt uns einen anderen Weg, unsere Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen: „Wenn nun ich, der Herr und der Lehrer, eure Füße gewaschen habe, so seid auch ihr schuldig, einander die Füße zu waschen“ (V. 14). Eigentlich unlogisch. Logisch wäre: „Ich habe euch die Füße gewaschen, nun sollt ihr meine Füße waschen.“ Wenn jemand mir etwas Gutes tut, drücke ich gegenüber dieser Person meine Dankbarkeit aus – nicht gegenüber einem anderen. Aber genau das wünscht sich Jesus: „ … ihr seid schuldig, einander die Füße zu waschen.“ Wir sollen die empfangenen Wohltaten nicht an ihn zurückgeben, sondern an unseren Nächsten. Gott hat die Menschen um uns herum als Empfänger der Dankbarkeit ausgewählt, die wir ihm gegenüber empfinden. Wir schulden es Jesus, dass wir unserem Nächsten dienen. So verteilt Jesus seine Liebe. So macht es Jesus vor. So sollen wir es machen! „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ein Sklave ist nicht größer als sein Herr, auch ein Gesandter nicht größer als der, der ihn gesandt hat“ (V. 16). Was Jesus hier sagt ist: Wenn er als unser Herr die Rolle eines Dieners einnimmt, dann können wir als seine Geschöpfe keine höheren Rollen einnehmen.
Wissen ist Silber, tun ist Gold
„Wenn ihr dies wisst, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut“ (V. 17). Das ist Verheißung und Warnung zugleich. Es ist die Verheißung eines besseren Lebens. Jesus sagt: „Du lebst besser, wenn du anfängst, anderen zu dienen.“ Aber dieser Vers warnt auch: Wissen allein reicht nicht aus – wir müssen es tun! Liebe und diene ich, weil ich glaube, dass die Person meinen Dienst oder meine Hilfe verdient? Oder liebe, diene und helfe ich, weil mir gedient worden ist und dies meine Möglichkeit ist, Danke zu sagen? Füße waschen – das kann Vieles sein: Ein freundliches Wort. Eine Einladung zum Abendessen. Eine helfende Hand oder ein Geschenk. Und manchmal sind es tatsächlich schmutzige Füße, die gewaschen werden müssen. Wir dienen, weil uns gedient wurde. „Denn er kannte den, der ihn überlieferte; darum sagte er: Ihr seid nicht alle rein“ (V. 11). Hier geht es Johannes auch darum, deutlich zu machen, dass Jesus genau wusste, was passieren würde, ja sogar, wer ihn verraten würde.
Jesus liebt nicht, weil er nicht wüsste, was in den Herzen der Jünger los ist. Keiner der Jünger hatte es verdient, dass Jesus ihm die Füße wusch. Doch jeder Jünger erfährt diesen Dienst von Jesus – sogar Judas, der Verräter! Das berührt und erstaunt mich immer wieder. Denn obwohl Jesus wusste, welche Gedanken Judas hegte, war seine Liebe auch für ihn da. Auch ihm hat Jesus die Füße gewaschen, auch ihn hat er bis ans Ende geliebt. Jesu Aufforderung, einander zu dienen, bezieht sich auf alle – nicht nur auf die Netten, nicht nur auf die, die es „verdient“ haben. Darum ist sie ja auch so schwer zu befolgen. Denn wie kann ich jemandem dienen, der es gar nicht verdient? Das ist nicht nur schwierig, das ist unmöglich! So zu dienen geht darum nur, wenn man zuvor die dienende Liebe Jesu selbst erfahren hat. Ich muss zuerst geliebt werden – und diese Liebe annehmen. Ich muss zulassen, dass Jesus mir dient. Und wenn ich dann Danke sagen möchte, dann ist es mein Auftrag, dieses „Danke“ meinem Nächsten gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Jesus nahm sein Obergewand ab, gürtete sich mit einem Leinentuch, wusch seinen Jüngern die Füße – und veränderte die Welt. Machen wir es genauso!
Herbst 2012
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