Flagge zeigen

Warum der Zeitgeist ein schlechter Ratgeber ist

Was gilt, wenn scheinbar nichts mehr gilt?

Immer wieder begegnen mir Christen, die verunsichert sind, weil es mittlerweile immer häufiger vorkommt, dass auch Kirchen und christliche Werke eindeutig biblische Positionen über Bord werfen. Auch NEUES LEBEN ist über manche Entwicklungen im Bereich der Theologie sowie der Praxis einzelner Kirchen und Freikirchen besorgt. Darum möchte ich im Folgenden zwei Themen aufgreifen und kommentieren, bei denen vor allem in jüngster Zeit eindeutig biblische Aussagen relativiert werden. Denn es ist an der Zeit, Flagge zu zeigen.

Abschied von der Hölle?

„Darf man heute noch von der Verlorenheit des Menschen sprechen? Können wir als aufgeklärte Menschen wirklich noch glauben, dass ein Gott der Liebe seine Geschöpfe einer ewigen Bestrafung aussetzt? Oder lässt die Bibel sich nicht auch anders deuten?“ – Das fragen sich mittlerweile auch immer mehr Christen, denn in der modernen Theologie ist für die Hölle schon längst kein Platz mehr. Vielmehr erklärt sie uns, die Bibel sei mit ihren Aussagen über die Hölle in der Weltanschauung vergangener Jahrhunderte gefangen. Und darum müsse man herausfinden, wie Christen heute solche schwierigen biblischen Aussagen neu interpretieren können.

Diese Abwendung von der biblischen Lehre geschieht auf breiter Front: So stimmten beispielsweise über 500 Synodale der „Church of England“ im Sommer 1996 einer Studie zu, die zu dem Ergebnis kam, dass es ein Verlorengehen im Sinne der biblischen Aussagen nicht geben könne. Aber auch in anderen Ländern machen immer wieder Theologen von sich reden, die auf überzeugende Art und Weise erklären, dass es keine Hölle gibt. Einer von ihnen ist der amerikanische Pastor und Gemeindegründer Rob Bell. Bell, der in Deutschland auch in einigen evangelikalen Kreisen euphorisch als „Reformator“ verehrt wird, schreibt in seinem vor zwei Jahren erschienenen Buch „Das letzte Wort hat die Liebe“, dass wir unseren Zeitgenossen einen Gott, der einen großen Teil der Menschheit am Ende der Geschichte nicht gnädig aufnimmt, einfach nicht mehr zumuten könnten. Bell möchte seinen Zeitgenossen möglichst wenig intellektuelle Stolpersteine in den Weg legen, an Gott zu glauben. Das ist sicherlich gut gemeint – doch das Problem besteht darin, dass Bells theologischer Ansatz ein Bild von Gott zeichnet, das sich nicht aus biblischen Texten ableitet, sondern aus seinen eigenen philosophischen Überlegungen, wie ein Gott der Liebe seiner Meinung nach handeln müsse. Doch die Wahrheit entscheidet sich nicht daran, wie attraktiv sie erscheint. Und es zählt auch nicht, welcher Ausgang der Heilsgeschichte uns am besten gefällt, oder ob ein Gott, der Sünde richtet, den Menschen von heute sympathisch ist. Entscheidend ist, was die Bibel darüber sagt. Jesus Christus sprach mehr über die Verlorenheit der Menschen und über die Realität der „Hölle“, als irgendjemand sonst im Neuen Testament. Und nach seinem berühmten „Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt“ (Johannes 3,16), das von Bell argumentativ mehr als einmal aufgegriffen wird, sagt er „Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet“ (V. 18). Und am Ende des gleichen Kapitels sagt Johannes der Täufer: „Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm“ (Johannes 3,36).

Weil Jesus kam „um zu suchen und zu erretten, was verloren ist“, ist und bleibt der Kern unserer Verkündigung das Angebot der Versöhnung durch ihn. Ganz so, wie Paulus es formulierte, als er schrieb: „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott“ (2. Korinther 5,20)! Wer bei der Predigt von der Versöhnung durch Jesus Christus verschweigt, welche Konsequenzen es hat, das Angebot Gottes auszuschlagen, trägt eine Mitverantwortung dafür, wenn Menschen den Ernst der Lage nicht verstehen und vielleicht deshalb das Evangelium leichtfertig ablehnen.

„Was ist das für eine Theologie, die einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen den Anweisungen Gottes und dem Liebesgebot im Evangelium sieht?“

Homo-Ehe, ja bitte?

Das zweite Thema, das ich kurz streifen möchte, ist gerade in den letzten Wochen in aller Munde: „Ist es noch zeitgemäß, am biblischen Modell der Ehe festzuhalten – oder müssen wir homosexuelle Partnerschaften als Ehe akzeptieren?“ Das Thema „Homosexualität“ spielt seit den 1970er-Jahren in unseren westlichen Gesellschaften eine außerordentlich große Rolle. Kein Tag vergeht, an dem uns nicht homosexuelle Politiker oder Künstler vorgestellt werden. Dabei stehen Zeit und Umfang die dieser Thematik gewidmet werden, längst in keinem Verhältnis mehr zu der Zahl der Menschen, die sich als Homosexuelle bekennen. Homosexuell empfindende Menschen hat es schon immer gegeben. Dass wir heute überall mit diesem Thema konfrontiert werden, lässt ahnen, welch erfolgreiche Lobby-Arbeit hier geleistet wird. Selbstverständlich respektieren wir als Christen, dass Menschen ihr Leben frei gestalten und sich ihre eigenen Maßstäbe suchen. Und wir diskriminieren niemanden, der anderen Lebenskonzepten folgt, als die Bibel sie vorgibt. Dennoch macht uns die gesellschaftliche und auch die kirchliche Entwicklung in dieser Thematik Sorge. Wir merken, wie es von Jahr zu Jahr schwieriger wird, biblische Positionen zu Gehör zu bringen. Und schon heute muss jeder, der äußert, dass das Ausleben homosexueller Neigungen gegen die Schöpfungsordnung Gottes steht und somit Sünde ist, damit rechnen, angegriffen zu werden. Im Juni 2013 stellte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ihre „Orientierungshilfe“ zur Ehe und Familie vor. Unter dem Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“, hat eine 14-köpfige Expertengruppe einen Leitfaden erarbeitet, der die evangelische Kirche in Fragen von Ehe und Familie „zukunftsfähig“ machen soll (Gütersloher Verlagshaus, 2013).

Dass stabile Beziehungen wichtig und schützenswert sind, ist einer der positiven Aspekte dieses 160-seitigen Papiers – doch leider nur einer von wenigen. Schwerpunktmäßig geht es nämlich darum, dass die Ehe von Mann und Frau heute nur noch als eine von vielen möglichen Formen des Zusammenlebens angesehen werden könne. So werden Christen aufgefordert, „Familie neu zu denken und die neue Vielfalt von privaten Lebensformen unvoreingenommen anzuerkennen und zu unterstützen“ (S. 141). Damit soll das „Familien-Verständnis“ erweitert und auch andere Formen des Zusammenlebens wie z. B. Lebensgemeinschaft von gleichgeschlechtlichen Paaren für gut und richtig gehalten werden. Doch im Hinblick auf eine biblische Begründung für diesen neuen Ansatz, findet sich leider keine befriedigende Antwort. Man dürfe einzelne Bibelstellen, die Homosexualität verurteilen, nicht heranziehen, heißt es da, und müsse die Situation im Licht der Liebe Gottes und des Evangeliums beurteilen. Aber was bedeutet das? Wörtlich heißt es: „Ein normatives Verständnis der Ehe als ‚göttliche Stiftung‘ und eine Herleitung der traditionellen Geschlechterrollen aus der Schöpfungsordnung entspricht nicht der Breite des biblischen Zeugnisses“ (S. 54). Biblische Aussagen wie z. B. in Römer 1, in denen Homosexualität als Sünde gekennzeichnet wird, seien nicht zeitlos gültig. Ja, man könne sogar biblische Texte finden, „die von zärtlichen Beziehungen zwischen Männern sprechen“ (S. 66). Und so überrascht die Schlussfolgerung kaum: In der Bibel gehe es gar nicht um Homo- oder Heterosexualität, sondern vielmehr um ein verlässliches und liebevolles Miteinander. Zitat: „Liest man die Bibel von dieser Grundüberzeugung her, dann sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften, in denen sich Menschen zu einem verbindlichen und verantwortlichen Miteinander verpflichten, auch in theologischer Sicht als gleichwertig anzuerkennen“ (S. 66).

„Wer glaubt, als Christ mit einer scheinbar mehrheitsfähigen Position besser zu fahren, muss aufpassen, dass er dabei nicht unter die Räder kommt.“

Gott sei Dank hat in den letzten Wochen auch innerhalb der EKD eine heftige Diskussion darüber begonnen, ob hier biblische Positionen auf dem Altar des Zeitgeistes geopfert werden. Und auch in anderen Kirchen und Freikirchen wird dieses Thema heiß diskutiert. Doch die Zahl derer, die dafür eintreten homosexuellen Lebenspartnerschaften den kirchlichen Segen zu erteilen, wächst. Dabei werden eindeutig biblische Aussagen in der Regel relativiert, weil man davon überzeugt ist, dass sie mit der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht mehr kompatibel sind. Manche Theologen sprechen gar von einer „Spannung zwischen Gottes Gebot und dem Liebesgebot Jesu“. Bleibt die Frage: Was ist das für eine Theologie, die einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen den Anweisungen Gottes und dem Liebesgebot im Evangelium sieht? „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“, heißt es – und für viele Bereiche des Lebens stimmt das tatsächlich: Wer sich nicht wandelt, findet sich irgendwann im Abseits. Doch wo es um die Auflösung grundsätzlicher Aussagen der Bibel geht, trifft das Gegenteil zu: „Wer mit der Zeit geht, geht mit der Zeit!“ Wer bereit ist, Positionen preiszugeben, weil sie den Menschen heute angeblich nicht mehr vermittelbar seien, muss sich nicht wundern, wenn er mehr und mehr an inhaltlicher Substanz verliert und viele kein Bedürfnis mehr haben, von einer solchen Kirche Orientierung zu erfahren.

Flagge zeigen

Bei NEUES LEBEN und am Theologischen Seminar Rheinland wollen wir uns weiterhin eng an die Bibel binden und unsere theologischen Positionen nicht vom Zeitgeist diktieren lassen. Denn wir sehen keinen Anlass, biblische Aussagen zu relativieren, nur weil sie „unbequem“ sind. Vielmehr glauben wir, dass die Treue zu Jesus und zu seinem Wort, der Bibel, das entscheidende Kriterium für einen fruchtbaren Dienst ist. So verheißt Jesus im dritten Kapitel der Johannes-Offenbarung der Gemeinde in Philadelphia (Kleinasien), die damals ebenfalls mit großen Druck von außen zu kämpfen hatte: „Siehe, ich habe eine geöffnete Tür vor dir gegeben, die niemand schließen kann; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.“ Wir wissen nicht, wie sich unsere Gesellschaft und verschiedene Bereiche der Kirche weiter entwickeln werden. Eins aber scheint sicher: Wer glaubt, als Christ mit einer scheinbar mehrheitsfähigen Position besser zu fahren, muss aufpassen, dass er dabei nicht unter die Räder kommt. Der Zeitgeist ist nämlich ein schlechter Ratgeber. Der dänische Theologe und Philosoph Søren Kierkegaard hat es so ausgedrückt: „Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, muss aufpassen, dass er nicht allzu schnell Witwer wird.“

Herbst 2013