Manchmal ganz leise

Kolumne

Lebensentscheidungen treffen sich nicht einfach mal so. Die meisten sind extrem komplex und ziehen weitreichende Folgen nach sich. Wie gut, wenn man da nicht allein ranmuss. Uwe Heimowski weiß das, kennt das und erlebt es auch: Der Geist Gottes redet im Alltag. Mal ziemlich laut. Und manchmal nur ganz leise.

„Ich wünsche dir Geistesgegenwart.“ Diesen Wunsch gab mir ein Freund mit auf den Weg in eine neue berufliche Aufgabe. Was für ein gelungenes Wortspiel. Geistesgegenwart im doppelten Sinne: die nötige Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für den neuen Ort, die neuen Menschen und die neuen Themen. Eine Portion Schlagfertigkeit, gute, intellektuell redliche Argumente und Begründungen für Diskussionen mit Mitarbeitern, Unterstützern und Institutionen. Und zugleich bedeutet Geistesgegenwart für mich als Christ, dass ich im Bewusstsein der Gegenwart des Heiligen Geistes lebe.

Ein guter Wunsch

Jesus hat gesagt, dass er bei uns sein wird, alle Tage bis an der Welt Ende (Matthäus 28,18). Trotz seiner „körperlichen Abwesenheit“ nach Himmelfahrt sagt Jesus in den Abschiedsreden in Johannes 16, dass wir nicht traurig sein sollen, weil wir den Heiligen Geist bekommen und dadurch direkt mit Gott verbunden sind. Darauf haben Generationen vor Jesus gewartet. An Pfingsten wurde es Wirklichkeit: Der Geist Gottes ist ausgegossen in die Herzen der Glaubenden. Das ist gewaltig!

Doch wenn ich ehrlich bin, muss ich gestehen: Selten genug nehme ich in meinem alltäglichen Leben, in meinem Denken und Fühlen die Gegenwart des Heiligen Geistes wahr. Oft ist nicht der Heilige Geist die entscheidende treibende Kraft in meinem Handeln. Geistesgegenwart, das ist ein guter Wunsch, ich brauche sie. Wir brauchen sie. „Veni creator spiritus – komm, Schöpfer Geist“, beteten schon die Christen im 9. Jahrhundert. Und Gerhard Tersteegen dichtete im Jahr 1729: „Gott ist gegenwärtig, lasset uns anbeten.“ Geistesgegenwart heißt, wenn ich diese alten Texte ernst nehme: um Gottes Geist zu bitten – und seine Gegenwart im Alltag dann auch wahrzunehmen.

Diese Gegenwart kann sehr verschieden sein. Mal klopft der Heilige Geist leise und zart bei uns an, bei einem Spaziergang oder einer Tasse Tee und einem guten Buch. Manchmal verschafft er sich laut Gehör, nicht selten durch Krankheiten und Schicksalsschläge. Sehr häufig nutzt der Geist Gottes – das ist zumindest meine Erfahrung – andere Menschen, um mit uns zu reden. 

Voll spannender Themen

Einen besonderen Moment der Geistesgegenwart für mich persönlich gab es im Sommer 2022. Es ging um nicht weniger als meinen Beruf und meine Berufung, die Frage nach dem nächsten Abschnitt meines Lebensweges. Seit 14 Jahren arbeite ich im politischen Berlin. Zunächst als Referent für Menschenrechte bei einem Abgeordneten im Deutschen Bundestag, 2016 folgte der Wechsel als politischer Beauftragter zur Evangelischen Allianz in Deutschland. Eine Tätigkeit mit einer großen bundesweitenund internationalen Reichweite, mit vielen spannenden Themen von Religionsfreiheit über Antisemitismus zu Lebensrecht oder Menschenhandel. Viele interessante Begegnungen: Politiker, Interessenvertreter, Kirchenleute, Gäste aus dem In- und Ausland. Eine sehr erfüllende Aufgabe. Doch zugleich ist die politische Arbeit ein Hochfrequenz-Job. Die Taktzahl an Terminen und Themen ist enorm hoch.

Dazu kommt: Vieles von dem, was ich mache und wozu ich mich äußere, geschieht „coram publico“, öffentlich – alle Welt kann es kommentieren, und sie tut das auch, nicht selten mehr als deutlich. Mitunter, besonders in den sogenannten sozialen Medien, auch unflätig. Mir ist völlig bewusst, dass das zur Aufgabe dazugehört. Doch du brauchst dazu ein dickes Fell und eine robuste körperliche Konstitution.

„Und da war dieser Moment der Gegenwart des Heiligen Geistes: Ich musste nicht lange nachdenken, um deutlich ‚Nein‘ zu sagen.“

Noch mal was ganz anderes

Lange Zeit hatte ich beides. Dachte ich. Dann kam der Knall: Im Dezember 2020 hatte ich einen Herzinfarkt. Eine „koronare Dreigefäßerkrankung“ war der Auslöser. Medikamente, Rehasport, Ernährungsumstellung waren die Faktoren, auf die ich Einfluss nehmen konnte – und die tatsächlich eine sehr positive Wirkung zeigen. Doch die Taktzahl in der politischen Welt und in meiner Tätigkeit bleibt hoch. In Stresssituationen spüre ich, wie der Blutdruck steigt. Natürlich stellen sich dann Fragen: Wie geht es weiter? Wie kann ich mit meinen Grenzen umgehen? Fragen, auf die man allein oft keine Antworten findet. Darum begann ich, mich alle zwei, drei Monate mit einem Coach zu treffen, einem Pastor und Psychologen im Ruhestand.

Manchmal gibt er mir gute Tipps, meistens stellt er vor allem die richtigen Fragen. So auch bei unserem Treffen im Juni 2022: „Uwe, ist das, was du jetzt machst, das letzte, was du vor deinem Ruhestand getan haben möchtest?“ Und da war dieser Moment der Gegenwart des Heiligen Geistes: Ich musste nicht lange nachdenken, um deutlich „Nein“ zu sagen. Wie gesagt, ich mag meine Aufgabe. Aber in diesem Moment wurde mir klar: Ich möchte noch mal etwas anderes machen. Konkrete Projekte, die direkt bei Menschen ankommen, die wirklich in Not sind. Mein Coach hatte die Geistesgegenwart besessen, die richtige Frage zur richtigen Zeit zu stellen.

Das ist seine Zusage

Als ich meiner Frau davon erzählte, dass ich – 58 Jahre alt, herzkrank – meinen guten, unbefristeten Vertrag kündigenwill, war sie sofort dafür. „Ich glaube, das ist die richtige Entscheidung. Gott wird neue Türen öffnen, er hat uns doch immer versorgt.“ Auch das ist eine Erfahrung über Jahrzehnte: Wenn Gottes Geist redet, dann selten mit mir allein. Meine Frau und meine Familiegehören dazu, diese Stimme wahrzunehmen und zu bestätigen. Gottes Geist trennt nicht, er verbindet.

Spannende Monate folgten. Viele Gespräche, und die richtige Tür ging auf: Seit dem 1. Mai 2023 bin ich Leiter von Tearfund Deutschland, einem christlichen Werk, das in der Nothilfe und der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist. Da geht es um Versorgung mit Trinkwasser im Jemen, um Friedensarbeit in Pakistan oder um den Wiederaufbau eines von Rebellen zerstörten Dorfes im Südsudan. Fantastische Projekte, ein starkes Team – genau das, was ich gesucht habe.

Geistesgegenwart hat die Tür zu dieser Option geöffnet, und der gute Geist Gottes wird auch in dieser neuen Aufgabe gegenwärtig sein. Geistesgegenwart ist, wie gesagt, ein guter Wunsch. Und mehr als das: Sie ist Gottes Zusage.

 

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