Jesus spüren
Persönlich
Wie ist das wohl, wenn ein frommer Promi seinem Gott im Alltag begegnet? Wenn einer, der professionell ständig geistlich und spirituell sein soll oder muss? Kann der dann noch richtig still sein und das genießen? Sich für sich ganz allein besinnen und sich dabei auch noch berühren lassen? Oder geht das einfach unter? Wir haben bei Andreas Malessa nachgefragt, und der meint, manches sei wirklich zu intim für die Öffentlichkeit. Aber geantwortet hat er trotzdem gut.
Wie spät es auch geworden sein mag am Abend – ich wache morgens weckerlos auf. Von selbst. Früh bis sehr früh. Ist wohl d ie a ltersbedingt „ senile B ettflucht“. Jedenfalls verbringe ich ab 6.15 Uhr, tja, „Stille Zeit“ oder „Zeit mit Gott“. Konkret: Ich mache lange sehr langsame gymnastische Bewegungen am Boden, atme sehr bewusst, schweige und höre. Ob das „Seniorenturnen“ oder „Jesus-Yoga“ heißt, ist mir wurscht, denn: Ich höre dabei Chormusik. Ohne Orchester. Renaissance-Chöre. Gregorianische Antiphone, mittelalterliche Madrigale. A-capella-Gesänge von Komponisten wie Josquin de Pres, Charles Gounod oder Benjamin Britten. Arrangements der King Singers, John Todds „Tennebrae“, das „Hilliard Ensemble“ oder die Rundfunkchöre der Landessender, so Sachen. Die singen Psalmen, liturgische Gebete, Sätze Jesu. Meist lateinisch. Höchstens englisch. Warum stärkt das meinen Glauben?
Als Journalist, Referent und Autor habe ich ab 8.00 Uhr ständig mit Texten, mit Manuskripten und Büchern, mit Artikeln und Protokollen, mit O-Tönen und Statements zu tun. Täglich überschwemmt mich ein „Wörter-Tsunami“, den ich ja auch selbst produziere. Sprache und Sprechen ist mein Hand- und Mundwerk, deshalb gilt in der frühmorgendlichen Jesusbegegnung: Klappe halten! Keine frommen Ratschläge bitte, keine spirituelle To-do-Liste, nichts reden müssen. Nur Hören, Bewegen und Atmen. In seltenen, aber extrem glücklichen Momenten überwältigt mich dabei Dankbarkeit, Lebensfreude, Souveränität den Problemen und Plänen gegenüber, kurz: Gottes Gegenwart. In der Reinheit, Erhabenheit und Zeitlosigkeit dieser Klänge ist mir der Reine, der Erhabene, der Ewige nahe. Gottes Großartigkeit und Heiligkeit fanden die Juden ja immer schon „unaussprechlich“.
Lesen und staunen
Ich unterscheide hier nicht zwischen beruflichem oder privatem Bibelstudium, das kann ich nie: Ob ich zur privaten Erbauung Bibel lese oder zur Vorbereitung auf eine Predigt – immer fasziniert mich gleichermaßen die geistliche Weisheit der biblischen Texte, ihre unfassbare Menschenkenntnis und ihre literarische Qualität. Die Herrnhuter Losungen, die fürs Kirchenjahr vorgeschriebene Perikopenreihe der Sonntage, die frommen Bücher, CDs oder Events, die ich mitgestalten oder kommentieren soll, die biblischen Bezüge von Romanen, Musikwerken oder Filmen, über die ich schreibe – dauernd lockt mich berufliches in privates Bibellesen und umgekehrt. Die Bibel ist Grundlage meiner Jesusbeziehung: Ich lese und staune und fühle mich geehrt, dass der Schöpfer des Universums bereit war, sein Wesen und Wollen von Jesus vorzuleben und von Menschen aufschreiben zu lassen. Menschen, die natürlich Kinder ihrer Zeit, ihrer Kultur und Vorstellungskraft waren. Wie wir alle. Was sonst?
„In der Reinheit, Erhabenheit und Zeitlosigkeit dieser Klänge ist mir der Reine, der Erhabene, der Ewige nahe.“
Feiern und loben
Ergriffensein ist weder anknipsbar noch inflationär wiederholbar. Ich gestalte ja selbst viele Gottesdienste pro Jahr mit, quer durch die Konfessionen, aber ist mir dabei jedes Mal zutiefst persönlich Jesus begegnet, habe ich da immer Gott erfahren? Hm, aktuell geschah das, als am Ostermorgen um mich herum ein paar Frauen aufstanden, auf Ukrainisch riefen „der Herr ist auferstanden!“ und dann wieder bitterlich weinend auf ihre Stühle zurücksackten. Oder in einer katholischen Eucharistiefeier, als der Priester vom Altar zu mir in die zweite Bankreihe kam und mir die Hostie reichte, vor aller Augen, obwohl er das offiziell gar nicht darf.
Sakramentale Rituale wie Hinknien, Schuld bekennen, mit einem Kreuzeichen auf der Stirn gesalbt werden, das Abendmahl einnehmen, Kerzen entzünden, zur segnenden Handauflegung nach vorne gehen – da berührt mich Jesus spürbarer als in der zigsten Wiederholung holprig übersetzter Worship-Hits. Klingt es kitschig, dass mich die Natur zu jubelndem Gotteslob inspiriert? Egal. Für meine Frau und mich ist das so. Wir geben viel Geld aus, um überwältigende Landschaften zu genießen und lobpreisen Gott.
„Ich darf mir Gebetsworte der Psalmen, Bitten der Jünger Jesu, Gebete der uralten Liturgien unserer Vorfahren-im-Glauben ausleihen, mache sie mir zu eigen und versorge damit sorgsam die Schürfwunden und Brüche des Lebens.“
Beten und bitten
Was ich Gott klage, oder worum ich ihn bitte? Ganz unter uns: Mit welchen Worten ein gläubiger Mensch sein Herz bei Jesus ausschüttet – das ist sehr, sehr intim. Intimität aber verträgt weder Zuschauer noch Zuhörer. Zeugnis-geben, Anteil-nehmen und Fürbitte-tun, das sollte kein Vorwand für seelischen Voyeurismus sein. So wirkt’s in halböffentlichen Gebetsgemeinschaften aber manchmal. Nur so viel: Ich darf mir Gebetsworte der Psalmen, Bitten der Jünger Jesu, Gebete der uralten Liturgien unserer Vorfahren-im-Glauben ausleihen, mache sie mir zu eigen und versorge damit sorgsam die Schürfwunden und Brüche des Lebens. Auch dafür bin ich Jesus dankbar.
Andreas Malessa ist Hörfunkjournalist, Theologe, Buchautor und Songtexter, zuletzt für die Musicals „Amazing Grace“ und „Martin Luther King“. Er ist seit knapp 40 Jahren verheiratet, hat zwei Töchter und lebt in der Nähe von Stuttgart. andreas-malessa.de
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