Ich war sprachlos
Kolumne
Es gibt Orte, die eine heilige Atmosphäre ausstrahlen. Orte, wo wir von ganz allein zur Ruhe kommen. Sie vertragen keine Hektik, kein schnelles Gehen, keinen Stress. Ein solcher Ort ist für mich Lalibela, eine Flugstunde nördlich von Addis Abeba in Äthiopien.
Elf Kirchen in den Stein gemeißelt
Die Geschichte dieses Ortes reicht bis ins 12. Jahrhundert zurück. Damals ließ Kaiser Gebra Maskal Lalibela dort elf monolithische Kirchen in Felsen meißeln. Insgesamt soll an der ganzen Anlage 100 Jahre gebaut worden sein. Das Besondere: Diese Kirchen wurden nicht auf den Felsen gebaut, sondern in die Felsen. Das heißt, sie sind in den Felsen herausgearbeitet worden. Sie zählen heute zu den größten von Menschen geschaffenen monolithischen Strukturen der Welt.
Heute ist Lalibela eine Pilgerstätte orthodoxer Christen, die sogar behaupten, die Bundeslade sei an diesem Ort zu finden. Ob es sich dabei tatsächlich um das alttestamentliche Original handelt, wer will das beweisen? Jedenfalls wird etwas, das wie die Bundeslade aussehen mag, einmal im Jahr rund um die Kirchen getragen. Lalibela war aber nicht nur der Name des Gründers dieser Kirchenlandschaft, sondern bedeutet auch „Neu-Jerusalem“. Der Wunsch von Kaiser Lalibela war tatsächlich, Jerusalem neu zu erschaffen. Daher gibt es heute dort auch Orte, die Hebron oder Tabor heißen.
Entdeckungen am Wegesrand
Dreimal habe ich Lalibela besucht – und ich war jedes Mal sprachlos. Die Größe der Kirchen, die sandigen Wege von einer zur nächsten, die „heilige Atmosphäre“, die in den Kirchen sitzenden, oder auf den Höfen mit aufgeschlagener Bibel stehenden Priester, die Besuchergruppen aus aller Welt, die angesichts der Kirchen verstummen. Auch die Entdeckungen am Wegesrand haben mich sprachlos gemacht. Wer bei Sonnenaufgang an der größten Felsenkirche, Bet Giyorgis, steht und sich still neben die in Andacht niederknieenden Christen setzt, spürt die Besonderheit und Spiritualität dieses Ortes.
„Wer bei Sonnenaufgang an der größten Felsenkirche, Bet Giyorgis, steht und sich still neben die in Andacht niederknieenden Christen setzt, spürt die Besonderheit und Spiritualität dieses Ortes.“
Interessanterweise ist das Königreich Äthiopien im 12. Jahrhundert um Lalibela herum entstanden. In dieser Zeit blühte der christliche Glaube in Äthiopien. Und so wurden die Kirchen schon damals zum Symbol für die Verbundenheit Äthiopiens mit Israel. Viele dieser Kirchen sind durch unterirdische Gänge miteinander verbunden. Je nachdem, wie gut der Guide es mit seinen Besuchern meint, gibt es auf einem Teilstück eine Führung durchs Dunkel. Für mich eine der unvergesslichen Erfahrungen meiner Besuche. In den Kirchen selbst finden sich Ikonenbilder und Wandteppiche, und in jeder der Kirchen gibt es mindestens einen Priester, der einfach nur auf einem kleinen Hocker sitzt – und schweigt. Ich habe mich zu einigen von ihnen gesetzt und ebenfalls geschwiegen. Und dabei gelernt: Wer schweigt, kann hören.
Neu hören lernen auf die innere Stimme, auf Gott. Das bedeutet für mich Spiritualität. An keinem anderen Ort der Welt konnte ich das bisher besser praktizieren als in Lalibela.
Steve Volke lebt in Marburg und ist seit 37 Jahren mit Anke verheiratet. Er ist freier Journalist, Fotograf und leitet im Hauptberuf den deutschen Zweig des internationalen Kinderhilfswerks „Compassion“. Mehr von ihm auf stevevolke-blog.de
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