Ich bin so frei

Persönlich

Innen und außen hängen zusammen. Wo der Rahmen eng gesteckt ist, kann die Seele kaum atmen. Martina Kessler erzählt, wie ihr unter dem Druck einer falsch verstandenen Frömmigkeit die Lebenslust schwand. Sie erzählt auch, wie eine neu erlernte Spiritualität nicht nur ungekannte geistliche Kraft und Erlebnisse brachte, sondern auch die Lebensgeister wieder weckte.

„Jetzt muss ich nie wieder eine Prüfung machen!“ Diesen Satz sagte ich aus voller Überzeugung zu meinem Verlobten, als ich mit 20 Jahren mein Staatsexamen in Krankenpflege gemacht hatte. Den Führerschein hatte ich bereits – was sollte da noch kommen? Ich wollte Mutter von mehreren Kindern werden. So stellte mir ein erfülltes Leben als Christin vor. Und dann kam es doch ganz anders.

Ich will so nicht mehr 

Mit 35 Jahren kam ich durch eine Gemeindesituation in eine Lebens- und Glaubenskrise. Der Gedanke, nicht mehr leben zu müssen, gewann immer mehr Boden, und gleichzeitig verlor die Gottesbeziehung Areale. Ich war überzeugt: Mein Mann würde wieder eine geeignete Frau finden. Der Kinder wegen wehrte ich mich allerdings gegen eine zunehmende Hoffnungslosigkeit.

Während ich mich dann einem Prozess und den damit verbundenen Entdeckungen stellte, kam ich mehr und mehr in die Freiheit – menschlich und geistlich. Als ich dabei das erste Mal gefragt wurde: „Was wollen Sie eigentlich, Frau Kessler?“ wusste ich keine Antwort. So begann ich, Freiheit zu entfalten. Ich trug eine Schale nach der anderen ab. Zuerst waren da die vielen „Das macht man (als Christ … ) so“. Danach entwickelte ich einen freien Blick für Christen und Christinnen aus anderen Kirchen. Und ich befreite mich davon, durch Perfektion anderen Menschen gefallen zu müssen. Jede Schale war intensiv und facettenreich, aber irgendwann konnte ich sagen: „Ich bin wirklich frei – zwischenmenschlich und geistlich!“.

„Als ich dabei das erste Mal gefragt wurde: ‚Was wollen Sie eigentlich, Frau Kessler?‘ wusste ich keine Antwort.“

Ich habe es kapiert

Das führte zu einer veränderten und freien Gottesbeziehung – und einigen Prüfungen. Nach einigen Jahren hatte ich den Eindruck, Gott wolle, dass ich promoviere. Ich spürte es immer eindringlicher. Dann betete ich: „Mein Leben ist sehr voll. Ich weiß gar nicht, wann ich auch das noch machen soll. Wenn du das wirklich willst, dann musst du meinen Kalender sortieren.“ Prompt fiel ein regelmäßiger, gerngesehener Auftrag weg, der viel Zeit in Anspruch nahm. Ein weiteres Gebet: „Ich habe kapiert Gott! Okay, wenn du das willst, ich beginne. Aber ich sage dir auch: Ich mache das nur so lange, wie ich die Kraft dazu habe.“ Im Verlauf der Arbeit ging es so weiter: „Gott, ich muss da den Umgang mit einem Programm für Datenverarbeitung lernen. Das kostet 1000 €. Die habe ich nicht“ – und er machte mich auf einen kostenlosen Weg aufmerksam. Oder ich musste mich in ein Thema einarbeiten, von dem ich überhaupt keine Ahnung hatte. Mein Gebet: „Gott, bitte zeig mir die wissenschaftlich wichtige Person, damit ich nicht elend lange danach suchen muss“. Und gleich bei der ersten Suche begegnete mir die richtige Person.

Auch heute wende ich mich in vielen Alltagssituationen und auch Kleinigkeiten an Gott, zum Beispiel, wenn ich etwas suche, oder wenn ich mit Flugangst beim Start in einem Flugzeug klarkommen muss. Ich bin fest überzeugt: Gott liebt und sieht mich. In dieser Gewissheit kann ich mich frei und vertrauensvoll an ihn wenden.

Dr. Martina Kessler ist verheiratet, hat vier erwachsene Kinder mit wachsender Enkelschar, ist in der Leitung der Akademie für christliche Führungskräfte und Studienleiterin der Stiftung Therapeutische Seelsorge, liebt das Eintauchen in andere Kulturen, Stricken, Oma sein und lebt in Gummersbach.

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