Das Ende einer großen Suche

Meditation

Er ist frei und fromm. Eher evangelisch, aber offen und ehrlich auf der Suche. Er kennt die Sehnsucht und wandert spirituell durch Welten. Dabei begegnet er zunächst anderen Menschen, dann Gott und schließlich auch sich selbst. Ulrich Müller fasst seine geistliche Reise zusammen und macht damit Lust, sich selbst zu bewegen.

Als Erstes fällt mir das hell erleuchtete Wiedersehen des Vaters mit seinem jüngeren Sohn auf. Ein kahler Kopf, nur Lumpen am Körper, die Schuhe kaputt. Wie viel Leid liegt wohl hinter ihm, der sich mit seinem Erbe das Leben in Fülle erhofft hat und am Ende als Schweinehirt nur ab und zu etwas zu essen bekam? Er, der alles verloren hatte und als letzte Option wenigstens als Tagelöhner zurückkommen wollte, kehrt um und geht zurück zu seinem Elternhaus. Er kniet, lehnt den Kopf an die Brust seines Vaters, schließt die Augen. Mit allem Gedankenchaos, schlechtem Gewissen und runtergeschlucktem Stolz wirft er sich in die Arme seines Vaters und kommt endlich dort an, wo er immer hinwollte: zuhause. Und da ist keine abwehrende Handbewegung des Vaters. Kein vorwurfsvoller Blick. Vielmehr beugt er sich hinunter zu dem Elend seines Kindes, legt die Hände beruhigend auf dessen Schultern und den Rücken und hält ganz still. Eine Szene, die mich zutiefst berührt: Es ist das Ende einer großen Suche. Rembrandt bezieht sich hier auf eine Geschichte, die wir aus dem Lukasevangelium, Kapitel 15 kennen. Es war die Liebe selbst, die den Vater davon abgehalten hatte, den Sohn einfach zuhause festzuhalten. Liebe lässt frei. Auch die Hände meines himmlischen Vaters bleiben immer ausgestreckt. Wie oft bin ich schon (innerlich) weggelaufen? Habe gedacht, woanders meine Sehnsüchte stillen zu können? Ich muss mutig genug sein zu ergründen, was mich dazu veranlasst, wegzulaufen, muss mein unstetes Herz ergründen. Erst dann werde ich „Heimkehr“ und „Heimat“ wirklich verstehen.

Während ich nach Hause geh

Der Schriftsteller Henri Nouwen schreibt in seinem Buch „Nimm sein Bild in dein Herz“ über diese Szene: „Obwohl ich meine wahre Identität als Kind Gottes in Anspruch nehme, lebe ich immer noch so, als ob der Gott, zu dem ich zurückkehre, Erklärungen verlange. Ich denke über seine Liebe immer noch so, als ob sie an Bedingungen geknüpft sei, und über das Zuhause immer noch so, als ob ich dieses Ortes doch nicht ganz sicher sein könnte. Während ich nach Hause gehe, kommen mir immer noch Zweifel, ob ich wirklich willkommen bin (…) Ich vermag noch nicht voll und ganz zu glauben, dass dort, wo meine Verfehlungen groß waren, ‚die Gnade übergroß geworden ist‘.“

Manchmal ist es fast so, als würde ich Gott beweisen wollen, dass meine Finsternis für ihn unüberwindbar groß ist. Und dann schlage ich ihm vor, ein Tagelöhner zu sein. So kann ich auch immer noch Abstand halten, aufmucken, streiken, weglaufen, oder mich über die Bezahlung beschweren. Als das geliebte Kind darf und soll ich aber Anspruch auf meine Würde erheben, die damit einhergeht. Und noch etwas: Als Kind habe ich die Aufgabe, mein Erbe rechtmäßig anzutreten. Auf mich wartet eine große Aufgabe, die mein Vater für mich vorbereitet hat.

 

„Manchmal ist es fast so, als würde ich Gott beweisen wollen, dass meine Finsternis für ihn unüberwindbar groß ist. Und dann schlage ich ihm vor, ein Tagelöhner zu sein.“

Ich bin auch der Ältere

Und nicht nur der jüngere Sohn ist verloren, sondern auch der ältere. Ja, er ist zuhause geblieben, hat getan, was er dachte, tun zu sollen. Rembrandt hat ihn ganz ähnlich dargestellt wie den Vater: langer roter Mantel, Bart, edle Kleidung. Und doch gibt es signifikante Unterschiede: Der Vater beugt sich hinunter zum Elend seines Sohnes, während der ältere Bruder stocksteif dasteht und eher unbeteiligt auf diese Szene herabsieht. Das Verloren Sein des älteren Sohnes ist viel schwerer zu greifen! Er macht ja lauter Dinge, die richtig sind! Er war gehorsam, pflichtbewusst, fleißig, hat sich an die Regeln gehalten. Man hat ihn gelobt, respektiert, bewundert. Er lebt noch bei seinem Vater und tut äußerlich, was von ihm erwartet wird, aber innerlich entfernt er sich immer mehr von ihm. Damit wird er immer unfreier und verbitterter. Und auch hier erkenne ich mich selbst: Ich bin treu, halte mich an Gottes Gebote, bin nett, spende genug, bin hilfsbereit. Aber wie so oft kommt es auch dabei auf das Herz an. Da kommt eine tiefsitzende Klage zum Vorschein, die ruft: „Ich hab’s gewusst! Ich hab mich so angestrengt! So lange gearbeitet, so viel gegeben und doch nicht das bekommen, was anderen einfach in den Schoß fällt! Warum dankt mir keiner? Warum lobt mich nicht mal einer? Und warum kriegen andere, die das Leben viel zu leicht und lässig nehmen, so viel Aufmerksamkeit? Wie kann es sein, dass es nur ein ‚Tut mir leid, bitte vergib mir‘ braucht, und schon ist man Gottes Lieblingskind?“

Und hier ist die Wahrheit: Der Vater hat zwei Söhne. Beide sind seine Kinder. Der Spießer und der Rebell. Beide haben den gleichen Status: Kind. Egal, was sie den ganzen Tag machen. Beide gleich geliebt, gleich wichtig, gleich wertvoll, gerettet. Was glaube ich, denkt Gott, wenn er an mich denkt?

Die Reise ändert sich

Das Faszinierendste an diesem Gemälde ist das Gesicht des Vaters. Ein Meisterwerk der Kunst. Decken Sie mal eine Gesichtshälfte ab und betrachten Sie dann die andere Hälfte. Sie werden feststellen, dass die rechte Seite des Gesichts Gott Vater darstellt: Ein alter Mann mit weißem Bart und faltiger Haut. Die linke Seite – verstärkt durch den Neigungswinkel – wirkt jünger. Es ist das Gesicht Jesu am Kreuz. Auch die Dornenkrone kann man erkennen. Jesus und der Vater sind eins. Er lebt in ihm. Jesus zeigt uns, was es bedeutet, Sohn zu sein. Und so langsam fange ich an zu begreifen, wie radikal sich der Charakter meiner geistlichen Reise ändert, wenn ich mir nicht länger vorstelle, dass Gott sich versteckt und es mir möglichst schwer machen will, ihn zu finden; sondern dass es Gott ist, der nach mir sucht, während ich mich verstecke! Und eine tiefe Wahrheit sinkt langsam in mein Herz: Gott ist für mich. Gott ist für mich. Gott ist für mich!

Kristina Grupe ist verheiratet mit Sören, Vorstandsassistentin bei NEUES LEBEN, Masterstudentin am TSR und leidenschaftliche Vielleserin. Sie mag klassische Musik, ein Glas Wein in guter Gesellschaft, und hat als Niederbayerin ihr irdisches Zuhause mittlerweile im Westerwald gefunden.

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