Mein Gesicht ist die Wahrheit
Interview
Wie besonders sie ist, spürt man schnell auch daran, dass sie meint, gar nicht besonders zu sein. Aber sie ist es doch. Als sie die Welt betrat, wusste sie noch nichts von dem, was ihr bevorstand. Als sie es erlebte, ging sie gestärkt daraus hervor. Für Ilka Brühl ordnen sich das Leben und die Wirklichkeit nicht nach „hässlich“ oder „schön“. Beide sind so vergänglich wie eine verblühte Lilie. Was zählt, so sagt sie heute voller Selbstbewusstsein, ist, dass man sich selbst liebt. Dass das erlernbar ist, steht für sie fest.
Liebe Ilka, das Buch, in dem du deine Geschichte aufschreibst, trägt den Titel „anders schön“. Was ist denn eigentlich „schön“? Wie lässt sich das erklären?
Darüber habe ich auch viel nachgedacht. Es lässt sich nicht leugnen, dass wir alle unbewusst in den ersten Sekunden einen Menschen optisch beurteilen. Dennoch glaube ich, dass da viel mehr reinspielt als makellose Schönheit. Wir kennen doch alle Momente, in denen wir von jemandem direkt fasziniert sind, obwohl diese Person, rein objektiv betrachtet, gar nicht so normschön ist, also nicht den typischen Schönheitsidealen entspricht. Ich glaube, dass wir zunächst auf die Ausstrahlung einer Person reagieren. Wirkt sie freundlich, gar lustig und offen? Oder schaut sie grimmig drein, oder vielleicht völlig verunsichert? Je mehr wir eine Person dann kennenlernen, desto mehr rücken die ersten Eindrücke zur Seite und die Sympathie oder Antipathie beeinflussen unsere Sicht auf sie.
Du hast in deiner Kindheit und Jugend Ablehnung erfahren, die sich grausam angefühlt haben muss. Begegnest du heute noch Leuten von „damals“?
Manchmal war das schon sehr hart, ja, aber ich habe glücklicherweise sehr wenig echte Ablehnung erfahren. Das Ausmaß an Sprüchen, das ich mir anhören durfte, hat wahrscheinlich fast jeder Mensch in seiner Schulzeit erlebt. Umso wichtiger war es mir, dieses Buch zu schreiben und von mir zu erzählen. Denn Mobbinggeschichten gibt es viele. Ich möchte aber gerade zeigen, dass es gar nicht viel braucht, bis dass man an sich selbst zweifelt. Wenn da einmal der Keim gesetzt ist, dass man komisch ist, macht man den Rest ganz allein. Ich war eigentlich eher mein eigener Feind. Dennoch erlebe ich natürlich immer mal wieder skurrile Situationen, die normschöne Menschen so nicht erleben. Beispielsweise hat mir eine Frau, mit der ich vor kurzem flüchtig zu tun hatte, völlig ungefragt einen Chirurgen empfohlen. Das empfand ich schon sehr übergriffig, weil es ja voraussetzt, dass ich unzufrieden mit mir sein muss.
Sensibel geht anders. Was war denn dein Moment, in dem du dich „aufgelehnt“ hast? In dem du gesagt hast: Schluss jetzt!
Da gab es einen Moment, der muss 2017 oder 2018 gewesen sein. Ich hatte vor einer Weile begonnen, mich fotografieren zu lassen und die Bilder ins Netz zu stellen. Unter einem Bild wurde ein fieser Kommentar gepostet. Ich weiß den Inhalt nicht mal mehr. Wahrscheinlich das Übliche, dass ich nie einen Freund abbekäme oder wie furchtbar ich aussähe. Mein Selbstbewusstsein war mittlerweile so weit gestärkt, dass mir das nichts mehr ausmachte. Insbesondere der erste Punkt, weil ich seit über fünf Jahren in einer glücklichen Beziehung war. Doch mich ärgerte das so ungemein, dass auch andere Menschen das lesen konnten. Menschen, die vielleicht noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung standen und durch diese Kommentare wirklich an sich zweifelten. Da postete ich zum ersten Mal ein Baby-Bild von mir, bei dem man die Spalte deutlich sieht, und verfasste einen wütenden Post, dass jeder Mensch auf seine Weise schön sei und niemand sich etwas anderes einreden lassen solle. Das war der Anfang dessen, was ich jetzt tue.
In der Bibel heißt es ja zur Schöpfung des Menschen: Gott machte uns zu seinem Ebenbild. Und es war sehr gut. Hast du mit diesem Gedanken je gehadert?
Manchmal habe ich schon hinterfragt, warum gerade ich so aussehen muss und was Gott sich dabei gedacht hat. Mir erschien das gerade als Jugendliche, als alle auf Partnersuche waren, wirklich unfassbar ungerecht. Doch zum Glück war das nur eine Seite der Medaille. Häufig konnte ich auch Kraft aus dem Glauben ziehen und habe mir bewusst gemacht, wie klein mein Problem doch ist.
Wie fühlst du dich, wenn du heute irgendwo zum Beispiel in eine Bäckerei gehst und man dich komisch anschaut? Wie weh tun dir die Reaktionen der Menschen um dich herum?
Das nehme ich so tatsächlich überhaupt nicht wahr. Wir haben ja alle eine verzerrte Wahrnehmung. Als ich noch so unglücklich und unzufrieden mit mir war, habe ich überall komische Blicke gesehen. Die meisten Menschen haben mich wahrscheinlich gar nicht wirklich angeguckt und schon gar nicht über mich geredet. Doch man projiziert die eigenen Zweifel in jede Situation. Es kam mir immer vor, als ob alle bereits aus großer Entfernung sehen, dass ich irgendwie anders bin. Heute ist es das komplette Gegenteil. Ich nehme das gar nicht mehr wahr und habe wirklich das Gefühl, dass es fast nie vorkommt. Denn ich gehe ja auch mit einer völlig anderen Ausstrahlung durchs Leben. Früher habe ich versucht, mich hinter hängenden Schultern zu verstecken, und mich selbst zum Opfer gemacht. Heute gehe ich erhobenen Hauptes durch eine Menge und werde ganz anders wahrgenommen.
Und wenn dich das Leben doch mal richtig ankotzt, wohin verkriechst du dich am liebsten?
Das kommt zum Glück äußerst selten vor. Wenn doch, wahrscheinlich mit meinem Mann und unseren beiden Katzen in eine Decke eingekuschelt auf dem Sofa, da wir nur eine Zweiraumwohnung haben. Oder, wenn das Wetter mitspielt, auf unseren schönen grünen Balkon. Auf keinen Fall fehlen dürfen dann Naschereien, Kaffee und ein gutes Buch.
Ich stelle fest, dass Menschen heute immer mehr Mühe haben, ein Vorbild zu benennen – zwar hat man Idole, aber keine Vorbilder. Was denkst du, woran liegt das? Und wie schaut das bei dir aus?
Das könnte daran liegen, dass unser Leben heutzutage so stark online stattfindet. Früher war man vielleicht eher noch in einem Verein oder in der Nachbarschaft aktiv und hat so jemanden kennengelernt, der ein nahbares Vorbild darstellte. Heute himmeln wir unsere Idole eher aus der Ferne an. Dennoch kann ich für mich sagen, dass es einige reale Menschen gibt, die mich stets inspirieren und die eine Art Vorbildfunktion haben. Dazu gehören beispielsweise die ehemaligen Nachbarn aus dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Obwohl uns ungefähr 40 Jahre trennen, hatten wir schon immer eine besondere Freundschaft und ich bewundere sie für vieles, was sie im Leben machen.
Für wen bist du denn Vorbild?
Mit dem Gedanken, ein Vorbild zu sein, tue ich mich manchmal schwer. Denn das hebt einen schnell auf einen Thron, auf dem ich nicht sitzen möchte. Doch ich verstehe, dass man Menschen sucht, mit denen man sich identifizieren kann. Und ich möchte ja auch ganz bewusst Mut machen. Häufig erreichen mich Zuschriften von jungen Frauen, die durch mich angefangen haben, auch an sich zu glauben. Das ist natürlich ein großartiges Gefühl, wenn ich so etwas in Menschen auslösen kann – und der Grund warum ich, trotz fieser Nachrichten, immer weitermache.
Abschließend: Wenn Zeit und Geld keine Rolle spielen würden, in welches Land möchtest du gern mal reisen und warum?
Die Liste ist nahezu endlos! Aber ganz oben darauf stehen Irland und Schottland. Aber auch der europäische Osten und Asien reizen mich, weil ich noch nie dort war. Mein Mann und ich träumen beide davon, wenn wir mal ein Kind haben, mit einem Camper in der Elternzeit durch Europa zu reisen.
Vielen Dank, liebe Ilka, für dieses anregende Gespräch, und dir von Herzen Gottes Segen.
Das Gespräch führte Detlef Eigenbrodt
„Häufig erreichen mich Zuschriften von jungen Frauen, die durch mich angefangen haben, auch an sich zu glauben. Das ist natürlich ein großartiges Gefühl.“
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