Dass Gott schön werde
Auslegung
Manche Zusammenhänge sind so komplex, dass mancher fürchtet, sie nie zu verstehen. Und dann stellt man plötzlich fest: so schwer wars ja gar nicht. Das gilt auch für die Frage nach der Schönheit Gottes, der sich Volker Kessler hier vortrefflich widmet. Und keine Angst vor seinen Titeln. Der Mann spricht verständliches Deutsch.
Sie fragen sich vielleicht, ob Sie richtig gelesen haben: „Dass Gott schön werde“. Gott ist doch schon schön, oder etwa nicht? „Dass Gott schön werde“ ist ein, wie ich finde, genialer Buchtitel des Schweizer Theologen Rudolf Bohren (1920 – 2010). Bohren entfaltet dort sein Verständnis von Praktischer Theologie. Dabei betont er die Wichtigkeit des Heiligen Geistes und des Schönen. Gemeindearbeit solle den Blick nach vorne richten auf die neue Erde und ihre Stadt (Offenbarung 21), sich an der Wirklichkeit orientieren, „die im Heiligen Geist schon da und vorhanden ist“ . Durch das Wirken des Heiligen Geistes wird Gott schön in der Schöpfung, in Kultur und Kunst und in der Gemeinde, um so dem Gesetz des Hässlichen entgegenzuwirken, das durch den Sündenfall in die Welt kam. Dieser Zusammenhang zwischen Sünde und Hässlichkeit erstaunt uns vielleicht. Vor zweitausend Jahren ging man davon aus: Gute Menschen strahlen Schönheit aus. Das Alte Testament beschreibt die Glaubensvorbilder Sara, Rebekka, Rahel, Josef, Mose, David und andere ausdrücklich als schön. Allerdings nennt es mit Saul und Absalom auch zwei Männer, die zwar schön sind, sich aber unmoralisch verhalten. Umgekehrt wird in der Jesaja-Prophetie der Gottesknecht für hässlich gehalten, weil dieser die Sünde der Welt trägt.
Ein Test für die Wahrheit
Die Menschen damals sahen einen Zusammenhang zwischen Ethik und Schönheit. Genauso gibt es fast geheimnisvolle Zusammenhänge zwischen Wahrscheit und Schönheit. Eine wahre Formel in der Mathematik wird im Allgemeinen als schön empfunden. Das geht sogar so weit, dass in der Mathematik Bewanderte bei einer Formel, die ihnen hässlich erscheint, davon ausgehen, dass diese vermutlich falsch ist. Schönheit dient in der Mathematik als erster Test für mögliche Wahrheit.
Hans Urs von Balthasar (1905 – 1988), ein katholischer Theologe aus der Schweiz, schrieb sieben dicke Bücher zum Thema Herrlichkeit. Denn er meinte, dass dieses Thema in der hiesigen Theologie zu wenig beachtet werde. Balthasar ist überzeugt: Wahrheit, Gutheit und Schönheit sind Schwestern, die sich nicht trennen lassen. In einer Welt ohne Schönheit verliert auch das Gute seine Anziehungskraft, der Mensch steht davor und fragt sich, warum er das Gute tun soll und nicht lieber das Böse. In einer Welt ohne Schönheit verlieren auch die Beweise für die Wahrheit ihre Überzeugungskraft. In evangelikalen Kreisen hat man sich immer sehr für Wahrheit und Ethik eingesetzt und auch dafür gekämpft. Wer sich aber nur für Wahrheit und Gutheit einsetzt und Schönheit ignoriert, wird auf Dauer auch Wahrheit und Gutheit verlieren. Deswegen müssen wir alle drei Schwestern im Blick haben: Wahrheit, Gutheit und Schönheit.
„Balthasar ist überzeugt: Wahrheit, Gutheit und Schönheit sind Schwestern, die sich nicht trennen lassen.“
Glaube, Hoffnung und Schönheit
Die Verbindung zwischen Glaube und Schönheit ist wechselseitig. Einerseits kann Schönheit ein Hinweis auf den Schöpfer sein, wie es die Französin Simone Weil (1909 – 1943) beschrieb: „In allem, was in uns das reine und echte Gefühl des Schönen hervorruft, liegt Gegenwart Gottes.“ Anderseits bringt der Glaube Schönheit hervor, so formulierte es Papst Benedikt XVI. Der Südafrikaner De Gruchy schrieb 2008 ein Buch über die Wichtigkeit von Schönheit im Kampf für Gerechtigkeit. Man denkt spontan: Hat Südafrika mit der hohen Arbeitslosigkeit, der hohen Kriminalitätsrate und der schwierigen Vergangenheit der Apartheid nicht drängendere Probleme als sich mit Ästhetik und Kunst zu beschäftigen? De Gruchy schreibt der Schönheit eine erlösende Kraft zu. Ihm geht es nicht darum, sich in Museen und Vernissagen vor der traurigen Welt zu flüchten, sondern mit Schönheit einen Beitrag für die Transformation von Südafrika zu leisten. Menschen in schwierigen Lebenssituationen brauchen Hoffnung – und Schönheit kann diese Hoffnung vermitteln. Die Hoffnung lenkt unseren Blick auf eine bessere, schönere Welt und der Glaube gibt dieser Hoffnung Gewissheit: „Wir sind zwar noch nicht da, aber wir wollen dorthin. Und wir wissen, dass dieses Bild im Heiligen Geist schon Wirklichkeit ist.“ Dort, wo wir Schönheit bewusst einsetzen, z. B. Räume schöner gestalten, lenken wir den Blick der Menschen auf eine andere Wirklichkeit und vermitteln so Hoffnung. Räume schön gestalten fängt in der eigenen Wohnung an und betrifft auch halb-öffentliche Räume wie zum Beispiel Kindergärten, Schulen oder Gemeindehäuser.
Die Gaben des Heiligen Geistes
In 1. Timotheus 3,1 heißt es, dass die Leitung einer Gemeinde eine schöne Aufgabe ist. Mancher wird jetzt sagen: „Man ist schön blöde, wenn man ein solches Amt annimmt.“ Offenbar müssen wir die Schönheit dieser Leitungsaufgabe wieder entdecken. Laut dem Neuen Testament ist der Heilige Geist der eigentliche Leiter der Gemeinde und wir dürfen als seine Mitarbeiter mit ihm zusammen Gemeinde gestalten. Psalm 104,30 spricht davon, dass Gott durch seinen Geist die Erde erneuert. Der Heilige Geist ist ein Neu-Schöpfer. Durch ihn wird die uns umgebende Wirklichkeit verschönert. Und es ist schön, Gott beim Arbeiten zu erleben. Bohren legt Wert darauf, dass in den Gemeinden die Charismen gelebt werden, also jene Gaben, von denen der Heilige Geist jedem Gemeindeglied mindestens eine gegeben hat. Als Landeskirchler fordert Bohren, die Fokussierung auf den Pastor aufzugeben und die Laien stärker einzubinden. Er formuliert sogar: „Gott wird in den Laien schön.“ Was er damit meint: Im Zusammenspiel der verschiedenen Charismen des Geistes wird die Gemeinde schön und damit auch Gott. Schnell wird Schönheit als „Frauensache“ bezeichnet und an das meist rein weiblich besetzte Dekoteam delegiert. Wie gut wäre es zu erkennen, dass Schönheit genauso ein Thema für die Gemeindeleitung ist wie Wahrheit und Ethik.
Lasst uns mit Gottes Hilfe, das heißt mit seinem Heiligen Geist, die Welt und die Gemeinde nach den Gesetzen der Schönheit gestalten und so gegen das Gesetz des Hässlichen angehen, das durch den Sündenfall in die Welt kam. Dadurch wird Gott schön!
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