Nicht die Sache schwacher Menschen

Alltagstauglich

Irgendwie wissen wir es alle: Es gibt Dinge, die man nicht tun sollte. Entweder, man hat uns das gesagt, wir begehren dagegen auf und wollen nicht so recht gehorchen, oder – und das ist der weitaus bessere Fall – unser Gewissen mahnt uns, die Finger davon zu lassen. In beiden Situationen gilt: egal, warum der Mensch etwas Falsches tut, die dadurch entstehende Schuld hat nicht das letzte Wort. Von Wilfried Schulte.

Da lag es vor mir, das neue Blitzgerät für die Kamera meines Vaters. Neugierig, wie ein 10-jähriger Junge halt ist, wollte ich es mir sofort näher anschauen. Mein Vater bat mich aber, es liegenzulassen. Das Gerät sei sehr teuer gewesen und ich solle nicht damit spielen. Als mein Vater weg war, habe ich mir das Blitzgerät trotzdem näher angeschaut. Mit dem Ergebnis: nichts funktionierte mehr. Kein Blitz, kein Aufleuchten der Dioden. Ich packte alles zurück in die Schachtel und legte sie wieder an ihren Ort. Als mein Vater nach Hause kam, tat ich alles, um ihm aus dem Weg zu gehen. Ich hatte keinen Hunger, verzichtete auf das Abendessen und war sogar bereit, früh ins Bett zu gehen. Mein Vater ahnte, was passiert war, und fragte mich, was los sei. Also packte ich aus und beichtete meinen Ungehorsam. Meinem Vater gelang es, das Blitzgerät wieder in Gang zu bringen. Er erklärte mir noch einmal, wie wichtig es sei, ihm in dem zu folgen, was er mir sagt, und vergab mir. Danach hatte ich auch plötzlich wieder Hunger.

Mein angenagter Stolz

Ein Vertrauensbruch belastet jede Beziehung. In diesem Fall die zu meinem Vater. Trotz meines Ungehorsams war ich immer noch sein Sohn und trug seinen Namen, aber die vertrauensvolle Beziehung zu ihm war gestört. Mich meiner Schuld zu stellen, mich zu erklären, um Vergebung zu bitten und diese auch anzunehmen, fiel mir nicht leicht. Es nagte an meinem Stolz, das tun zu müssen, und es hat mich auch traurig gemacht. Ich war traurig, weil ich versagt hatte. Doch die Freude über die wiederhergestellte Beziehung wehte die Traurigkeit wie einen Nebel weg.

„Vergeben heißt nicht: bagatellisieren. Ein Unrecht ernst zu nehmen, ist die Voraussetzung dafür, es zu vergeben.“

Der Versuch zu vertuschen

Ich finde es interessant, dass diese Art von Traurigkeit auch in der Bibel angesprochen wird. Dort werden sogar zwei Arten von Traurigkeit beschrieben. Eine Traurigkeit, die Gott in uns legt und die uns empfindsam macht für falsches Verhalten, die zur Umkehr führen soll und die zum Ziel hat, eine Beziehung wieder ins Lot zu bringen. Und eine andere, eine menschliche Traurigkeit, die sich dafür schämt, dass man ertappt wurde. Diese führt dazu, dass man versucht, alles zu vertuschen oder sich rauszureden, indem man erklärt, dass andere auch nicht besser sind und so etwas auch tun.

Neugierde ist doch gut, sonst lernt man nichts. Ausprobieren erweitert doch das Wissen, und das sollte man doch nicht verbieten. So kann man die oben beschriebene Situation auch erklären, wenn man es drauf anlegt. Trotzdem bleibt der Vertrauensbruch bestehen. In dem Gebet, das Jesus seine Nachfolger lehrte, steht die Bitte: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Ohne Vergebung können wir nicht leben. Das gilt im Blick auf Gott und auf unsere Mitmenschen.

Von Verpflichtung entbunden

Vergeben heißt nicht: vergessen. Verwundungen leben meist in der Erinnerung weiter, auch wenn sie verheilt sind, doch sie bekommen eine andere Wertigkeit. Vergeben heißt nicht: bagatellisieren. Ein Unrecht ernst zu nehmen, ist die Voraussetzung dafür, es zu vergeben. Vergeben ist kein Zeichen von Schwäche. Vergeben ist auch nicht passiv. Es signalisiert demjenigen, dem vergeben wird, auch kein „Nachgeben“. Echtes Vergeben ist ein couragierter Schritt, um Vertrauen wiederherzustellen.  

Vergeben bedeutet nicht: gutheißen oder entschuldigen. Im Gegenteil. Vergeben heißt: anerkennen, dass Unrecht geschehen ist, das dann aber nicht angerechnet wird. Gott spricht dem Menschen diese Vergebung zu. Das im Neuen Testament meist mit „Vergebung“ übersetzte griechische Wort bedeutet auch „erlassen“. Vergebung in diesem Sinn bedeutet, dass eine Person von einer Verpflichtung entbunden wird. Wer vergibt, entbindet einen Täter von Schuld und sich selbst von negativen Gefühlen und Gedanken.

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