Ich trage nichts nach

Ratgeber

Gut, wenn einer das sagen kann. Besser noch, wenn er es auch leben kann. Denn das ist mal klar: der Satz kommt einem schnell über die Lippen – und dabei macht der Ton dann die Musik. Zynisch? Herzlich? Bitter? Liebevoll? Wer spricht, kann sich verstecken, wer handelt, nicht. Was das mit Gott zu tun hat? Von Viktor Löwen.

Wenn man das Vaterunser (Matthäus 6,9 – 13) spricht, stolpert man vielleicht über den Nachsatz „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Ich selbst zögere, diesem Vergleich zuzustimmen: Unser Vater im Himmel soll mir meine moralische Schuld bitte nur in der Weise und in dem Maße erlassen, wie  ich das auch bei meinen Mitmenschen tue!? Dieser „Deal“, mein Vergebungshandeln zu Gottes Maßstab zu machen, scheint mir zu riskant zu sein, weil ich damit rechnen muss, Unrecht eben nicht ausreichend zu vergeben. Deswegen bin ich geneigt, diesen Nachsatz zügig durchzubeten und zur Seite zu schieben. Wodurch ich riskiere, eine Gelegenheit zu verpassen.

Nicht verharmlosen

Die Bibel gibt uns Hoffnung für unsere gestörten und zerstörten Beziehungen zu anderen Menschen und zu Gott: sie können durch Vergebung geheilt werden. Unsere Bitte aus dem Vaterunser nennt zwei Seiten davon. Auf der einen Seite vergibt Gott uns Menschen. Auf der anderen Seite sollen wir Menschen einander vergeben. Wenn nun zwischenmenschliche Vergebung nicht stattfindet, dann liegt es erfahrungsgemäß nicht selten an demjenigen, der schuldig geworden ist. Der wird nämlich dazu aufgefordert, sein Vergehen aufrichtig zu bereuen, um Verzeihung zu bitten, die Konsequenzen zu tragen und den Schaden – soweit es geht – wiedergutzumachen (vgl. den langen Weg der „Umkehr“ beim verlorenen Sohn in Lukas 15, 17ff; außerdem Matthäus 5,23 – 26; 18,26 – 27). Dann allerdings bin ich gefordert: ich soll ihm vergeben bzw. verzeihen. Und das bedeutet: ich heiße weder die Tat an sich noch ihre physischen oder psychischen Schäden gut. Auch verharmlose ich sie dadurch nicht. Ich muss und kann sie nicht „ungeschehen“ machen, ebenso wenig muss ich sie „vergessen“ können. Gleichzeitig bedeutet das: ich spreche ihn von seiner Schuld frei, erlasse sie ihm, rechne sie nicht auf, zahle es ihm nicht heim, trage ihm nichts nach. Und wenn ich darauf verzichte, ihn schlecht zu behandeln, fehlt nicht viel, um ihn auch „gut“ zu behandeln. In diesem Sinne setzt der Vorgang des Vergebens Jesu wichtigstes Gebot praktisch um, nicht nur den „Nächsten“, sondern auch den „Feind“ zu lieben (Matthäus 5,43 – 47).

Nicht relativieren

Jesus verstärkt das Vergebungsgebot, indem er es mit dem „Talionsprinzip“ verknüpft (so in Matthäus 6,14 – 15; 18, 21 – 35; Markus 11,25 – 26; Lukas 6,36 – 38; Jakobus 2,13): Gott wird mein Vergebungshandeln „imitieren“, im Positiven sowie im Negativen. Dahinter verbirgt sich die typisch christliche Logik, dass sich meine vertikale Beziehung auf meine horizontalen Beziehungen auswirken muss (vgl. Matthäus 18,21 – 35). Am Anfang steht nämlich eine tiefgreifende Erfahrung. Ich war tief betroffen über mein fehlerhaftes Leben und fand in Jesus denjenigen, der selbst völlig „unschuldig“ war, meine Schuld auf sich nahm und für sie am Kreuz büßte, so dass Gott mir vergeben konnte und Frieden mit ihm schuf. Wer diese Erfahrung gemacht hat, soll nun auch in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen Fehlverhalten und Schuld immer wieder vergeben. Umgekehrt heißt das: Wenn ich jedoch nicht grundsätzlich bereit bin, anderen zu vergeben, habe ich nicht wirklich verstanden, was am Kreuz für mich geschehen ist. Dann relativiere ich entweder die Größe meiner Schuld oder die Größe der Vergebung Gottes. Kann ich tatsächlich ernsthaft verlangen, dass Gott mich großzügiger behandelt, als ich andere behandele? Ich muss mich für das eine Prinzip entscheiden, das in allen meinen Beziehungen gelten soll: mit oder ohne Vergebung?

Dabei kann es mir helfen, mir bildhaft vor Augen zu führen, dass ich genauso vor Jesu Kreuz stehe wie mein Nächster – beide nebeneinander, beide brauchen Vergebung. Und beiden wird sie zuteil.

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