Ich bin ein Jesusinfizierter
Interview
Pfarrerssohn, Ehemann, Chefreporter, Historiker, Autor – Dr. Markus Spieker ist so einiges, um nur eine Auswahl zu nennen. Aber dies ist er auch: ein leidenschaftlich Suchender und endlos Begeisterter. Suchend nach und begeistert von Jesus Christus. Über dessen Leben und Wirken schreibt er und meint: Das ist Weltgeschichte! Das Gespräch führte Detlef Eigenbrodt.
Markus, du schreibst ein 1000seitiges Buch über Jesus, von dem du sagst: „Es ist eben doch noch nicht alles gesagt“. Ich weiß, das ist fast unmöglich: Aber sollte der Journalist und Drehbuchautor in dir einen 90-Sekünder über das Buch machen müssen, was dürfte in dem kurzen Clip auf keinen Fall fehlen?
Dann würde ich am liebsten die vielen spannenden Persönlichkeiten mit hineinnehmen, die auf die eine oder andere Art mit Jesus und seiner Geschichte zu tun haben: Sokrates, Cleopatra, Ovid, Agrippina, Philo, Boethius, Hildegard von Bingen, Meister Eckart, Kopernikus, Caspar David Friedrich, Jane Austen, Wittgenstein, Eric Liddell, Wim Wenders … Einfach, um zu zeigen, wie sehr unsere ganze Weltgeschichte von Jesus geprägt wurde.
Damit könnte der 90-Sekünder aber schnell zum 90-Minüter werden …
… (lacht) … schon möglich …
Sag, bereits im Vorwort auf Seite 15 legst du dich fest: Jesus ist der Erlöser. Haben die Menschen heute nicht oft den Eindruck sie hätten keine Erlösung nötig oder wüssten gar nicht, wovon sie denn erlöst werden müssten?
Das stimmt leider. Viele Leute von heute sind auf eine tragische Art bindungslos. Sie haben mehr oder weniger gute Beziehungen zu anderen Menschen – aber nicht zum Ursprung und Ziel allen Seins, nämlich Gott. Meiner Meinung nach liegt das nicht an irgendeiner mysteriösen Verblendung, sondern ganz banal am Wohlstand unserer Tage. Zu viel Besitz und Zerstreuung führen zu Selbstbezogenheit und einem rein diesseitsorientierten Tunnelblick. Da schwindet einerseits die Dankbarkeit dafür, dass man überhaupt das Leben geschenkt bekommen hat, ganz zu schweigen von einem Bewusstsein für das ewige Leben. Wer viel hat, will immer mehr, und zwar jetzt gleich. Die Triebkraft der modernen Konsumgesellschaften ist Gier, nicht Hoffnung. Also auch keine Hoffnung auf Erlösung zu einem ewigen Leben.
Und du? Wann und wie hast du begriffen, dass du Erlösung brauchst?
Ich beschreibe meine eigene christliche Sozialisation gerne mit dem „Obelix-Effekt“: Ich bin als Kind in den Zaubertrank des Evangeliums gefallen, habe nie eine radikale Umkehr erlebt, sondern Jesus immer als Herrn und Freund wahrgenommen. Aber ich habe mich natürlich immer wieder in falsche Ecken manövriert, in falsche Abhängigkeiten begeben, mich in mir selbst verstrickt – und muss immer wieder bei Jesus um Befreiung bitten. Das ist meine große Sehnsucht, die nie aufhört: dass Gott mir täglich hilft, mich ihm und meinen Mitmenschen liebevoll zuzuwenden. Und das kann – wie alle Christen wissen – echt herausfordernd sein.
Du baust deine Jesus-Biografie in drei Bereiche auf: Schöpfer, Retter, Freund …
Ja, mein größtes Anliegen ist es, herauszustreichen, dass Jesus die Fülle ist. Also nicht nur der Not-Anker, den Gott uns zugeworfen hat. Durch ihn, so betont Paulus, ist die Welt erschaffen worden. Und er ist auch nach Auferstehung und Himmelfahrt bei uns – durch den tröstenden und helfenden Freund, den Heiligen Geist. Wie das alles genau zusammen passt, übersteigt unsere Vorstellung. Aber vielleicht hilft das, was ich in meinen drei Hauptteilen geschrieben habe, zum besseren Verständnis.
Aber wo findet der Mensch heute denn diesen Jesus noch?
Ganz klassisch: Erstens in der eigenen Sehnsucht nach genau diesem Gott, der sich in Jesus gezeigt hat. Zweitens in der Begegnung – vor allem durch Gebet und Bibellektüre. Drittens in der liebevollen Gemeinschaft mit anderen Menschen, die sich auf Jesus ausrichten. Da ist Jesus, wie er seinen Jüngern zusichert, mittendrin. Ich gebe zu: Das ist leichter gesagt als getan. Gerade in einer Zeit, in der die Aufmerksamkeit ein so knappes Gut geworden ist und so viele Konkurrenten darum wetteifern.
Und die Kirche? Welche Rolle spielt sie dabei?
Eine deprimierende Erfahrung der letzten zweitausend Jahre ist: Christen sind ebenso wenig fähig, mit Macht umzugehen, wie andere Menschen. Institutionen sind zwar wichtig, weil sie dem menschlichen Bedürfnis nach Ordnung und Kontrolle entgegenkommen. Aber sie haben die Tendenz, sich zum Selbstzweck zu machen. Deutlich wird das, wenn etwa im „Zukunftspapier“ der Evangelischen Kirche in Deutschland das Wort „Kirche“ zwanzigmal öfter vorkommt als der Name Jesus. Ganz zu schweigen von den kirchlichen Verbrechen während des Mittelalters und der Renaissance oder von den Unterlassungssünden während der Nazi-Zeit. Was mich dennoch beeindruckt: Christen gelingt es immer wieder, sich zu korrigieren. Es sind gerade die Reformer und Widerständler, an die wir uns erinnern: Franz von Assisi, Luther, Bonhoeffer. Kirche ist eben da, wo Jesusjünger zusammen sind. Und davon gibt es im 21. Jahrhundert mehr als je zuvor.
Markus, in deinen Credits am Ende des Buches nennst du eine ganze Reihe von Namen von Freunden und Wegbegleitern, mit denen du Gefahr laufen könntest, in eine „Ecke“ gestellt zu werden. Wie ist deine persönliche Positionierung?
Meine Ecke, die ich sehr behaglich finde, ist diejenige, in der auch der Autor des „Offenbarungsbuchs“ hockte. Er spürte, dass die „erste Liebe“ zu Jesus kalt und starr geworden war. Er sehnte sich nach Leidenschaft, genau wie die anderen Initiatoren von geistlichen Aufbruchsbewegungen: der Ordensgründer Benedikt, der Armenapostel Franziskus, der Reformator Luther, die Pietisten Spener, Francke, Zinzendorf. Ich bewundere ihre Hingabe. Ich mag aber auch sehr unorthodoxe Jesusfans wie Emily Dickinson und Ludwig Wittgenstein. Von meinem Naturell her bin ich nicht sonderlich spirituell veranlagt. Meditation fällt mir schwer, lange Gebetseinheiten auch. Ich bevorzuge das Sichtbare, Fassbare, Konkrete. Wie der Apostel Thomas.
Du schreibst, dass deine Eltern dir Jesus nahegebracht haben. Wie genau haben sie das denn gemacht und was davon hast du für dich als Haltung übernommen?
Manche Leute klagen darüber, dass sie ein eher distanziertes Verhältnis zu Gott haben. Ich hatte das Glück, in einem Haus aufzuwachsen, in dem Jesus ganz selbstverständlich präsent war. In den Geschichten, die ich gehört habe, in den oft spontanen Gebeten, die meine Eltern gesprochen haben. Für ein Pfarrhaus, in dem ich ja aufgewachsen bin, ist das gar nicht selbstverständlich. Ich kenne andere Pfarrerskinder, deren Eltern ein geradezu berufliches Verhältnis zu Gott hatten. Bei meinem Vater war das ganz anders: Die Jesusverkündigung war kein Job, sondern eine Leidenschaft und ein Privileg. Die Begeisterung, die auch meine Mutter absolut teilte, hat mich angesteckt. Ich bin ein Jesus-Infizierter. Und hoffentlich auch ein wenig ansteckend.
Danke, lieber Markus, für das Gespräch, für das Buch und für deine Leidenschaft.
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