Was ich wirklich brauche
Plädoyer
Wer beginnt, sein Leben mit dem eines anderen zu vergleichen, macht unter Umständen spannende Entdeckungen. Aber nur dann, wenn er ernsthaft und ehrlich mit sich selbst ist. Dr. Steffen Schulte plädiert dafür, dass sich jeder zunächst nur eine einzige Frage stellt. Und zieht daraus bemerkenswerte Schlüsse.
Im Matthäusevangelium erzählte Jesus eine herausfordernde Geschichte. In diesem Gleichnis beschreibt er, wie ein Weinbergbesitzer im Laufe des Tages verschiedene Personen anstellt. Mit jedem dieser Arbeiter vereinbart er zuerst den Tageslohn. Am Ende des Tages wird er an alle ausbezahlt. Zu ihrer Verwunderung erhalten sie alle den gleichen Lohn für ihre Arbeit, egal wie lange sie gearbeitet hatten. Alle, die schon frühmorgens die Arbeit aufgenommen hatten, waren frustriert, ja sogar wütend. Sie hatten am längsten und während der heißen Mittagsstunden gearbeitet. Darum hatten sie natürlich gehofft und auch erwartet, dass sie mehr bekommen würden als diejenigen, die erst am späten Nachmittag die Arbeit aufgenommen hatten. Andererseits bekamen sie genau den Lohn ausgezahlt, der mit ihnen vereinbart worden war und mit dem sie auch einverstanden waren als er ausgehandelt wurde. Hätten sie nicht gewusst, dass die später hinzugekommenen Arbeiter den gleichen Lohn wie sie erhalten hatten, dann wären sie glücklich nach Hause gegangen. Schließlich entsprach ihr Lohn auch dem damaligen Standard.
Das passt uns nicht
Diese Geschichte stört und irritiert uns. Wahrscheinlich sympathisieren wir mit den verärgerten Arbeitern. Wie sie behandelt werden, widerspricht unserem Gerechtigkeitsempfinden. Und das obwohl der Weinbergbesitzer alle wie besprochen und versprochen entlohnt hat. Ungleiches wird hier gleich behandelt. Diese gefühlte Ungerechtigkeit entsteht allerdings erst durch das Vergleichen. Hätte der Weingärtner den erst später hinzugekommenen Arbeitern weniger bezahlt, dann hätten alle, die länger als sie oder vom frühen Morgen an gearbeitet hatten, kein Problem gehabt. Was wir als gerecht empfinden ist also durchaus auch subjektiv. Es hängt nicht nur davon ab, wie wir selbst behandelt werden, sondern auch davon, wie andere unserer Meinung nach behandelt werden sollten.
Im täglichen Leben kommen wir immer wieder in Situationen, in denen wir etwas hören oder sehen und dann denken: „Das ist doch ungerecht!“ Manche Menschen werden schnell krank, andere nicht. Einige werden in wohlhabende Verhältnisse hineingeboren, andere in arme. Da gibt es Menschen, die sehr gesundheitsbewusst leben und trotzdem früh sterben. Ich weiß noch, wie lange ich in der Schule für einen Französisch-Test lernen musste, um am Ende doch nur eine Vier zu bekommen. Andere dagegen mussten viel weniger lernen und bekamen viel bessere Noten. Sehr deutlich kann ich das auch bei meinen Kindern beobachten. Fast täglich höre ich von ihnen Sätze wie: „Das ist nicht fair!“ oder „Das ist doch so ungerecht!“ Und ganz oft folgt dann die Argumentation, dass andere Kinder etwas dürfen, sie aber nicht, oder dass wir Eltern zum Beispiel lange aufbleiben dürfen, sie als Kinder aber nicht. Unser Gefühl für das, was gerecht ist, messen wir häufig an dem, was andere haben oder dürfen und an den Erwartungen, die das in uns weckt. Als ungerecht empfinden wir daher nicht nur, dass wir manches nicht bekommen, sondern oft auch, dass es andere gibt, die mehr haben oder können als wir.
Hierbei geht es mir nicht um Ungerechtigkeit im Sinne von Unterdrückung oder Ausbeutung. Der Weinbergbesitzer ist fair, er bezahlt keinem zu wenig. Der entscheidende Aspekt ist: wie sollen wir mit unseren Erwartungen und Ansprüchen umgehen?
Was uns unglücklich macht
Gerecht ist doch, wenn Gleiches gleich behandelt wird. Hier muss man sich die Frage gefallen lassen: Was ist gleich? Und sollen die Verhältnisse nach oben oder nach unten hin angepasst werden? Wenn wir fordern, dass Gleiches gleich behandelt werden soll, dann meinen wir damit, dass wir gleichauf sein möchten mit denen, die mehr haben als wir. Die Angleichung soll immer nach oben erfolgen. Gleiches gleich zu behandeln bedeutet für uns oft, dass man selbst besser behandelt werden will. Ich will die gleichen Möglichkeiten haben wie mein reicher Nachbar, nicht aber die, mit denen eine arme Person zurechtkommen muss, die zum Beispiel in den Townships in Südafrika lebt. Und Bewohner von südafrikanischen Townships empfinden es bestimmt auch als ungerecht, dass ich so viel mehr habe als sie.
„Unser Gefühl für das, was gerecht ist, messen wir häufig an dem, was andere haben oder dürfen und an den Erwartungen, die das in uns weckt.“
Der dänische Philosoph und Theologe Søren Kierkegaard schrieb: „Alle Not kommt vom Vergleichen!“ Diverse Studien zeigen zum Beispiel, dass Facebook uns genau deshalb unglück
lich macht. Wir vergleichen unser Leben mit den Posts der anderen und blicken enttäuscht und frustriert auf unser eigenes Leben. Tom DeLong, Autor des Buches „Flying without a Net“ nennt dies die Vergleichsfalle. Er schreibt „Egal wie erfolgreich wir sind und wie viele Ziele wir erreichen: Diese Falle sorgt dafür, dass wir unsere Errungenschaften neu einordnen und unsere Parameter, mit denen wir 'Erfolg' definieren, neu einstellen. Wir vergleichen unser ganzes Leben mit den Erfolgsmeldungen unserer Freunde. So setzen wir uns unerreichbare Maßstäbe und fühlen uns elender als je zuvor.“
Der Blick über den Gartenzaun
Was wäre denn, wenn wir uns nicht immer wieder mit anderen vergleichen würden? Was würde sich ändern? Was hält uns davon ab das Vergleichen aufzugeben? Vielleicht die Angst zu kurz zu kommen? Oder ausgenutzt zu werden? Den gesunden Menschenverstand sollten wir nicht abschalten, aber es wäre hilfreich, all die Not zu erkennen, die wir uns selbst durch das Vergleichen einhandeln. Die Frage, die wir uns eigentlich stellen sollten, ist nicht: „Was haben die anderen?“ Sondern vielmehr: „Was brauche ich wirklich?“ Und damit verbunden die Frage: „Bekomme ich wirklich zu wenig, und bekommen die anderen tatsächlich zu viel?“
Wenn wir uns schon mit anderen vergleichen, dann aber auch richtig! Kierkegaard hat unbestritten etwas Wahres entdeckt. Trotzdem: es stimmt nicht, dass Vergleichen immer zu Not führt. Das sich Vergleichen mit Bessergestellten macht undankbar und schafft Not – das stimmt. Aber Vergleiche mit Personen, denen es weniger gut geht als uns, machen dankbar. Vergleichen wir uns doch mehr nach unten hin und richten unsere Gedanken auf all das aus, was wir schon haben. Dann entsteht Dankbarkeit, und das ist ein sehr schönes Gefühl. Gönnen wir uns doch selbst etwas mehr Großzügigkeit, wenn andere mehr haben als wir indem wir uns daran erinnern, dass wir genug haben. Das Traurige ist, dass wir mühelos zufrieden sind, wenn andere weniger bekommen oder haben als wir. Üben wir uns doch darin, uns darüber zu freuen, wenn es anderen besser geht als uns. Dabei kann ein Dankbarkeitstagebuch hilfreich sein. Schreiben Sie jeden Tag fünf Dinge auf, für die Sie dankbar sind. Am besten immer wieder neue Dinge. Sie werden dabei wahrscheinlich auch merken, dass es Lebensbereiche gibt, in denen es Ihnen bessergeht als anderen.
Von Privilegien und Rechten
Wir sollten aber nicht Privilegien mit Anrechten verwechseln. Leicht kann es passieren, dass wir ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass auch wir all das verdient hätten, was andere schon haben. Im Englischen gibt es dafür den schönen Begriff „Entitlement“. Man kann ihn mit „Anspruchsdenken“ übersetzen. All die Errungenschaften und Privilegien, mit denen wir aufwachsen, halten wir für unser Recht und sehen sie nicht mehr als Privilegien. Trotzdem ist selbst ein etabliertes Privileg kein Recht, das wir einfordern könnten.
Gerecht ist, wenn Gleiches gleich behandelt wird. Für Gott sind wir alle gleich. Geliebte Geschöpfe, die unter ihrer Sünde und Schmach leiden und seine Hilfe brauchen. Und Gott behandelt uns alle gleich. Unverdient bietet er uns das ewige Leben an. Damit meinen wir nicht einfach ewig anhaltendes Leben, sondern wirklich gutes Leben. Ein Leben, das frei ist von Angst. Gott ist wie der Weinbergbesitzer, er schenkt uns das Leben, so wie er jedem der Arbeiter einen Tageslohn gab. Es ist ein Privileg, jedoch kein Recht. Dabei ist es Gottes Art, gönnerhaft zu sein. Wer Jesus kennt, der hat schon allein dadurch viel mehr, als er je verdienen könnte und alles, was er für ein gutes Leben braucht. Wenn wir das im Blick haben, dann können wir uns sogar über andere freuen, die mehr bekommen, als sie verdient haben. Dann kommen wir auch raus aus der Vergleichsfalle, und das ist auf jeden Fall besser, als bitter und verärgert zu sein.
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