Sklaverei - Wenn ganzer Einsatz Hoffnung schafft

Reportage

Wer anfängt, sich im Kampf für die Rechte der Ärmsten einzusetzen, hat eine große und oft sehr herausfordernde Aufgabe vor sich. Umso größer sind die Freude und Dankbarkeit, wenn Veränderung gelingt: Hunderte von Kindern aus dem Sexhandel zu befreien und das Verbrechen nachhaltig zu senken. Judith Stein berichtet, was die International Justice Mission (IJM) dafür in Kambodscha getan und erreicht hat.

Die dunkelsten Orte der Welt sind Orte voller Hoffnungslosigkeit. In den 90er Jahren war Kambodscha ein solcher Ort. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg und die politischen Unruhen hatten ein Land hinterlassen, das nahezu kollabiert war. Der Umstand, dass durch die Übergangsregierung viele Ausländer und später auch Touristen ins Land kamen und einheimische Familien auf schnelles Geld angewiesen waren, begünstigte die Sexindustrie. Auch Sex mit Kindern wurde angeboten. Zuhälter und Kunden fürchteten keine strafrechtliche Verfolgung, denn das Rechtssystem war nahezu unfähig, auf Verbrechen zu reagieren und Recht durchzusetzen. Für weltweites Aufsehen sorgten international die Schlagzeilen über das Dorf Svay Pak, in dem kleine Kinder offen auf der Straße verkauft wurden. Eines dieser Kinder war Mien. Ihre Familie war sehr arm. Tagtäglich erlebte das Mädchen Gewalt durch ihren alkoholkranken Vater. Als sie 14 Jahre alt war, verkauften ihre Eltern sie an ein Bordell in der Nachbarschaft. Jeden Tag und jede Nacht wurde Mien dort vergewaltigt. Auch als die Familie umziehen musste, ging der Alptraum weiter. Wieder wurde das Mädchen an ein Bordell verkauft. 

Die Fall-Akten, die International Justice Mission bearbeitet, sind voller Berichte über Ungerechtigkeit, Gewalt und Machtmissbrauch. Die Aussagen der Betroffenen offenbaren tiefen Schmerz und schwere Traumata. Sie wurden ihrer Freiheit beraubt und haben schwere (sexuelle) Gewalt und Ausbeutung erlebt. In fast jedem Fall sind Kinder involviert. Diese Realitäten können schnell den Glauben an einen guten Gott und die Hoffnung, dass Gerechtigkeit für die Betroffenen möglich ist, zerstören. Das Gefühl von Ohnmacht kann überwältigend sein. Das ist fatal für diese Menschen, die unsere Hoffnung und konkrete Taten, die daraus erwachsen, dringend brauchen. Egal, wo und wie wir mit Unrecht konfrontiert sind, brauchen wir Hoffnung. Doch wie bekommen wir Hoffnung? Ich erlebe, wie Berichte von Veränderungen echte Hoffnungsspender sein können. Als ich zu einem Projektbesuch in Kambodscha war, hat mich diese Veränderung sehr bewegt.

Recherchen im Untergrund

Als IJM im Jahr 2000 zum ersten Mal ein Ermittlerteam nach Kambodscha sandte, glaubte niemand im Land, dass irgendwer den Sexhandel mit Kindern eines Tages stoppen könnte. Unterschiedliche Quellen gaben an, dass die Zahl der Minderjährigen in der Prostitution zwischen 15 und 30 Prozent liegt. Die Ermittler wollten sich ein eigenes Bild von der Lage machen und recherchierten über Wochen in Strandbars, Biergärten, Massagesalons und Bordellen. In einer Bar trafen sie auf Sarouen. Er arbeitete dort als DJ und Barkeeper, recht missmutig, denn die Bar machte ihm jeden Tag neu bewusst, dass er seine Träume begraben musste. Der Bürgerkrieg und seine Folgen prägten sein Leben von klein auf. Als Kind stieß Sarouen beim Spielen auf eine Mine, die eine seiner Hände zerstörte. In der Schule war er ein guter Schüler, doch der Unterricht fand nicht regelmäßig statt. Nur mit viel Mühe schaffte er später einen Abschluss. Weil er nicht studieren konnte, wurde Sarouen Englischlehrer. Doch der Staat hatte zu wenig Geld, um Lehrer zu bezahlen. Vergeblich wartete er auf eine Stelle. Deshalb nahm er den Job in der Bar an, um seine Familie versorgen zu können. Die Ermittler fassten schnell Vertrauen zu Sarouen und baten ihn, als Informant zu recherchieren, ob die Bar in den Sexhandel mit Kindern verstrickt sei. Zum ersten Mal sah Sarouen wieder Sinn in dem, was er tat. In ihm wuchs der Wunsch, als Rechtsanwalt für die betroffenen Kinder einzustehen. Mit Hilfe und Unterstützung studierte er in Rekordzeit Jura. Sarouen wurde einer der ersten Mitarbeiter des seit 2004 offiziell in Kambodscha arbeitenden Werkes. In seinem ersten Jahr als Anwalt erreichte er bereits 37 Verurteilungen von Kinderhändlern.

Dank eines dichten Netzwerks von Partnerorganisationen und Behörden konnten Hunderte Kinder, die für Sex angeboten wurden, befreit werden. Auch Mien wurde 2007 endlich befreit. Mit ihr sieben weitere Mädchen und junge Frauen. Jetzt war sie endlich frei, doch der jahrelange Missbrauch hatte tiefe Spuren hinterlassen. Sie fühlte sich wertlos und glaubte nicht daran, dass es für sie ein Leben außerhalb des Bordells geben könnte. Psychologen und Sozialarbeiter begleiteten sie, und bald begann Mien mit einer Traumatherapie. Langsam gewann sie ihr Selbstbewusstsein zurück. Zeitgleich unterstützte IJM den Staatsanwalt im Prozess gegen Miens Zuhälter. Mit Erfolg: Fünf Täter wurden verurteilt. Nach einiger Zeit zog Mien in ein Nachsorgezentrum in Svay Pak, ihrer alten Heimat. Hier hatte sich vieles verändert. Sämtliche Bordelle waren von der Polizei geschlossen worden. In dem Bordell, in dem Mien ausgebeutet worden war, hatte nun ein Jugendzentrum Platz gefunden. Mit viel Freude engagierte sie sich dort. Heute ist Mien verheiratet und arbeitet als Schneiderin für ein Mikro-Kredit-Unternehmen. 

Ergebnisse, die es in sich haben

Sarouen gilt als einer der besten Anwälte in Kambodscha. Durch ihn und viele andere Mitstreiter hat Kambodscha ein Modell entwickelt, wie es den Kinderhandel nachhaltig beendet. Bis 2015 trug IJM zu der Verurteilung von 193 Tätern und Täterinnen wegen Kinderhandel bei. 500 Kinder unter 18 Jahren wurden befreit. Eine Studie ergab, dass die Zahl der Minderjährigen in der Prostitution in drei der zuvor am stärksten betroffenen Regionen auf 2,2 Prozent zurückgegangen ist. Die Zahl der Kinder unter 15 Jahre sogar auf 0,1 Prozent. Mien und Sarouen sind Beispiele für kraftvolle Veränderungen von einzelnen Menschen. Und sie sind Teil einer größeren, strukturellen Veränderung in ihrem Land. Das macht Mut. Deshalb gehen jetzt Behörden und IJM gemeinsam eine neue Herausforderung an:  Die Bekämpfung von Arbeitssklaverei in Kambodscha und seinen Nachbarländern. Das Projekt ist getragen von Hoffnung. Und so wird ein düsterer Ort heller und heller.

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