Im tiefsten Sinn befriedet

Persönlich

Es gibt Einschnitte ins Leben, die unerträglicher kaum sein können. Die mit abgrundtiefem Leid und großer Dunkelheit alle Perspektiven zerstören wollen. Zerstören können. Aber nicht zerstören müssen. Arne Kopfermann hat das erlebt und versucht in Worte zu fassen, was fassungslos und sprachlos macht. Und gewinnt am Ende eine neue Erkenntnis.

Unser Mädchen ist vor etwas mehr als drei Jahren weitergezogen. An den Ort, wo es keinen Schmerz, kein Leid und keine Tränen mehr gibt. An dem Zeit keine Rolle mehr spielt und unsere Sorgen und Ängste verstummt sind. Der meine Vorstellungskraft sprengt. Und der mich seitdem mit einer Sehnsucht erfüllt, die ich vorher nicht kannte. Wenn ich mir ein Bild von der Ewigkeit mache, ist es ein unendliches Land voller wilder Schönheit, unverdorbener Natur, quirligen Lebens, atemberaubender Farben und anderer Sinneswahrnehmungen, von denen ich noch keine Vorstellung habe. Meine Tochter darf dieses Land schon entdecken. Voller Ausgelassenheit. Und im tiefsten Sinne befriedet.

Vom Moment unseres Unfalls an, der Sara das Leben gekostet hat, haben meine Frau und ich eine innere Gewissheit gehabt, die uns in den Jahren nie verlassen hat: dass es Sara gut geht. Dass sie von Jesus liebevoll in Empfang genommen wurde. Weil das Haus seines Vaters viele Wohnungen hat. Und eine davon ist für unser Kind bestimmt. So wie irgendwann eine für uns bestimmt sein wird. 

Das Raunen der Ewigkeit

Es gibt dort keine Trauer. Keine Angst. Keinen Streit. Keinen Terror, keine Glaubenskriege, keine Flüchtlingsströme, keine Umweltzerstörung, keine Hurrikans und Tsunamis. Keine irren Staatsoberhäupter, kein Mobbing und keine Untreue, keine Lieblosigkeit und Ausländerfeindlichkeit und auch keine schlechte Musik ... Dieser Ort ist ein Ort des Friedens. Ein Ort, zu dem es mich hinzieht, aber der noch so furchtbar weit entfernt scheint. Paulus schrieb damals den Römern im achten Kapitel seines Briefes in den Versen 14 bis 24: „Ich bin ganz sicher, dass alles, was wir in dieser Welt erleiden, nichts ist verglichen mit der Herrlichkeit, die Gott uns einmal schenken wird. Darum wartet die ganze Schöpfung sehnsüchtig und voller Hoffnung auf den Tag, an dem Gott seine Kinder in diese Herrlichkeit aufnimmt. Ohne eigenes Verschulden sind alle Geschöpfe der Vergänglichkeit ausgeliefert, weil Gott es so bestimmt hat.

„Der Schmerz ist erdrutschartig und in den ersten Jahren buchstäblich allumfassend.“

Aber er hat ihnen die Hoffnung gegeben, dass sie zusammen mit den Kindern Gottes einmal von Tod und Vergänglichkeit erlöst und zu einem neuen, herrlichen Leben befreit werden. Wir wissen ja, dass die gesamte Schöpfung jetzt noch leidet und stöhnt wie eine Frau in den Geburtswehen. Aber auch wir selbst, denen Gott bereits jetzt seinen Geist als Anfang des neuen Lebens gegeben hat, seufzen in unserem Innern. Denn wir warten voller Sehnsucht darauf, dass Gott uns als seine Kinder zu sich nimmt und auch unseren Körper von aller Vergänglichkeit befreit. Darauf können wir zunächst nur hoffen und warten, obwohl wir schon gerettet sind. Hoffen aber bedeutet: noch nicht haben ... Diese Worte beschreiben so treffend genau meine  Gedanken.

Das erste Lied, das ich nach Saras Tod geschrieben habe – nach fast vier Monaten, in denen ich nicht sicher war, ob ich überhaupt wieder würde komponieren können – drückt diese Hoffnung aus. Sie gehört zu mir wie eine zweite Haut:

Wenn alles gesagt ist,
die Arbeit vertagt ist,
der Abend zum Ende sich neigt.
Wenn Worte versiegen,
dann kommt zum Erliegen die drängende Rastlosigkeit.
Dann halte ich inne,
verschließe die Sinne
für das Pulsieren der Zeit
und such deine Nähe,
die ich nicht verstehe:
das Raunen der Ewigkeit.

Wenn alles gesagt ist,
durchdacht und gefragt ist,
dann find ich ins Auge des Sturms.
Mal muss ich mich schleppen,
dann eil ich die Treppen
hinauf zu der Spitze des Turms.
Ich ahne die Wahrheit
und atme die Klarheit,
die deinen Himmel durchweht.
Ich will hier verweilen
und schreib ein paar Zeilen,
woraus meine Hoffnung besteht.

Denn du bist, der du bist,
und du tust, was du sagst,
und in deinem Licht seh’ ich das Licht.

Ich kann mein Vertrauen
doch nur auf das bauen,
was hinter dem Horizont liegt.
Was dort schon geschieht,
doch mein Auge nicht sieht,
ist, was mich in Sicherheit wiegt.
Das Ziel meiner Träume,
es öffnet mir Räume
für Farbe und Wärme und Klang.
Es füllt meine Sinne,
halt ich jetzt nur inne
und folg diesem inneren Drang.

Den kindlichen Glauben
kann mir niemand rauben:
er trägt auch im dunkelsten Tal.
Dies innere Wissen
will ich nicht mehr missen,
erscheint es auch irrational.
Dies innere Sehnen,
mich an dich zu lehnen,
ist tief in mein Herz eingebrannt -
am Ziel meiner Reise,
ganz friedlich und leise,
hinüber zu gehen in dein Land.

Frieden im Auge des Sturms

Frieden für mich persönlich hier auf der Erde gibt es wohl noch lange nur im Auge des Sturms. Denn der Schmerz ist erdrutschartig und in den ersten Jahren buchstäblich allumfassend. Tränen sind ein fester Begleiter geworden, und auch beim Schreiben dieses Artikels fließen sie reichlich. Wenn ich unser Haus, das noch vor kurzem mit so viel Leben gefüllt war, nicht mit Musik fülle, dann schreit mich die Stille an - und verbreitet sicher alles, nur keinen Frieden. Und der Schritt mit meiner Trauer in die Öffentlichkeit kommt mit einem Preis: jede Woche erreichen mich E-Mails und Briefe von Menschen, die sich aus ihrer Isolation und Sprachlosigkeit wagen und nun ihrerseits von ihrem Schmerz erzählen.

Dies ist keine heile Welt. Aber eine der Begleiterscheinungen unserer Zeit ist, dass manche Christen den Himmel schon hier auf Erden erwarten; so, als ob wir nicht in einer von Sünde gebrandmarkten Realität leben würden. Sie wollen nicht auf das warten müssen, was uns für die Ewigkeit verheißen ist, sondern es hier schon erleben. Gottes Gegenwart zum Greifen nah und den Zustand völliger Leid- und Schmerzfreiheit möglichst das ganze Leben lang, bis wir von Gott sanft entrückt und in himmlische Gefilde versetzt werden. Wenn sie aber das Ziel völliger Schmerzfreiheit als von Gott gewollt ausrufen, müssen sie das Leid ihrer Mitgläubigen wegerklären, und das tun sie oft auf höchst unbarmherzige Art und Weise. Wenn wir dem falschen Weltbild aufsitzen, dass Gott die Welt nur erschaffen hat, damit es uns gut geht und wir das Leben in vollen Zügen auskosten können, dann führt jede größere Leiderfahrung und Manifestation des Bösen zu einer Erschütterung der Grundfesten unseres Glaubens.

„Man sagt uns christlichen Songschreibern nach, dass wir Menschen Gebete leihen und in den Mund legen, die sie nicht hätten formulieren können.“

Ich muss das Ringen mit Gott erst erlernen

Als christlicher Musiker, der selbst ein paar hundert Lieder geschrieben hat, beschäftigt mich seit einigen Jahren die Tatsache, dass in der Worship-Szene oft genauso vollmundig-rosarot von der Nachfolge gesungen wird wie von Gott selbst. Mit denselben Superlativen. Vieles ist auf „höher, schneller, weiter“ angelegt. Nie wurde Gott so intensiv erlebt wie jetzt gerade. Nie war es schöner als jetzt. Ich gehe von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, von Offenbarung zu Offenbarung und von Segen zu Segen. Viele dieser Texte entspringen viel mehr einem postmodernen Wunschdenken als der Realität. Denn das Leben mit Gott hat nie einen rein linearen Verlauf, und die Standleitung zum Himmel ist weiß Gott kein Dauerzustand. Man sagt uns christlichen Songschreibern nach, dass wir Menschen Gebete leihen und in den Mund legen, die sie nicht hätten formulieren können: Gebete, die ihnen helfen, sich Gott gegenüber auszudrücken. Wie viel wichtiger ist es dann, dass wir das nicht nur für die guten, glücklichen Zeiten tun, sondern auch für die Kämpfe und Nöte, Tiefen und Täler, Sorgen und Unsicherheiten. Für die Bereiche, in denen wir mit Gott und einer gebrochenen Welt ringen. Für die am Ende ein „Kyrie Eleison – Herr, erbarme dich“ steht. Dabei sind doch die Psalmen das erste große Liederbuch der Gemeinde: fast die Hälfte, nämlich 65 von 150 sind Klagepsalmen!!! Brian Doerksen würde es so sagen: „Lament is the missing link in worship“ – „Die Klage ist der fehlende Baustein in unserer Anbetung“. Ich muss dieses Ringen mit Gott erst mühsam erlernen, denn niemand hat es mir in 38 Jahren Christsein beigebracht! 

Die Krisen und Unsicherheiten in unserem Leben verflüchtigen sich nicht von allein. Und die oft schlicht schlagerhaft überzeichneten Texte unserer Anbetungslieder machen es Menschen in realen Krisen sehr schwer, in einem langsamen Prozess das Vertrauen auf Gott wieder zurückzugewinnen, wenn es durch selbst- oder fremdverschuldete Erlebnisse und Brüche in unserer Biografie ins Wanken geraten ist. Was dann hilft, sind ehrliche und demütige Texte, die Gott Gott sein lassen. Die den Glauben nicht als einen ständigen Höhenflug darstellen, sondern als das, was er ist: ein steiniger, schmaler Weg ins Unbekannte, verbunden mit vielen Unwägbarkeiten und auch Entbehrungen. Aber auch mit der Hoffnung auf ein kommendes Friedensreich.

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