Wir würden nicht einmal nach Feuer riechen

Biografie

Sie wussten, worauf sie sich einließen, als sie den Jemen zu ihrer Wahlheimat machten. Dieses zunächst theoretische Wissen verwandelte sich dann immer mehr in unberechenbare Realität. Was tut man, wenn durch die getroffenen Entscheidungen nicht nur das eigene Leben bedroht wird, sondern auch das der Kinder? Was, wenn einem plötzlich alles abverlangt wird? Amiira Ann erzählt bewegend nah, wie sie und ihre Familie mit der realen Angst umgegangen sind.

Kurz nach der Jahrtausendwende lebten wir mit unseren 3 Kindern ein paar Jahre in einem anderen Land. Es ist heutzutage eines der ärmsten Länder der Welt, weil es vom Bombenhagel durch Saudi-Arabien und von einem barbarischen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten systematisch zerstört wird. Das Land der Königin von Saba ist faszinierend und wunderschön mit vielen Gegensätzen. Seine Bewohner sind unsagbar gastfreundlich und begeistern mit ihren großen schwarzen Augen, der cappuccinofarbenen Haut und ihrer kontaktfreudigen, charmanten Art. Wir lieben dieses Land und seine Leute und haben viele schöne Erfahrungen mit liebenswerten Jemeniten gemacht! Unsere Kinder betrachten den Jemen auch heute noch als ihre Heimat. Allerdings kamen wir in eben dieser unserer Wahlheimat auch in ein paar brenzlige Situationen, die uns Angst eingejagt und hilflos gemacht haben. Einmal war ich mit 2 Freundinnen am Strand, als eine Tsunamiwelle 8 Kinder von einem Felsen spülte. Wir versuchten, ihnen zu helfen, mussten aber hilflos und völlig verstört mit ansehen, wie sie ertranken. Das hat uns sehr zugesetzt und traumatisiert. 

Das Auto brannte lichterloh

Es war dann genau ein Jahr später, als wir eines Nachts von einer ohrenbetäubenden Explosion aus dem Schlaf gerissen wurden. Das Auto in unserem Hof brannte lichterloh. Wir sprangen aus dem Bett und versuchten fieberhaft, das Feuer zu löschen. Am nächsten Tag fanden wir einen Drohbrief in unserem Hof liegen. Al Kaida bekannte sich darin zu diesem Anschlag und warnte uns, dass Schlimmeres passiere, falls wir in den nächsten Tagen nicht verschwinden würden.

Unsere Körper reagierten auf das, was wir erst später als „Angst“ erkannten: Herzklopfen, Schweißausbrüche, Muskelverspannungen, erhöhte Reaktionsbereitschaft und Einschlafstörungen. Diese körperlichen Symptome der Angst sind normale physische Reaktionen, die im Extremfall das Überleben sichern sollen. Sie sollen den Körper auf eine Kampf- oder Flucht-Situation vorbereiten.

Die einheimische Polizei, die Deutsche Botschaft, unsere Freunde zu Hause und dort vor Ort, alle empfahlen uns zu verschwinden. „Wir können nicht für eure Sicherheit garantieren!“, mahnten uns die Sicherheitsbeamten. 

Natürlich machte ich mir als Mutter große Sorgen um unsere Kinder. Eine Mutter denkt automatisch zuerst an ihre Kinder. Meine Gedanken wanderten zurück. Viele unserer Lieben hatten uns gewarnt, als wir uns vor ein paar Jahren entschlossen hatten, hierher zu ziehen. „Es ist zu gefährlich für Ausländer!“  Das hatten wir dann aber nie so empfunden, auch wenn wir nicht blauäugig waren und es uns immer bewusst war, dass wir als Christen nicht von allen Menschen hier gern gesehen wurden. Obwohl unsere Nachbarn uns dauernd freundlich begegnet waren, gab es immer Pläne für den Notfall. Prompt erinnerte ich mich daran, wie ich vor unserer Ausreise unseren Kindern die biblische Geschichte von Daniel und seinen Freunden im Feuerofen vorgelesen hatte. Während wir uns die Bilder angeschaut hatten, war auf einmal ein außerordentlicher Friede über mich gekommen, weil mir bewusst geworden war, dass den Männern, die erst ins Feuer geworfen und dann gerettet wurden, nicht einmal der Ansatz von Rauch angehaftet hatte. Ein Engel hatte sie beschützt. Er würde doch auch uns beschützen! Und wir würden nicht einmal nach Feuer riechen!

Ein Friede, höher als alle Vernunft

Jetzt konnte ich wieder klarer denken und wurde in der gegenwärtig bedrohlichen Situation wieder ruhiger. Ein Friede, den man nicht logisch erklären kann, breitete sich in mir aus. Mein Glaube gab mir oft gerade in schwierigen Situationen unvergleichlich viel Kraft! Was sollten wir tun? Wir mussten besonnen überlegen. Erst im Sommer waren wir als Familie auf Besuch in unserem Herkunftsland viel unterwegs gewesen und hatten aus den Koffern gelebt. Kein eigenes Bett zu haben, gab uns immer wieder das Gefühl, heimatlos zu sein. Daher fiel es uns nun sehr schwer, nach dem Anschlag einfach aus dem Jemen, unserer Wahlheimat, davonzulaufen und alles stehen und liegen zu lassen. Schließlich wussten wir auch gar nicht, wohin. Niemand wollte uns aufnehmen, denn die Presse hatte Lügen über uns verbreitet, und unsere Kollegen im Land fürchteten um sich selber, wenn sie uns eine Herberge anboten. Wir konnten doch nicht einfach ins Ungewisse aufbrechen!

In dieser unsicheren Situation gab es viele Missverständnisse, nicht nur zwischen uns als Ehepaar. Leider ist das ja häufig in extremen Stresssituationen, so dass man da leichter aneinandergerät, sich gegenseitig kränkt und verletzt, weil man selber so verletzlich ist und die Nerven blank liegen. Unsere Gespräche endeten immer wieder mit Diskussionen. Wir gingen mit der problematischen Lage verschieden um. Dann half nur noch das gemeinsame Beten. Wenn wir miteinander zu Gott sprachen, ihm unsere Zweifel, Fragen und Ängste sagen konnten, wurden wir wieder ruhiger und gelassen. Es war irgendwie befreiend zu wissen, dass unser Vater im Himmel schon eine Lösung für unsere Probleme und Antworten auf unsere Fragen hatte. Er verlor selbst im Chaos nicht den Überblick oder die Kontrolle. Wir entschieden uns, ihm zu vertrauen. Das kostenlose WLAN zum Himmel gab uns die Kraft, unseren Mut nicht zu verlieren. Wir durften wieder zurück in unsere Wahlheimat. Bevor wir sie dann ein Jahr später endgültig verlassen mussten. 

Geborgenheit in seiner Nähe

Wir erinnerten uns daran, dass es sogar im größten Wirbelsturm einen Ruheort gibt: Im Herzen des Orkanes. Aber dieses „Auge im Sturm“ ist nicht konstant am selben Platz, sondern verändert sich – je nach Windrichtung und Stärke! Man muss kontinuierlich achtgeben, dass man immer in diesem Mittelpunkt bleibt. Dieser Ort ist für mich das Herz Gottes. Ich stelle mir vor, wie ich in seiner Nähe Geborgenheit finde, wie ich meinen Kopf an seine Schulter lege und seinen Herzschlag höre. Das heißt nicht, dass die Probleme oder Fragen plötzlich weg sind, aber ich kann zur Ruhe kommen und dadurch besser mit Strapazen umgehen. Und das war mehr als nötig, denn es gab weitere beängstigende Situationen. Beispielsweise, als ich gleich nach der Totgeburt unserer Tochter wieder schwanger wurde und der Arzt uns mitteilte, dass wegen einer Immunüberreaktion ein großes Risiko für das Baby und für mich bestand. Es könne zu einer Vergiftung kommen und unser beider Leben gefährden. Mein Mann wurde einmal entführt, auf unser Auto wurde geschossen. Unser Ältester war mit 8 Jahren lebensbedrohlich erkrankt. In all diesen und vielen anderen schweren Momenten konnte ich nicht anders, als im Auge des Sturms Ruhe zu suchen.

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