Wer will schon einen Schisser zum Freund?
Standpunkt
Was führt jemanden dazu, Soldat zu werden? Sich in Situationen zu bringen, die gefährlich sein können? Wie begegnet man der Angst? Welche Rolle spielen Waghalsigkeit und Abenteuerlust? Hans-Christian Köhnke schreibt einen flammenden Appell. Einen, der es in sich hat. Einen, der uns wachrüttelt. Und einen, der sich nicht auf die eigene Kraft und Stärke verlässt.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit meiner „ersten großen Liebe“. Sie teilte mir damals mit, dass ihre Mutter besorgt darüber sei, dass ich den Fallschirmspringerlehrgang mitmachen wolle. Schließlich könne da „viel passieren“. Das war etwas, was ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Frei nach dem Motto: Wer will schon „Schisser“ als Freunde haben? Ein Grund, weshalb ich mit 17 Jahren den Entschluss fasste, Soldat zu werden, war genau der: Ich wollte einen Beruf, der von Berufung kommt und bei dem ich nicht von Anbeginn hinter einem – wie auch immer gearteten – Schreibtisch verkalke! Anders formuliert: Ich wollte, dass in meinem Leben etwas passiert! Und wenn eine Auseinandersetzung – damals wäre das ja dann die zwischen Ost & West gewesen – kommen sollte, dann hatte ich vor, nicht nur kämpfen zu wollen, sondern auch professionell darauf vorbereitet zu sein und kämpfen zu können.
Ich will nicht weglaufen
Vor diesem Hintergrund suchte ich während meiner Ausbildung zum Offizier Gelegenheiten und Ausbildungsabschnitte, um meine Grenzen auszutesten und wenn möglich zu erweitern. Dies betraf sowohl meinen geistigen als auch körperlichen Horizont. Ich hatte schon immer große Mühe, Menschen ernst zu nehmen, die am liebsten vor Herausforderungen weglaufen. Solche Personen kamen für mich nie als Vorbild in Frage, sondern vielmehr diejenigen, die ungeachtet der Gefahr für Leib und Leben den von ihnen als richtig erkannten Kurs einschlugen und hielten. Wie zum Beispiel die Persönlichkeiten des Widerstandes gegen Hitler (den Überflüssigen) und seine Schergen!
So war es für mich selbstverständlich, mich mit möglichen Konsequenzen des Soldaten- und insbesondere Offizier-Berufs auseinanderzusetzen. Dabei waren, sind und bleiben Aufrichtigkeit, Verantwortung und Wahrhaftigkeit vor Gott und den gerade auch mir anvertrauten Menschen für mich entscheidende Charaktereigenschaften! Jeder von uns ist vermutlich schon Menschen begegnet, die kein Rückgrat haben, sondern an der Stelle lediglich einen Haken, an dem der Hintern aufgehängt ist. Wer will von solchen schon geführt werden? Das mag manchem vielleicht zu martialisch klingen und ich gebe offen zu, dass mir dies Rückgrat beweisen beileibe nicht in jeder Situation gelang. Gleichwohl werde ich an diesem Ziel festhalten! Nur dann werde ich am Ende meines Lebens annähernd sagen können: Ich habe zumindest versucht, nach bestem Wissen und Gewissen zu leben.
Wie ein Lahmer auf Krücken
Gerade an diesem Punkt bin ich voller Dankbarkeit, dem Gott zu gehören, der mich am Ende nicht nach Gelingen oder Versagen be- oder verurteilen wird. Ihm will ich mit offenem Herzen und befreitem Gewissen eines sagen können, wenn ich dereinst vor ihn trete: „Ich habe manches verbockt, vieles nicht geschafft und beileibe nicht alles richtig gemacht, aber ich habe es versucht. Ich habe es von Herzen und immer wieder versucht und Dank Jesu Christi Blut, das er auch für mich vergossen hat, habe ich mich auf deine Zusage gestützt wie ein Lahmer auf seine Krücken, dass du dich am Ende meines irdischen Lebens zu mir stellen und mich in Gnaden annehmen wirst!“ Ohne diese Gewissheit will ich nicht mehr leben und kann ich schon gar nicht in Frieden sterben! Doch zurück zu meinem Beruf.
Im weiteren Verlauf meines Werdeganges habe ich Seminare geleitet, die Kameraden auf ihren Einsatz auch mental vorbereiten sollten. Im Teil „Umgang mit Verwundung und Tod“, stellte ich den Teilnehmern die Frage, welches Ziel ihr Leben habe, und zwar Ziel in dem Sinne, dass es sich lohne, das eigene Leben daran auszurichten. Die Masse tat sich schwer damit und fragte, wozu das gut sein solle in der Einsatzvorbereitung? Ich machte ihnen deutlich, dass, wenn ich nicht weiß, wofür ich lebe, ich auch anderen nicht sagen – geschweige denn vermitteln – kann, wofür es sich lohnen solle zu sterben. Als Vorgesetzter kann ich von Unterstellten nicht erwarten, dass sie meine Handlung stets verstehen oder gar meine Meinung teilen. Aber als Untergebener erwarte ich von meinem Vorgesetzten, der mich in, durch und natürlich möglichst aus der Gefahr herausführen soll, dass er diese Vertrauensebene durchdrungen hat und bereit ist, sie verantwortlich auszufüllen!
Ich stehe vor Gott
Für mich waren für Einsätze in Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo oder Afghanistan stets drei Dinge wesentlich und diese habe ich konsequent bittend vor Gott gebracht. Erstens: Während ich im Einsatz bin, lege ich meine Ehefrau und Kinder nochmals in Gottes Hand. Zweitens: Im Einsatz brauche ich vor Ort einen Bruder in Christus, bei dem ich mich auskotzen kann (u. a. durch diesen hat Gott mich stets durchgetragen!) .Drittens: Für meine Sicherheit und Unversehrtheit ist Gott verantwortlich! Ich will mich professionell verhalten, Gelerntes umsetzen und mein Bestes geben, aber ich brauche einen freien Kopf, um meine täglichen Herausforderungen frei von überflüssigen Sorgen bestmöglich erfüllen zu können.
Dazu eine Begebenheit, die hängen geblieben ist: In der zweiten oder dritten Woche in Kabul, Afghanistan, fragte mich ein jüngerer Kamerad, ob ich Reservist sei (und nicht aktiver Offizier). Nachdem ich verneint hatte, fragte ich ihn, wie er darauf käme. Seine Antwort: „Sie sind immer so freundlich.“ Offenbar fanden andere, um ihren eigenen Stress abzubauen, nur den Weg, das an Untergebenen zu tun. Bei allem Verständnis. Wir kennen doch das Sprichwort: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Die Steigerung von Angst ist Panik und Panik macht kopflos. Wer will schon von kopflos handelnden Menschen geführt werden, geschweige denn, sich solchen anvertrauen? Wie sollen da Beziehungen auf Augenhöhe möglich werden? Das kann nicht gelingen! Was also tun? Ein Merksatz aus der Offiziersausbildung ist mir hängen geblieben: Der Soldat ist mutig, der trotz persönlicher Furcht Angst überwindet und entschlossen handelt.
Es muss etwas geschehen
Wir leben mittlerweile in einer Gesellschaft, in der die meisten Menschen nach dem Motto zu leben scheinen: Es muss etwas geschehen, aber es darf nichts passieren! Und schon gar nicht bei mir, in meinem Leben! Viele haben schreckliche Angst davor, dass ihnen „etwas Schlimmes“ zustoßen könnte. Größer noch scheint aber die Angst davor zu sein, etwas falsch zu machen, was ich für fatal halte. Denn diese Angst lähmt jede Initiative und Kreativität! Es ist eben nicht Abwarten und Teetrinken in Hängematten orientierter Schonhaltung gefragt, sondern verantwortliches Handeln, das auch bereit ist, Neuland zu entdecken! Ein Beispiel zum Schluss: Als Leiter des Besucherdienstes im Bundesministerium der Verteidigung, hatte ich die 11. Klasse eines Gymnasiums zu Gast. Kurz vor Ende der Zeit fragte ein Jugendlicher, ob es bei der Bundeswehr auch ungefährliche Jobs gäbe. Wissend, worauf er hinauswollte, fragte ich ihn, was er damit meine. Auch, damit er seine Frage noch einmal überdenken könne. Dann beantwortete ich seine Frage mit einer Gegenfrage, die ich an die Mädchen im Raum richtete: „Wer von euch sucht oder wünscht sich einen Freund, Partner oder Ehemann, der die Herausforderungen im Leben lieber ausspart, anstatt sie anzupacken?“ Totenstille! Ich hakte nochmals nach, es blieb weiter still. Dann erklärte ich dem Fragesteller den Grund des Schweigens. Wir alle suchen, ja sehnen uns nach Gefährten, die, wenn es brenzlig wird, zu uns stehen und eben nicht weglaufen oder sich abducken! Wenn er seinen Ansatz nicht bereit wäre zu überdenken, würde er wohl einsam leben und sterben.
Ja, gewiss. Ich habe in den Einsätzen auch Momente erlebt, in denen Angst von mir Besitz ergreifen wollte, auch wenn ich bislang nie in Gefechtssituationen kam. Wie ging ich damit um? Ich habe es mit Luther gehalten. Er bezog, was er sagte, auf die Sünde, ich nehme mir mal die Freiheit und ersetze es durch Ängste: „Wir können nicht verhindern, dass Ängste unseren Kopf umschwirren, aber wir können verhindern, dass sie Nester bauen.“ In diesem Sinne empfehle ich die Lektüre von Epheser 6, die Verse 10-20. Auch dort geht es um Kampf und darum, am Ende den Sieg davonzutragen. Dazu bietet uns Gott eine Rüstung an. An uns ist es, sie zu ergreifen, anzulegen und uns in ihrem Gebrauch zu üben.
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