Was Werte sind und warum wir sie dringend brauchen

Anna Maria Brandt definiert für uns Begriff und Bedeutung, erklärt Entstehung und Auswirkung, lädt ein zu Entschlossenheit und Mut. „Wenn Gott selbst und seine Werte in einer Gesellschaft keine Rolle mehr spielen“, davon ist sie überzeugt, „wird zwangsläufig ein Vakuum entstehen, das sehr schnell von anderem gefüllt wird.“

Werte sind Überzeugungen

Werte sind die Vorstellungen, die in einer Gesellschaft allgemein als wünschenswert anerkannt sind und den Menschen Orientierung verleihen. Werte, Überzeugungen und Glaubenssätze stellen entscheidende Faktoren für die Gestaltung des persönlichen Lebens dar. Sie bestimmen, was uns bedeutsam ist und was wir tun. Sie sind ein wesentlicher Baustein unserer Identität und unseres Selbstkonzeptes. Werte sind also das, was uns Menschen innewohnt, was uns ausfüllt, uns antreibt und dazu bringt, „auf die Straße zu gehen“. Sie sind unsere Triebfeder, unser Schatz, unser alles – das eben, was uns keiner nehmen kann. Sie beschreiben nicht zunächst unser Handeln, sondern unser Sein. Sie geben uns Würde, Stolz, Bedeutsamkeit. Und sie bedeuten uns so viel, dass wir es für unabdingbar halten, uns dafür einzusetzen.

Dabei unterscheiden wir Werte ganz allgemein und in unserem persönlichen Leben im Speziellen in folgende Bereiche: Von moralischem Wert ist zum Beispiel Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit und Treue. Religiös bedeutsam ist unter anderem die Gottesfurcht und Nächstenliebe. Politisch wertvoll sind Toleranz, Freiheit und Gleichheit. Und materiellen Wert haben unter anderem Besitz und Wohlstand.

Werte wohnen in verschiedenen Räumen

Nun kommt es vor, dass jeder Einzelne seine persönlichen Werte auch nach ganz persönlichen Kriterien einem anderen Raum zuordnet, also dass zum Beispiel Treue für ihn kein moralischer, sondern ein religiöser Wert ist. Da sind und bleiben die Grenzen auch deshalb fließend, weil es am Ende nicht auf sie ankommt. Wichtig ist, dass man überhaupt Werte hat und sie lebt; nicht, dass man sie einem bestimmten Lebensraum zuordnen kann. Das zu versuchen, wäre wahrlich kleinkariert und wertlos.

Schwierig und herausfordernd wird es dann, wenn zwei wichtige Werte gegeneinanderstehen und es den Anschein erweckt, als würden sie sich gegenseitig ausschließen. Das könnte leicht der Fall sein, wenn man über Aufrichtigkeit und Nächstenliebe nachdenkt. Aufrichtigkeit ist ehrlich, wahr, wahrhaftig. Damit manchmal auch unbequem und Streit kündend. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine neue Kollegin, die sich offensichtlich zu wenig bewegt und zu viel isst. Oder in die Wohnung nebenan zieht jemand ein, der ständig unangenehm riecht, Ihnen aber ebenso ständig sehr nahe kommt, manchmal zu nahe. Sie kämpfen zwischen aufrichtigem sich Artikulieren und liebevollem sich Zurückhalten. Wer mag hier schon entscheiden, was richtig oder falsch wäre. Am Ende werden Sie sich damit beschäftigen müssen, wie Sie Ihre unterschiedlichen Überzeugungen so miteinander in Einklang bringen, dass Sie keine davon verlieren. Das ist eine große Aufgabe und vielen viel zu kompliziert.

Werte sind erlernt und nur schwer zu ändern

Diese tiefen Überzeugungen, von denen wir hier sprechen, das absolute Sichersein, dass etwas gut oder schlecht ist, werden häufig in der Familie, in Freundeskreisen oder im Beruf erworben. Das geschieht oft schon im Kindesalter. Weil Kinder beobachten und nachmachen. Sie hängen mit ihrer Aufmerksamkeit nicht nur an Eltern und Großeltern, Tanten und Onkeln, Brüdern, Schwestern, Cousins und Cousinen. Sie konzentrieren sich auch auf Lehrer, Nachbarn, Pfarrer, Ärzte. Keiner ist sicher vor der wachsamen Beobachtung von Kinderaugen. Die wollen nämlich sehen, was die Menschen um sie herum tun, wie sie sich verhalten, wie sie reden. Und daraus schließen sie für sich folgerichtig: Wenn die das tun, dann muss es wichtig und richtig sein. Also sollte ich das auch machen. Nun braucht es nicht viel Fantasie sich vorzustellen, was passiert, wenn kleine Menschen in einem menschenverachtenden System aufwachsen oder ständig mit rechten Parolen infiltriert werden. Wenn hinter dem Rücken schlecht über Menschen geredet wird, über die man gut spricht, wenn sie es hören können. Ob uns das gefällt oder nicht: In diesen Situationen werden Werte erlernt und setzen sich im Leben fest. Veränderungen auf dieser Ebene sind extrem schwierig zu bewirken, weil die Werte zu einem Teil der eigenen Persönlichkeit werden. 

„Werte sind also das, was uns Menschen innewohnt, was uns ausfüllt, uns antreibt und dazu bringt‚ auf die Straße zu gehen.“

Werte haben eine bestimmte Aufgabe

Es wäre unsinnig zu glauben, die Werte eines Menschen seien nur für sein persönliches Wohlergehen oder sein Privatleben da. Wir Menschen sind Teil der Gesellschaft und mit dem, was wir tun, prägen, beeinflussen und verändern wir den Raum um uns herum. Die nebenstehende Studie zum Werteempfinden in Österreich und Deutschland sollte uns nachdenklich stimmen. Da gibt es sehr hohe Punkte für den Frieden, aber nur wenige für den Respekt gegenüber anderen Kulturen. Frieden muss hier unter Umständen als sehr egoistischer Wert verstanden werden: Zum einen möchte man selbst in Ruhe und Frieden leben, möchte keine Kämpfe, Gewalt und Zerstörung sehen, wenn man aus dem intakten Haus geht. Zum anderen wären all die Ausländer nicht hier, wenn in deren Herkunftsländern nicht gekämpft, gefoltert und gemordet würde. Es nimmt bizarre Züge an, wenn etwas so Wertvolles wie Frieden so egoistisch instrumentalisiert wird. Ebenso scheint die Schere auseinanderzugehen bei den Werten Menschenrechte und Toleranz.

Erschreckend auffällig ist, dass die Religion für verschwindend wenig Menschen einen Wert besitzt. Das mag daran liegen, dass die Befragten zum Beispiel Frieden als inneren Bestandteil christlicher Botschaft verstanden und deshalb der Deutlichkeit wegen diesen Wert eher angegeben haben als den „Dachwert“ Religion. Es könnte aber auch sein, dass man auf diesem Weg lediglich versucht, sich etwasschön zu reden, was nicht schön ist. Wenn Religion – und tiefer noch Gott selbst und seine Werte – in einer Gesellschaft keine Rolle mehr spielen, wird zwangsläufig ein Vakuum entstehen, das sehr schnell von anderem gefüllt wird.

Werte sind dazu da, Leben und Gesellschaft zu formen und zu bewahren. Vor Einflüssen, die zerstören, die diskreditieren, die klein und kaputt machen. Leben wir also wertvoll und tun, was wir können. Die Anderen sind es wert. Und wir selber sicher auch.