Ich bin der Meister meines Los
Nelson Mandela
Wir begegnen einem Mann, der bereit war, viel zu riskieren. Er setzte alles auf eine Karte und verlor viel. Aber was er gewann, für sich, sein Volk, seine Nation Südafrika, den Kontinent und die ganze Welt, überragt den Verlust bei weitem. Nelson Mandela lebt seine Werte wie kaum ein anderer Staatsmann in einer Zeit höchster Bedrängnis und Anfechtung, doch er ist nicht über Fehler erhaben. Prüft aber alles, und das Gute behaltet.
Ich war gerade in Kapstadt, als die lokalen Nachrichtensender die Meldung brachten und sich schier überschlugen. Am Morgen des 05. Dezember 2013 starb Nelson Rolihlahla Mandela im Alter von 95 Jahren in Houghton, Johannesburg. Mandela, der unangefochtene Held seines Landes. Mandela, der mehrfach geschiedene und wiederverheiratete Vater von insgesamt sechs Kindern. Mandela, der Friedensnobelpreisträger. Der Jurist, Freiheitskämpfer, Gefangene und Präsident. Wie kaum ein anderer berührt und spaltet er seine Nation. Bis er ihr den dringend notwendigen politischen Wandel bringt und damit die Achtung und den Respekt aller verdient. Madiba nannten ihn die, die ihn verehrten. Für andere war er Nelson Mandela. Der Rest nannte ihn schlicht „Mister President“.
Wer war dieser Mann, dem es schließlich gelang, dass Südafrika nicht im Rassenkonflikt des Apartheidregimes unterging, sondern sich dauerhaft zum stabilsten Land des ganzen Kontinents aufschwang? Was trieb ihn an und ließ ihn so entschlossen, mutig und zielgerichtet nach vorne schauen und gehen? Und warum folgte ihm die Nation, egal, welcher Rasse und Herkunft sie waren? Wer war Nelson „Madiba“ Mandela?
Freiheit: Zunächst ein Kind
„Ich bin nicht mit dem Hunger nach Freiheit geboren worden“, schreibt Mandela in seiner umfangreichen Autobiographie. „Ich bin frei geboren worden – frei auf jede Weise, die ich kennen konnte. Frei auf die Felder nahe der Hütte meiner Mutter zu laufen, frei, in dem klaren Fluss zu schwimmen, der durch mein Dorf floss, frei, Mealies unter den Sternen zu rösten und auf dem breiten Rücken langsam dahintrottender Büffel zu reiten. Erst als ich begriff, dass die Freiheit meiner Kindheit nur eine Illusion war, dass man mich bereits meiner Freiheit beraubt hatte, begann ich Hunger nach ihr zu haben.“
Nelson Rolihlahla Mandela wurde am 18. Juli 1918 in einem Dorf in der Nähe von Umtata, Transkei, als Sohn des Unterhäuptlings Henry Mandela des Tembu-Stammes, geboren. Er verlor bereits mit neun Jahren seinen Vater, besuchte eine Methodistenschule, an der er mit der britischen Kultur in Kontakt kam. Später war er Schüler des Missionscollege von Fort Hare in Alice in der östlichen Kapprovinz. Die Einrichtung galt damals als einzige Stätte zur höheren Ausbildung für Afrikaner in Südafrika. Als Mandela im Jahr 1940 als Führer an einem Studentenstreik teilnahm, musste er das College verlassen.
Wer annimmt, Mandela hätte im Rahmen der christlich geprägten Ausbildung auch den christlichen Glauben übernommen, irrt. Er hat ihn kennengelernt, ja. Hat ihn wertgeschätzt und sich viele christliche Werte angeeignet. Aber den Glauben an Gott als den Schöpfer und Richter der Welt, der ein ganz persönliches Erlösungsangebot für jeden Menschen hat, hat er so weder übernommen noch jemals bekannt. Aber er hat sich auch nicht dagegen gewandt. Fast scheint es, als wäre Mandela so beschäftigt gewesen mit den Fragen der Gleichstellung der Menschen, dass für die Frage einer persönlichen Gottesbeziehung kein Raum gewesen wäre.
Gleichheit: Dann ein Freiheitskämpfer
„Ich habe gegen die weiße Vorherrschaft gekämpft und ich habe gegen die schwarze Vorherrschaft gekämpft. Mein teuerstes Ideal ist eine freie und demokratische Gesellschaft, in der alle in Harmonie mit gleichen Chancen leben können. Ich hoffe, lange genug zu leben, um dies zu erreichen. Doch wenn dies notwendig ist, ist dies ein Ideal, für das ich zu sterben bereit bin.“ Mit aller Entschlossenheit sprach Mandela diese Worte 1964 in seiner Verteidigungsrede im Rivonia-Prozess. Im selben Jahr wurde der Bürgerrechtler wegen Terror, Umsturzversuch und kommunistischer Aktivitäten zu lebenslanger Haft verurteilt.
Als Kommunist verschrie man ihn spätestens, nachdem der African National Congress (ANC) die Freiheitscharta veröffentlicht hatte. Ein Dokument, an dem Mandela maßgeblich mitgewirkt hatte und das schon bald unter Bann gestellt wurde. Man hatte ihm immer wieder vorgeworfen, ein sozialistisches System anzustreben, und dabei übersehen, was er tatsächlich wollte: Gleichheit für alle im Ansehen der Person und Würde, ungeachtet ihrer Herkunft und Rasse. Gleichheit der Schwarzen und Weißen, Gleichheit der Weißen und Schwarzen. Alle anderen kulturellen Gruppen schloss er in dieses Bestreben ausdrücklich mit ein. Und zahlte teuer dafür. Bis zum 11. Februar 1990 war Nelson Mandela als Staatsfeind Nummer eins die meiste Zeit auf Robben Island inhaftiert, der berüchtigten Gefängnisinsel am Horn von Afrika, auf die früher nur die Leprakranken verbannt wurden. Von ihr gab es kein Entkommen. Aber er hatte dennoch immer wieder Kontakt zur Außenwelt. Entweder er schmuggelte Reden von der Insel runter oder man schmuggelte Zeitungsberichte zu ihm auf die Insel rauf. Was alles in allem höchst selten der Fall war. Dennoch wusste Mandela, was man über ihn sagte, und hatte Angst davor: „Eines der Probleme, die mich im Gefängnis zutiefst beschäftigten, war das falsche Bild, das ich ungewollt in der Welt verbreitet hatte: Man betrachtete mich als Heiligen. Doch ich war dies nicht, selbst wenn man auf die bodenständige Definition zurückgreift, wonach ein Heiliger ein Sünder ist, der sich zu bessern sucht.“
„Es gibt Momente, in denen ein Führer seiner Herde vorausgehen muss, in eine neue Richtung aufbrechen, mit dem Vertrauen, dass er sein Volk auf den richtigen Weg führt.“
Hier war sich einer vollkommen im Klaren darüber, wie schmal der Grat ist, auf dem er wandert. Aber er war dort nicht um seiner selbst willen unterwegs, sondern war beseelt von dem einen Ziel, eine bessere Gesellschaft zu formen. Und dieses Ziel verlor er nie aus den Augen. Unbeirrt ging er darauf zu und opferte viel seines privaten Lebens. Man wird streiten dürfen, ob es gut ist, wenn Ehen und Familien kaputtgehen, wenn Männer sich ganz einer politischen Aufgabe verschreiben. Man wird auch trefflich diskutieren müssen, ob das eine Ziel das andere Leid aufwiegt.
Gerechtigkeit – Barmherzigkeit – Mut: Schließlich ein Führer
„Während der langen, einsamen Jahre der Haft wurde aus meinem Hunger nach Freiheit für mein eigenes Volk der Hunger nach Freiheit aller Völker, ob weiß oder schwarz. Ein Mensch, der einem anderen die Freiheit raubt, ist ein Gefangener des Hasses. Der Unterdrückte und der Unterdrücker sind gleichermaßen ihrer Menschlichkeit beraubt. Doch ein langer, noch schwierigerer Weg steht uns bevor. Denn um frei zu sein genügt es nicht, einfach nur die Ketten abzuwerfen, sondern man muss so leben, dass man die Freiheit des anderen respektiert und fördert.“
Am Tage seiner Freilassung leitete Mandela in einer Rede vor 120.000 Zuhörern in einem Stadion in Soweto öffentlich seine Politik der Versöhnung ein, indem er alle Menschen, die die Apartheid aufgegeben haben, zur Mitarbeit an einem nichtrassischen, geeinten und demokratischen Südafrika mit allgemeinen, freien Wahlen und Stimmrecht für alle einlud. Diese Politik hatte er bereits während seiner Haftzeit durch zunächst geheime Gespräche mit einzelnen Vertretern des Regimes vorbereitet. „Ich beschloss“, schrieb er später, „niemandem zu sagen, was ich dabei war zu tun. Es gibt Momente, in denen ein Führer seiner Herde vorausgehen muss, in eine neue Richtung aufbrechen, mit dem Vertrauen, dass er sein Volk auf den richtigen Weg führt.“
Und er war richtig, sein Weg. Im Juli 1991 wurde Nelson Mandela einstimmig zum Präsidenten des ANC gewählt. In dieser Position leitete er Verhandlungen mit der Regierung über die Beseitigung des Apartheidregimes und Schaffung einer neuen, vorläufigen Verfassung. Er bekennt: „Ich habe gelernt, dass Mut nicht die Abwesenheit von Furcht ist, sondern der Triumph darüber. Der mutige Mann ist keiner, der keine Angst hat, sondern der, der die Furcht besiegt.“
Endlich wurde im Februar 1993 eine Vereinbarung über freie Wahlen und eine fünfjährige Übergangsregierung der nationalen Einheit erzielt. Nelson Mandela und Frederik de Klerk erhielten für diese Leistung 1993 gemeinsam den Friedensnobelpreis. Am 27. April 1994 gewann der ANC die ersten demokratischen Wahlen Südafrikas mit absoluter Mehrheit. Am 9. Mai wurde Nelson Mandela vom neuen Parlament zum ersten schwarzen Präsidenten des Landes gewählt. „Wir werden eine Gesellschaft errichten, in der alle Südafrikaner, Schwarze und Weiße, aufrecht gehen können“, proklamierte er in seiner Antrittsrede, „ohne Angst in ihren Herzen, in der Gewissheit ihres unveräußerlichen Rechtes der Menschenwürde, eine Regenbogennation im Frieden mit sich selbst und mit der ganzen Welt.“
Wertvoll und vollwertig wie kaum ein anderer
Es ist sicher nicht unangemessen, Nelson Mandela einen „großen Politiker und besonderen Menschen“ zu nennen. Ein Mann, der sein Privatleben so weit hinten anstellte, dass es so gut wie keins mehr gab, macht dabei sicher auch Fehler. Das lässt sich nicht leugnen und soll auch nicht verschwiegen sein. Unter Umständen hat er unter der für ihn offensichtlichen Unvereinbarkeit seiner politischen Aufgabe und seiner persönlichen Verantwortung für seine Frauen und Kinder mehr gelitten als diese ahnten und verstanden.
Er hatte sich entschieden. Und seinen Weg mit voller Überzeugung gewählt. Dabei war er bereit eine Last zu tragen, die sonst kaum jemand zu tragen bereit oder in der Lage war. Er tat dies aufrecht und mit viel Wert und Würde. Selbst seine Peiniger hat er mit Achtung und Respekt behandelt. Und, wann immer es nötig war, in ihre Schranken gewiesen. Es lohnt sich unbedingt, von diesem Mann zu lernen. Prüft aber alles, und das Gute behaltet.
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