Nicht tatenlos zusehen

Kolumne

Steve Volke beschäftigt sich mit der Frage, wer sich wann um was sorgt. Und warum. Er schreibt über Grundlagen und Grundsätze, über Notwendiges und Luxus. Er kann das, weil er beides kennt, Not und Luxus. Am Ende wird daraus ein leidenschaftlicher Apell, nicht tatenlos zuzusehen.

Immer wieder werde ich in meiner Arbeit mit dem Vorwurf konfrontiert: Die Armen sollen sich doch um sich selbst kümmern! Warum arbeiten die nicht? Meine Antwort ist so einfach wie grausam: Weil sie mit dem Überleben beschäftigt sind. 

Unfassbar sorglos zu sein, das ist für viele Menschen in den ärmsten Gegenden der Erde ein unerfüllbarer Wunschtraum. Aber bevor die Diskussion in eine falsche Richtung geht: Ja, auch in Deutschland können nicht alle „unfassbar sorglos“ leben. Doch die Herausforderungen eines Slums sind immer noch andere als bei uns. Gehen Sie mal hin und Sie wissen, was ich meine.  

Echte Bedürfnisse  

Da gab es einen Herrn Maslow, amerikanischer Psychologe und Erfinder der nach ihm benannten Bedürfnispyramide. Die beschreibt auf vereinfachende Art und Weise menschliche Bedürfnisse und Motivationen. Mit anderen Worten: Worum geht es im Leben, worauf kommt es an, was ist existentiell wichtig? Die einzelnen Felder bauen aufeinander auf. Die Basisbedürfnisse sind alles, was unser Körper zum Überleben braucht. Essen und Trinken zum Beispiel. Wenn das erreicht ist, können wir uns um unser Sicherheitsbedürfnis kümmern. Dann kommen Beziehungen, Freunde, Nachbarn und soziale Kontakte ins Spiel, gefolgt von Bedürfnissen, die individuell gelebt werden können, weil alles andere abgesichert ist. Ganz oben in der Pyramide geht es um die Selbstverwirklichung.  

Keine Zeit für Selbstdarstellung  

Die Ärmsten der Armen nun können sich nur darum kümmern, die nächste Mahlzeit zu erreichen, um den jeweiligen Tag zu überleben. Das Erfüllen der Basisbedürfnisse nimmt so viel Zeit in Anspruch, dass für andere Dinge kaum bis gar kein Platz mehr ist. Wer für Wasser jeden Tag zehn Kilometer laufen muss, um den Eimer an einem dreckigen Wasserloch zu füllen, dem hilft es nicht, wenn ihm ein „Westler“ erzählt, was er bei einem Bungeesprung empfindet. Beim Sorgen für das Erreichen der untersten Stufe bleiben keine Gedanken mehr, wie man sich sorglos selbst verwirklichen kann.  

Alles nur noch Anerkennung  

In westlichen Gefilden habe ich den Eindruck, dass wir diese Pyramide genau umgekehrt betrachten: Weil bei uns fast alles erfüllt ist, drehen sich viele Menschen vor allem um sich selbst. Selbstverwirklichung mit Markenartikeln auf Instagram und bei TikTok. Anerkennung und medialer Wahrnehmung gilt ihre größte Sorge. Warum auch nicht, um den Rest der Bedürfnisse müssen sie sich ja keine Gedanken mehr machen. Sie sind erfüllt. Und hier kommt mein Statement, das an dieser Stelle einfach mal sein muss: Wer sich nur noch um sich selbst und die Eigendarstellung dreht und dabei alle vergisst, die um die Grundbedürfnisse kämpfen müssen, sollte sich abgrundtief schämen! 

Wenn wir zu den Menschen gehören, denen es schon allein durch äußere Umstände leicht gemacht wird, in dieser Pyramide von Stufe zu Stufe nach oben zu kommen, sollte, ja muss uns das in eine tiefe Dankbarkeit gegenüber Gott führen. Eine Dankbarkeit, die uns antreibt, dafür zu sorgen, dass andere Menschen die gleichen Möglichkeiten zur Entwicklung bekommen.