Meine Geschichte geht weiter

Persönlich

Studium. Auslandsjahr. Und dann ab ins Berufsleben. Klingt gut, oder? Aber was, wenn dann plötzlich eine Diagnose kommt, die alles kaputtzumachen droht? Sara Lindscheid hatte gerade erst angefangen, ihren Leidenschaften, Gaben und Träumen zu folgen, als ihr Leben radikal auf den Kopf gestellt wurde. Wahrscheinlich werden Worte kaum ausreichen, um zu erzählen, wie sie sich fühlt. Sie versucht es trotzdem.

Im März 2023 kehrte ich, nach einem Jahr voller Reisen, nach Deutschland zurück. Ich war voller Energie und Vorfreude auf meinen neuen Job, als ich mit 24 Jahren die Diagnose Hirntumor bekam. Damals wusste ich noch nicht, dass es kein Hirntumor, sondern eine bis heute nicht diagnostizierte Erkrankung sein sollte, die unter anderem für extreme Kopfschmerzen sorgt. Damit trat nach kurzer Zeit Stillstand in meinem Leben ein. Eigentlich waren da doch so viele Träume, Hoffnungen und der begeisterte Herzschlag für die Arbeit in der Mission. Der Geist war und ist willig, doch der Körper lässt nicht viel zu.

Machtlos ausgeliefert

An einigen Tagen ist nach einer erneuten Nacht voller Schmerzen nicht einmal an Aufstehen zu denken. Dunkle, kalte, stille Räume sowie Kühlakkus werden zur neuen Realität. Es folgen endlose Arzttermine, jedes Mal mit der Hoffnung, endlich eine Diagnose zu bekommen, um eine Therapie gegen die unerträglichen Schmerzen und die zunehmende Taubheit in meinem Gesicht starten zu können. Doch immer wieder folgt die Enttäuschung: Keine Erkenntnisse oder klaren Untersuchungsergebnisse, schmerzlindernde Medikamente wirken nur kurzzeitig und Ärzte sind ratlos. Den Schmerzen bin ich scheinbar machtlos ausgeliefert, da auch die so vielversprechende Operation keine Besserung bringen konnte.  

Kraftlos und müde

Wiederzugeben, wie ich mich mit all dem fühle, ist mittendrin in diesem Hamsterrad gar nicht so einfach. Und doch möchte ich einen Versuch wagen. Ehrlicherweise muss ich oft einfach funktionieren – und kann dabei selbst eigentlich nur darüber staunen, wie sehr das trotz aller Einschränkung, Ermüdung und Kraftlosigkeit tatsächlich möglich ist. Trotzdem überkommen mich auch immer wieder Überforderung und Verzweiflung. All die gegenwärtigen Lasten und Schmerzen zu tragen, erscheint mir häufig als so unfair, unverdient und unmenschlich. Da würde ich gerne einfach nur noch laut herausschreien: „Hol mich hier raus! Ich kann nicht mehr! Wo ist die Ausfahrt?“ 

„Es fühlt sich an, als ob die anderen gerade mein Leben leben, meine Erfolge feiern und das erleben, was ich doch eigentlich erleben sollte.“

Emotional taub 

Gleichzeitig nehme ich neben der sich ausbreitenden Taubheit im Körper auch eine emotionale Taubheit wahr. Das Leben um mich herum nimmt seinen normalen Lauf, Freunde heiraten, machen schöne Urlaube und besuchen tolle Veranstaltungen – während ich zuhause mit Schmerzen im Bett liege. Sich in diesem Ausgebremstsein mit Freunden und Kollegen zu freuen, ist herausfordernd. Es fühlt sich an, als ob die anderen gerade mein Leben leben, meine Erfolge feiern und das erleben, was ich doch eigentlich erleben sollte. In solchen Momenten merke ich, wie Eifersucht und Neid versuchen, in meinen Gedanken ihre Wurzeln zu schlagen, wie Unzufriedenheit zunimmt und eine emotionale Abwärtsspirale beginnt. Ich hatte mich doch auf so vieles gefreut! Und jetzt? Es ist daher leicht und wahrscheinlich sogar berechtigt, zu jammern, zu klagen und mich in Selbstmitleid zu suhlen. Doch ist das wirklich die einzige und vor allem beste Option?  

Dennoch dankbar!

Im November 2022 ließ ich mich in Norwegen im Atlantik taufen. Das war mein sichtbares Bekenntnis, von nun an Jesus bedingungslos nachzufolgen und nach seinem Plan zu leben. Diesen Plan hatte ich mir sicher anders ausgemalt! Ich kann aber sagen, dass ich in all dem auch dankbar bin. Dankbar, dass ich lebe. Dankbar, dass mich diese Zeit mehr über mich selbst, mein Umfeld und meinen Glauben lehrt. Dankbar, dass ich trotz allen Leids oft ehrliche Freude, tiefen Frieden und echte Dankbarkeit empfinde. Dankbarkeit auch für Möglichkeiten, selbst jetzt, trotz meiner schmerzhaften Einschränkungen, ein Segen für andere zu sein. All das ist nicht selbstverständlich! Sicher hat hier auch mein Sabbatjahr geholfen. Die Abenteuer, Menschen, Eindrücke, aber auch Herausforderungen aus dieser Zeit haben mich fundamental geprägt und niemand kann mir diese Erlebnisse mehr nehmen. Es gibt deshalb wenig, wo ich sagen könnte: „Hätte ich doch bloß …“, auch wenn natürlich trotzdem unerfüllte Wünsche da sind. Diese Zeit hat mich auch mit Freunden, Leitern und Gemeinde ausgerüstet, die seitdem für mich gebetet, geglaubt, gekämpft und gehofft haben, wenn ich es nicht konnte. Und sie tun es jetzt noch. 

„Ich habe durch meinen Glauben an ihn die Möglichkeit, mich zu entscheiden, den Versprechen und Verheißungen der Bibel in meinem Leid zu vertrauen.“

Ich entscheide! 

Durch sie, aber auch durch Bücher, Podcasts und Predigten darf ich gerade etwas ganz Wichtiges lernen: In Jesus, der selbst das krasseste Leid und die heftigsten Schmerzen hier auf dieser Erde erlitten hat, besteht eine Alternative zu meiner Hoffnungslosigkeit. Ich habe durch meinen Glauben an ihn die Möglichkeit, mich zu entscheiden, den Versprechen und Verheißungen der Bibel in meinem Leid zu vertrauen. Das erweitert meinen Horizont um einen entscheidenden Faktor: Da ist im Leid eine sichere Basis, auf die ich in allen Momenten zugreifen darf. Eine Basis, die ewig ist. Die meine Emotionen aushält, mich sieht und meine Last mitträgt, auch wenn ich es nicht immer direkt sehe oder fühle. Jesus Christus. Diese Spannung zwischen biblischer Hoffnung und gegenwärtigem Leiden auszuhalten, ist hart. Zu glauben heißt nicht, alles wird nun einfach. Ich erlebe viele Hochs und Tiefs in dieser Zeit. Es kostet viel Kraft. Aber ich will glauben und vertrauen. Und meine Geschichte geht weiter.