Kirche, das sind wir
Kolumne
Unterschiedliche Situationen gleichzusetzen und rasche Schlüsse daraus zu ziehen, ist selten wirklich hilfreich. Und doch müssen wir uns damit auseinandersetzen und dürfen uns nicht aus der Affäre ziehen oder rausreden. Uwe Heimowski war in Burundi und meint, was er dort gesehen hat, könnte auch bei uns funktionieren.
„Good morning, church“, begrüßt der Pastor die Besucher im Gottesdienst. Natürlich weiß ich, dass man „church“ nicht nur mit „Kirche“, sondern auch mit „Gemeinde“ übersetzen kann. Und doch denke ich bei Kirche normalerweise zuerst an das Gebäude oder auch an die Institution. Heute, hier in Bujumbura, Burundi, berührt mich diese Ansprache ganz neu. Das Gebäude hier ist eine einfache, aber liebevoll mit Bändern und Blumen geschmückte Halle, in der über 800 Menschen Platz finden. Sie ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Dreieinhalb Stunden feiern die Christen ihren Gott – dann beginnt der nächste Gottesdienst, und wieder wird die Kirche voll sein. Die Denomination, also die „Institution“, ist in diesem Fall eine Pfingstgemeinde. Doch das ist nicht so wichtig. Am nächsten Sonntag besuchen wir einen anglikanischen Gottesdienst, und auch dort ist die Kirche voll und der fröhliche, getanzte Lobpreis steckt uns an.
Zu wenig Platz
Wie kommt das? Warum treten bei uns in Deutschland und der westlichen Welt immer mehr Menschen aus der Institution Kirche aus? Warum stehen bei uns wunderschöne, denkmalgeschützte Kirchen leer oder werden zu Kulturzentren umgewidmet, während die Gottesdienste in vielen Ländern des globalen Südens nur so brummen und der Platz kaum ausreicht? Ohne Frage haben die Missbrauchsskandale eine wesentliche Rolle gespielt und den Prozess der Austritte besonders in der katholischen Kirche massiv beschleunigt. Zuletzt hat sich die evangelische Kirche da auch nicht mit Ruhm bekleckert – und wer weiß, was auch in evangelikalen Kreisen noch ans Licht kommt. Natürlich ist es für viele auch eine Frage des Geldes: Wer möchte noch Kirchensteuer zahlen, wenn er die Kirche nur zur Hochzeit und Beerdigung benötigt, wenn überhaupt?
Auch Wohlstand und Lebensstandard haben einen nicht geringen Einfluss. Für die Menschen in Burundi, dem am Bruttoinlandsprodukt gemessen ärmsten Land der Erde mit einer geringen Lebenserwartung und einer extrem hohen Kindersterblichkeit, lässt sich die Frage nach der Ewigkeit nicht auf die lange Bank schieben, während bei uns erstmal Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung greifen. Wie wenig unsere westlichen Gesellschaften (noch) mit lebensbedrohlichen Krisen umgehen können, haben nicht zuletzt die vielen panischen Reaktionen während der Coronapandemie gezeigt.
Die Veränderung
Doch der eigentliche Grund, warum die Kirchen in Afrika wachsen, ist ein anderer. Zumindest für Burundi kann ich das sagen. Es war Thema in vielen Gesprächen, die ich bei einer Reise im Februar mit Vertretern verschiedener christlicher Kirchen führen konnte. Es ist das, was in der Begrüßung durch den Pastor aufgeleuchtet war: „Good morning, church.“ Guten Morgen, Gemeinde, oder freier, aber vielleicht besser übersetzt: „Guten Morgen, Geschwister, ihr seid die Kirche.“ Noch besser: „Wir – du und ich – sind die Kirche.“ Mich erinnert das an ein weltberühmtes Zitat von Mahatma Ghandi: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ Das ist natürlich kein neuer Ansatz. Vom Mitmachen lebt die Gemeindearbeit. Und mehr als das: Es ist die Grundlage der Demokratie. Doch wie kommt es, dass es den Kirchen in Burundi tatsächlich gelingt, die Menschen zu erreichen und zu motivieren? Immerhin sind auch die dortigen Christen nach Bürgerkriegen und Terror traumatisiert, es gibt kaum Lohnarbeit, viele Kinder sind mangelernährt. Häusliche Gewalt ist für viele Frauen eine tägliche Erfahrung. Solche Zustände führen doch eher zu Agonie als zu Engagement. Wie kann es da gelingen?
„Ich kann auch mit geringen Mitteln etwas bewegen, weil ich Teil von Gottes Plan für diese Welt bin.“
Bildung, die hilft
Das Herzstück ist die Verkündigung. Etliche Kirchen in Burundi haben sich entschieden, mit internationalen christlichen Organisationen Programme aufzusetzen, die nicht in erster Linie mit Geld helfen, sondern mit Bildung. Bei Tearfund heißt dieses Programm „Church and Community Transformation (CCT)“, andere NGOs nennen es anders, haben aber einen ähnlichen Ansatz. Mehr als 2000 Kirchgemeinden aus 162 Denominationen sind allein in das CCTProgramm von Tearfund involviert. CCT ist ein Schulungsprogramm. Nach dem Motto „train the trainer“ werden Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ausgebildet, die ihr Wissen an Gruppen mit jeweils 20 Personen weitergeben. Das Programm hat drei Säulen: eine geistliche, eine soziale und eine ökonomische.
Geistlich: Die Teilnehmer lernen anhand der Bibel, dass Gott alle Menschen gleichwertig geschaffen hat. Die Frauen lernen, was häusliche Gewalt ist und wie man sich dagegen zur Wehr setzt. Die Männer erfahren etwas über „transformed musculinity“, ein verändertes Männerbild, das auf Epheser 5,25–30 zurückgeht: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Gemeinde liebt.“ Sozial: Miteinander studieren die Teilnehmer die Geschichte von Nehemia und dem Wiederaufbau des Tempels, um daraus zu lernen, wie sie selber dazu beitragen können, ihr eigenes Dorf aufzubauen. Manche brauchen ein Krankenhaus, andere eine Schule, wieder andere benötigen funktionierende Infrastruktur oder eine neue Kirche als Raum der Begegnung. Gemeinsam wird entschieden, welches Projekt realisiert wird. Und ökonomisch: Durch veränderte Lebensgewohnheiten kann sich auch die wirtschaftliche Situation von Menschen ändern. Ich traf einen Mann, der davon berichtete, dass er während des Trainings entdeckt hat, wie viel Geld er Abend für Abend für Alkohol ausgibt. Er hat seinen Konsum stark reduziert – und das gesparte Geld fließt nun in eine Gemeinschaftskasse, aus der die Projekte für das Dorf finanziert werden. Wer an solchen Projekten mitwirkt, der erlebt, was man gerne als „Selbstwirksamkeit“ bezeichnet: Ich kann auch mit geringen Mitteln etwas bewegen, weil ich Teil von Gottes Plan für diese Welt bin.
Nach meiner Einschätzung ist das die Zukunft der Kirche: Christinnen und Christen fit zu machen, sie in ihre Berufung zu führen. Denn Kirche, das sind immer Menschen. In Burundi haben viele Kirchen und Dorfgemeinschaften das erkannt. Und deshalb gilt hier nicht: „Gute Nacht, Kirche“, sondern: „Good morning, church.“
Seite teilen: