Einfach durchhalten

Ratgeber

Das Leben ist nicht immer nur freundlich zu einem und es gibt Momente höchster Anspannung, Angst und Verzweiflung. Philipp Rüsch weiß, wovon er schreibt, und meint: Wegducken ist keine Option und nach der Krise geht man gestärkt daraus hervor. Dennoch ist Durchhalten nicht einfach, es gibt nur keinen besseren Weg.

Sind wir doch mal ehrlich miteinander: Das Leben ist kein Zuckerschlecken und auch kein Ponyhof. Das war weder früher so, noch wird es in Zukunft so werden. Es gibt keine Zauberformel und auch keinen  Zauberglauben, die alles Beschwerliche plötzlich leicht und luftig werden oder verschwinden lassen. Es soll Drogen geben, die diese Zustände zumindest für einen kurzen Moment hervorrufen können. Aber dazu fehlt mir der Erfahrungsschatz. Und der langfristige Preis solcher Experimente stellt jeden kurzfristigen Gewinn in Frage. Das heißt, wir können auch so ehrlich sein und zugeben, dass in unserem Leben nicht alles einfach, glatt und nach Plan läuft. Es gibt Momente und Lebensphasen, in denen wir einfach durchhalten müssen. Für manche Menschen sind dies Krisen; für andere Dürreperioden. Egal wie lang diese Zeiten sind: Wenn man drinsteckt, fühlen sie sich endlos an. 

Stunden auf dem Boden

Eine solche Durchhalte-Situation habe ich letzten Sommer erlebt. Ich war auf der Rückreise aus dem Mittleren Osten. Mit einer erfolgreichen und sehr inspirierenden Trainingswoche im Gepäck war ich voller Vorfreude, endlich wieder bei meiner Familie zu sein. Die letzte Nacht verbrachte ich in einem Flughafenhotel, dessen beste Zeiten schon lange her waren. Am nächsten Morgen wachte ich mit unerträglichen Rückenschmerzen auf. Liegen, sitzen, stehen, gehen: Nichts war auszuhalten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits seit einem halben Jahr mit Rückenproblemen zu kämpfen, aber nicht in diesem Maße. Vier verschiedene Schmerzmittel brachten keine merkliche Linderung. Nach einigen langen Stunden auf dem Zimmerboden, viel Gebet und einer Dosierung deutlich über der ärztlichen Empfehlung (mit dieser Art Drogen kenne ich mich aus), machte ich mich langsam auf den Weg Richtung Flugzeug. Ich biss mich durch und schaffte es schließlich nach Hause. 

In einer anderen intensiven Phase stecke ich noch mittendrin. Mit Baby und Kleinkind, psychischen und physischen Belastungen in der Familie sowie beruflichen Herausforderungen habe ich oft das Gefühl, einfach nur durchhalten zu müssen. Es gibt selten einfache Auswege. Dann gilt es einen Schritt nach dem anderen und einen Tag nach dem anderen zu gehen. Wie tröstlich ist da die Bibel. Alle unsere Glaubenshelden sind durch existentielle Krisen gegangen. Ihr Glaube und ihre Hoffnung bis zum Äußersten gespannt, als sie verraten, verkauft, verfolgt wurden. Dagegen wirken unsere Situationen vielleicht banal. Doch diese Beispiele rufen uns zu: „Halte durch! Wir verstehen, wie schwierig deine Krise ist. Fürchte dich nicht. Du bist nicht allein. Klammer dich an Jesus!“

„Paulus beschreibt eindrücklich, wie sich aus Schwierigkeiten so Wertvolles wie Geduld, Stärke und Hoffnung entwickeln kann. Tugenden, die einen starken Charakter ausmachen.“

Was ist wirklich wichtig?

Paulus beschreibt in Römer 5 eindrücklich, wie sich aus Schwierigkeiten so Wertvolles wie Geduld, Stärke und Hoffnung entwickeln kann. Tugenden, die einen starken Charakter ausmachen. Dr. Todd Hall hat erforscht, welche Elemente im geistlichen Leben die tiefste Veränderung bewirken. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die drei wichtigsten Elemente kontemplatives Gebet, tiefe Freundschaften und durchlebtes Leid sind. Ein persönliches Reifen durch diese Situationen benötigt Zeit, ein treues Dranbleiben und Durchhalten. In Durchhalte-Situationen gilt es mehr als sonst, sich auf das absolut Wesentliche zu konzentrieren. Was hat oberste Priorität? Welche Beziehungen (dazu gehört auch der Glaube), welche Projekte, welche Lebensbereiche sollten auch nach dem Sturm noch intakt sein? Je nach Kapazität sind das vielleicht erschreckend wenige. Aber der über Bord geworfene Ballast rettet das ganze Schiff. Und einiges von dem, das vor dem Sturm abgeworfen wurde, kann später wieder aufgegriffen werden. Zum Wesentlichen gehören auch diese drei Basics: Schlaf, Essen und Bewegung. Das klingt für manche zu simpel. Es ist auch kein Allheilmittel. Aus meiner Erfahrung werden diese Basics jedoch zu oft vernachlässigt. Dabei zählen sie zu den wenigen Dingen im Leben, die einem mehr zurückgeben, als sie kosten. Denn ausreichend zu schlafen, sich ausgewogen zu ernähren und genügend Bewegung in den Alltag einzubauen, hat einen immens positiven Effekt auf Körper, Seele und Geist.  

Mein eigener Charakter 

Warum sollten wir eigentlich durchhalten? Warum nicht aufgeben, sich laut oder leise aus dem Staub machen? Für meine Motivation zum Durchhalten stehen zwei Gründe im Mittelpunkt. Zum einen sind es mir die Beziehungen zu den Menschen wert, die mit in der Krise stecken. Zum anderen ist es mir meine eigene Charakterbildung wert, dranzubleiben. Mit fast allen mir sehr wichtigen Personen bin ich schon gemeinsam durch ein dunkles Tal gegangen. Mal lag etwas Zwischenmenschliches vor, mal externe Gründe. Jeder dieser holprigen, schmerzhaften Wege hat die Beziehung gestärkt und vertieft. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass durchgestandene Krisen zu den stärksten Beziehungskits gehören. Das ist besonders wichtig für die Eltern-Kind- Bindung. Kinder müssen spüren, dass ihre Eltern auch im größten Trotzanfall ihre Liebe nicht zurückziehen.

„Zero-Days kommen nicht in Frage.“

Eine Grundregel hilft mir persönlich regelmäßig: Zero-Days kommen nicht in Frage. Das sind Tage, an denen ich absolut nichts gebacken und erledigt bekomme. Es gibt Tage, an denen die Nebelsuppe in meinem Kopf dicker ist als im tiefsten November oder sich der Gang in den Keller anfühlt wie eine Everest-Besteigung. An diesen Tagen möchte ich zumindest Kleinigkeiten erledigen, für die mein zukünftiges Ich dankbar sein wird. Wenn ich morgen aufwache, werde ich dankbar sein, dass ich heute zum Beispiel die Spülmaschine ausgeräumt oder die Blumen gegossen habe. Ich kann nicht jeden Tag Bäume ausreißen, aber ein heute ausgerissenes Unkraut erspart mir morgen etwas Arbeit.