Kein Platz ist mein Platz
Persönlich
Wer immer in Bewegung ist und sich ständig neu erfinden muss, dem kann man kaum vorwerfen, nicht zu wissen, wohin er gehört. Dabei macht es einen Unterschied, ob man die Entscheidung zum steten Wechsel selbst trifft, oder ob sie einem widerfährt. Samuel-Joel Steger hat sie nicht selbst getroffen und erzählt seine sehr persönliche Geschichte.
„Mitten in dieser Welt, doch nicht von dieser Welt, wir gehören zu dir und doch sind wir noch hier“. Das ist eine Zeile aus dem bekannten Lied „Zwischen Himmel und Erde“ von Albert und Andrea Adams-Frey. Ich finde diese Zeile immer wieder auf so viele Weisen berührend. Erstens, weil sie ziemlich gut mein Leben beschreibt, beziehungsweise das meiner Familie. Seit ich denken kann waren wir nie irgendwo „zuhause“. Der Körper und die Seele immer unterwegs, von einem Ort zum anderen, um dann einige wenige Jahre dort zu verweilen, und dann weiterzuziehen. Meine Eltern waren bei jedem der vielen Schritte, die wir als Familie gegangen sind, immer mit Gott darüber im Einklang, und dafür bin ich wirklich sehr dankbar. Aber die viele Umzüge, neue Gemeinden, Schulen, Menschen und Umfelder haben mich bis heute auch stark geprägt.
Hab ich nicht
Die höchsten Prioritäten der deutschen Bevölkerung sind laut einer Umfrage die Familie und die Sicherheit. Ein Ort, ein Haus oder eine Wohnung, ein Sparplan, ein Freundeskreis und ein sicherer Job. Das typische Leben der meisten Leute, die ich in meinem Leben kennenlernen durfte, sieht so aus. Das Sicherheitsbedürfnis wird immer größer, gerade wenn wir auf die aktuelle Situation in Deutschland gucken. Auf der einen Seite die Pandemie, die zurzeit fast überwunden scheint, auf der anderen Seite die steigenden Preise, und inmitten von all dem der Krieg in der Ukraine. Die Welt ist aufgewühlter denn je. In all dem suchen wir eine Sicherheit. Das kann Geld, Job oder Gesundheit sein, aber alles das scheint im Moment mehr als gefährdet zu sein, also brauchen wir etwas anderes. Zuhause.
Wir ziehen um
Eine Familie, ein Ort, vielleicht ein Haus - das ist für viele Menschen das, was sie ihr Zuhause nennen. Eine Sicherheit, die sie durch ihr Leben auf dieser Erde trägt. Doch was, wenn das wegbricht?
Etwas wie diese Sicherheit, diese weltliche Definition von „zuhause“, durfte ich nie kennenlernen. Die längste Zeit an einem Ort – immerhin 8 Jahre – verbrachte ich in Freital (Sachsen), und gerade als ich dachte, so langsam habe ich mich eingelebt, in der Schule läuft es, kam der nächste Umzug. Neuer Ort, neue Menschen, neue Schule, neue Gemeinde und neue Freunde. Und plötzlich kam dann wie aus dem Nichts die Nachricht unserer Eltern an uns Kinder: wir gehen in die Mission. Durch die ganzen Umzüge war das kein großes Problem für uns, es war halt einfach nur ein anderes Land. Und wenige Monate später waren wir auch schon auf dem Weg nach Bolivien.
„Ein nächster Umzug, ein Schulwechsel und nach kurzer Zeit die Umstellung auf Homeschooling. Letzteres war für mich der Anfang vom Ende.“
Nur die Familie
Ich bin ein Mensch, der die Dinge, die passieren, so krass sie auch sein mögen, erst immer kurz vorher realisiert. Oder dann, wenn´s so weit ist. So war es auch mit diesem großen Schritt. Ein neues Land, eine neue Sprache, eine neue Kultur. Das hatte ich bisher nur so ein bisschen beim Umzug nach Brandenburg erlebt. Bolivien war wie ein totaler Neuanfang. Spannend, aber auch anstrengend, mich in die neue Kultur und Sprache einzufinden. Und auch dort ging weiter, was ich schon kannte. Ein nächster Umzug, ein Schulwechsel, und nach kurzer Zeit die Umstellung auf Homeschooling. Letzteres war für mich der Anfang vom Ende, beziehungsweise einem echten Neuanfang. Als die Schule, auf die ich ging, wegfiel und wir auf Homeschooling umstiegen, fielen automatisch fast alle anderen Kontakte und Berührungspunkte mit Menschen weg. Meine einzigen Kontakte in der Woche waren die Leute im Fitnessstudio, sowie die Gemeinde am Sonntag. In diesem Moment merkte ich nicht, dass dieses Leben auf Dauer höchst ungesund sein würde. Homeschooling traf nach einem Jahr auf die Corona Pandemie, und von da an waren wir fünf Monate auf engstem Raum, nur wir als Familie, keine anderen Kontakte oder Möglichkeiten sich aus dem Weg zu gehen. Meine Eltern konnten in dieser Zeit absolut nichts dafür, der Lockdown trug wohl die Hauptschuld, und ich bin sicher, dass es nicht wenige Familien gab, die daran zerbrochen sind. Ein Zuhause, eine Familie kann dann nicht mehr der Ort uneingeschränkter Sicherheit sein, wenn man nur diesen Ort hat.
Ich muss raus
Die Zeit des Homeschoolings und der Einsamkeit - auch schon vor dem Lockdown - hat Spuren hinterlassen. Wenn ein Kind den ganzen Tag nur zuhause sitzt und nicht genug soziale Kontakte pflegt, wird daran auf lange Sicht die Beziehung zur Familie, und damit das Zuhause und die Sicherheit, die die Familie gibt, zerbrechen. Auch für mich hatte diese Zeit der Isolierung Folgen. Einsamkeit und Alleinsein ist für mich zu einer unglaublich schmerzhaften Sache geworden. Das, was für viele Menschen Erholung pur ist, ist für mich mental purer Schmerz. Aufgrund der Situation haben wir uns als Familie dafür entschieden, dass ich ein FSJ machen und relativ umgehend von zuhause ausziehen werde. Dieser Schritt war im Endeffekt das größte Geschenk von Gott, die räumliche Distanz zu meinen Eltern hat die sehr belastete Beziehung wieder geheilt und ich freue mich immer, wenn ich meine Familie besuchen darf. Es ist eine andere Beziehung geworden. Eine Beziehung auf Augenhöhe.
Ein großer Traum
Auch in meiner Beziehung zu Jesus ist die anfänglich erwähnte Liedzeile für mich sehr wichtig geworden. Denn auf dieser Welt werde ich nie ein Zuhause finden, auch wenn ich Orte habe, zu denen ich mich hingezogen fühle. Wieder nach Bolivien oder Südamerika zurückzukehren ist für mich trotz der schlechten Erfahrungen, die ich gemacht habe, ein großer Traum. Die guten Erfahrungen überwiegen. Ich lebe auf dieser Welt und weiß genau, dass mein Zuhause im Himmel bei Jesus ist, und ich bei ihm nie wieder Schmerzen, Einsamkeit oder Angst erleben werde. Und dennoch bin ich noch auf dieser Erde. Mit dem Gedanken, dass ich hier kein Zuhause finden werde, kann ich mich gut anfreunden. Denn er hat seine guten Seiten. Ich habe kein Problem den Ort zu wechseln, habe keine Angst vor Neuem. Ich weiß, dass Jesus mitgeht. Mein Zuhause kann ich auf dieser Welt auch nicht in Menschen finden, weder in Freunden noch in der Familie. Ich habe die Suche aufgegeben, das bringt mich näher zu Gott, weil ich weiß, dass alles von ihm abhängig ist.
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