Menschen beobachten

Satire

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, dass die einen Menschen sich in Straßencafés setzten, um andere Menschen von dort aus zu beobachten. Aus die Maus. Schluss mit Lustig. Und wenn man trotzdem wissen will, was geht, schickt man eben Kundschafter aus. Für uns machte sich Andreas Malessa auf den Weg und wurde fündig.

Hätten Sie vor zwei Jahren an einer Bushaltestelle folgenden Dialog mitangehört: „Ich geh´ morgen in die Sparkassenfiliale.“ „Ich komm mit. Aber vergiss´ Deine Maske nicht!“ – Sie hätten sofort die Polizei angerufen, oder? Heute ist so ein Wortwechsel völlig unverdächtig. Wie beruhigend.

Beunruhigend dagegen ist, dass sich der Straßenlärm draußen beruhigt hat – die Berufspendler sind im Homeoffice, die Ausflügler haben Ausgangssperre - während sich der Wohnungslärm drinnen verstärkt hat: Wenn alle ein Smartphone, viele ein Tablet und manche einen Laptop vor sich haben, piept, klingelt und quakt es von überallher. Selbst wenn niemand auch nur einen Pieps sagt. Die Kaffeemaschine im Dauerbetrieb klingt pro Tasse wie ein startender Düsenjet und mancher alte Drucker pro Seite wie ein Sägewerk. 

Das Wort „Homeschooling“ heißt ja nicht „Heimschulung“, sondern „Heimsuchung“: Kinder suchen ihre Motivation und immer neue Ausreden. Mütter suchen die Unterrichtspapiere und den didaktischen Zugang. Väter suchen den Ausgang, also das Weite. 

Mehr Meer oder weniger weg?

A propos Weite: Opa hat auf dem Klo Ernest Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ deponiert und liest dort lange und ausgiebig. Das Mehr an Haushaltsarbeit ist nämlich größer als gedacht, wenn alle ständig an Bord sind. Und wenn man muss, muss man nicht sofort an Deck sein. Das stille Örtchen ist manchmal der einzige Ort arbeitsfreier Stille. 

A propos Stille: Seit Oma ein Hörgerät hat, hören alle anderen sie schlechter. Weil sie jetzt viel leiser redet. Die schönsten CDs von André Rieu dreht sie trotzdem so laut auf, dass die Enkel unter ihre Kopfhörer flüchten. Um Hausaufgaben zu machen, wie sie behaupten. Tatsächlich hören sie Rap und HipHop. Dabei hören sie aber nicht, dass Mama sie ruft. 

A propos Rufen und Hören: Mama ruft gern Freundinnen an, von denen sie lange nichts gehört hat. Besonders gern Single-Freundinnen, die eine Gäste-Couch oder ein Gästezimmer haben. Und in der Nähe wohnen. Nach zwölf Monaten Ganztagespräsenz ihres Ehegatten will Mama einfach mal „raus“, „ausschlafen“, „laptoplos Sofasitzen“, „in Ruhe ratschen“, „einen Mädelsabend“ genießen. Zeit investieren - außer in ihre glückliche Ehe investiert Mama auch viel spätabendliche Zeit in eine glückliche Beziehung zu Netflix. Die haben keine einzige Doku über Corona im Programm, keine! Während im öffentlich-rechtlichen ja nichts anderes mehr läuft.

„Gänzlich abraten muss man vom drei-gruppigen Kanon. Erst recht vom Kanon "Wo zwei, oder drei, in meinem Namen versammelt sind…"“

A propos laufen: Als Papa neulich „mal raus“ ging, lief er heimlich am leeren Fußballstadion, an seiner verwaisten Firma, an drei geschlossenen Kneipen und an der Kirche vorbei. Auch zu. Dort hatte er vor Corona jeden Donnerstag in ein Blechblasinstrument gepustet, denn Bläserchöre sind ein fester Bestandteil evangelischer Frömmigkeit, evangelischer Kirchentage und evangelischer Beerdigungen. Weil außer heißer Luft aber auch Speichel ausgestoßen wird, ist das Gebläse verboten. Sogar auf Friedhöfen, im Freien. Wenn Papa dort melancholisch schweigend vorbeispaziert, hält Mama das für ein Symptom von „verdrängter Blaskapellitis“. Eine psychische Auffälligkeit, die bis zum exzessiven Gebrauch von Laubbläsern führen kann. 

Gegen sowas helfe Singen, meint Oma. Zuversichtlicher, tröstender Gesang. Aber nur solo. Unter der Dusche, wie immer schon. Oder beim Kochen, unter der Dunstabzugshaube am Herd. Wegen der Aerosole, versteht sich. Das Wort kannte sie vor zwei Jahren noch gar nicht. Nur „Aerodynamik“ und „O sole mio.“ Die Kombination aus beidem - dass also Luftströmungen einsam machen können - hindert weder sie noch ihren Schwiegersohn daran, „Atemlos durch die Nacht“ in der Küche zu singen. Oder im Auto. Angeblich der einzige Ort, an dem Männer hemmungslos laut singen, wenn die Fenster zu sind. 

Fenster auf. Klappe zu?

A propos Fenster: Karaoke am offenen Fenster geht. Wenn man nette Nachbarn hat. Zweistimmiger Gesang am offenen Fenster wird schon schwierig, wenn die Nachbarn nicht nett sind. Ist die zweite Stimme familienangehörig oder eine Besucherin? Singt da eine Pflegekraft, eine Lehrerin, ein Handwerker oder sonstwer mit zig Kontakten pro Tag? Gänzlich abraten muss man vom drei-gruppigen Kanon. Erst recht vom Kanon „Wo zwei, oder drei, in meinem Namen versammelt sind…“ In den hellhörigen Stockwerken drunter sind möglicherweise zwei oder drei versammelt, die Verstöße gegen die Besuchseinschränkungen sammeln. Trotz Stoßlüftung. Was die Corona-App nicht schafft, erledigt ja die Blockwart-Mentalität mancher Leute. Denunzianten, trotz maskenhafter Höflichkeit. 

A propos Masken: Die finden alle in der Familie gut! Papa sieht nicht mehr, ob Mama einen Schmollmund macht. Mama freut sich, dass er ihr endlich alle Wünsche von den Augen ablesen muss. Opa fürchtet keinen Mundgeruch von niemandem mehr. Und abstehende Ohren hatte Oma immer schon. Sagte sie früher im Supermarkt empört „die Preise verschlagen mir ja den Atem!“, beschlägt ihr der Atem jetzt die Brille, so dass sie die Preise eh nicht mehr lesen kann.

Nur die Fragen der Kinder sind schwieriger zu beantworten als früher. „Unser Lehrer hat gesagt“, fing der 12jährige neulich an, „er fühlt sich nicht von der Beschränkung seiner Rechte bedroht, sondern von Rechten und Beschränkten. Was meinte der, Mama?“ Das wusste sie zwar, verriet es ihm aber nicht…

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