Ganz schön gefährlich
Leitartikel
Wer sich mit dem Leben beschäftigt, stellt Fragen. Gestaltet und mischt sich ein. Und findet Antworten. Der gibt sich nicht mit Ausflüchten, Plattheiten oder Unkonkretem zufrieden. Der will es wissen: was ist gefährlich? Und sollte man das dann einfach lassen? Was ist sicher? Soll man das dann lieber tun? Detlef Eigenbrodt spürt einem Thema nach, das für viele viel bedeutet.
Ich liebe dieses Land, seitdem ich das erste Mal dort gewesen bin. Zugegeben, das war ein etwas ungewöhnlicher Aufenthalt. Mitte zwanzig Teilnehmer eines Seminars, untergebracht in einer Art Jugendherberge irgendwo in der Nähe Pretorias, Schlafsaal mit offenem Spitzdach für die Männer, Fledermäuse inklusive. Vom Rest will ich gar nicht reden, es hat meiner Begeisterung offenbar ja auch keinen Abbruch getan. Immer wieder zieht es mich zurück, jetzt schon seit mehr als 20 Jahren. Allein, mit meiner Frau, mit meinen Kindern, mit Reisegruppen. Und nahezu jedes Mal taucht von irgendwoher die Frage auf: „Ist das denn eigentlich sicher? Man hört doch so viel über Gewalt und Kriminalität.“ Besorgte Menschen, Familie, Freunde, Nachbarn, sie alle machen sich Gedanken. In diesem Fall um die Sicherheit in Südafrika. Um meine zunächst und natürlich auch um die der Menschen, die mit mir unterwegs sind. Wenden wir ein bisschen Psychologie an. Wenn einer etwas wirklich will, dann wird er entweder die damit verbundene potenzielle Gefahr verharmlosen oder verleugnen. Aber er wird sich niemals davon abhalten lassen, es zu tun. Wie mein Freund Thomas, der da plötzlich anfängt, einen Skydiving Kurs zu machen. Er ist altersmäßig mehr in den Fünfzigern als in den Zwanzigern. Und findet sich irgendwann in einem Flugzeug über dem beschaulichen Odenwald und springt aus der Kiste. Nicht ganz, ohne die Hosen voll zu haben, wie er mir später erzählte. Wesentlich aber ist, dass er gesprungen ist. Und seitdem springt er immer wieder. Auf dieses Gefühl von Freiheit will er wohl nicht mehr verzichten. Ob das gefährlich ist, was er da tut? Im vergangenen Jahr waren es vier Menschen, die durch diese Sportart zu Tode kamen. In den vier Jahren davor waren es weniger. Liegt es im Auge des Betrachters, ob wir von einem gefährlichen Sport sprechen? Oder sprechen die Fakten für sich? Wann ist was gefährlich, oder um es anders zu formulieren, wann ist etwas wirklich unsicher? Ich habe noch einen Freund. Martin. Mit dem ging ich vor einigen Jahren regelmäßig Badminton spielen. Was war das für eine tolle Zeit! Bis er ausrutschte und sich die Bänder riss. Beim Duschen. Daheim! Als seine Frau meinte, er solle wohl besser die nächste Zeit nicht mehr zum Sport gehen, fragte ich, ob er nicht eher aufs Duschen verzichten müsste. Schließlich hatte er sich dabei verletzt. Und dann ist da noch Paul, ein wirklich cooler Typ. Der hangelt sich von Felsen zu Felsen, klettert rauf und runter, meistens ungesichert, allein gehalten durch Muskelkraft und Körperspannung. Ein Wahnsinnskerl! Der übrigens nicht wirklich darüber nachdenkt, dass er auch mal abstürzen könnte.
Ganz schön sicher?
Südafrika. Skydiving. Duschen. Freeclimbing. Sicherheit? Nach diesem Suchwort gefragt, generiert die Onlineversion des guten alten Dudens folgende Art Mindmap, sammelt also computergestützt Begriffe, die sich mit dem Thema verbinden:
Das mit der Sicherheit ist komplex und weitgefächert. Persönlich auf der einen, politisch auf der anderen Seite. Gesellschaftsrelevant, religiös, soziologisch, pathetisch und irgendwie auch unkonkret. Wir sprachen schon von Thomas und Martin. Unterhalten wir uns über Josua. Er war gerade mal achtzehn, als er sein freiwillig soziales Jahr begann und er in diesem auch auf der Baustelle eingesetzt wurde. Bei einer seiner Arbeiten war er dabei, mit dem Hochdruckreiniger die Außenfassade der Rückseite des Gebäudes abzustrahlen. Auf dem Gerüst, im dritten Stock, alles vorschriftsmäßig und gut gesichert. Aber seine Schutzbrille war total verdreckt und er wollte sie saubermachen, mit dem Restwasser, das aus der Düse des Reinigers rann. Dabei rutschte er mit dem Finger ab und drückte den Abzug durch. Und schoss sich mit voller Wucht einen Strahl ins Gesicht, direkt ins Auge, da, wo es an den Nasenansatz grenzt. Dann wurde er ohnmächtig. Auf dem Gerüst. Als er wieder zu sich kam, war sein erster Gedanke: „Der Kompressor läuft noch, den sollte ich ausstellen.“ Also machte er sich auf ziemlich wackeligen Beinen hoch oben auf den Weg zum Kompressor, der drei Stockwerke unter ihm brummte. Das nächste Mal, dass er zu sich kam, war direkt neben dem Gerät. Rücklings auf dem Boden, mit sonderbar verdrehtem Kreuz, direkt auf einer etwas höherstehenden Kopfsteinpflastereinfassung. Dort fand ich ihn, weil er mit schwacher Stimme um Hilfe rief. Wie er dort hingekommen war, was vorher passiert war, nun, er konnte sich an nichts erinnern. Zunächst. Einige Zeit später im Krankenhaus setzte Josua einzelne Puzzlestücke wieder zusammen und erzählte mir, was passiert war. Bis auf ein mördermäßig blaues Auge und einige Prellungen im Gesicht war dem Burschen nichts passiert. Gott sei Dank! Er machte sich allerdings Sorgen um seine Hosen. Die hatten ihm die Rettungskräfte nämlich an beiden Beinen von unten bis oben aufgeschnitten, um ihn untersuchen und abtransportieren zu können. Sein Unfall, eine Frage der Sicherheit? Ja. Hatte irgendjemand die Sicherheit außer Acht gelassen?
„Da liegt doch die Vermutung ziemlich nahe, dass für das Wort Gottes Sicherheit nicht einer der zentralen Begriffe ist.“
Ganz ehrlich. Ich fühle mich durch Überwachungskameras – übrigens ein durchaus negatives Wort, das der ganzen Debatte sicher nicht zuträglich ist – nicht belästigt. Ich fühle mich in meiner Freiheit nicht eingeschränkt, nicht beobachtet und eben auch nicht überwacht. Ihre Anwesenheit belästigt mich nicht, macht mir keine Sorgen und lässt mich auch nicht an den Grundfesten unserer demokratischen Ordnung zweifeln. Aber sie geben mir auch nicht das Gefühl von Sicherheit. Oder stärker noch, das Wissen, die Überzeugung, das feste Mich-drauf-verlassen-können, dass diese digitalen Augen dafür sorgen könnten, dass es sicher um mich herum zugeht. Mir ist bewusst, jederzeit, dass immer etwas passieren kann. Beim Duschen. Bei der Arbeit. In der Stadt. In Südafrika. Die Form der Sicherheit, die an eine garantierte Leistung denken lässt, die mir irgendjemand zukommen lässt, weil ich ihn dafür gewählt oder bezahlt habe, gibt es nicht. Trotzdem nehme ich weiterhin fröhlich und beherzt am Leben teil. Nicht leichtsinnig, nicht die Unsicherheit fahrig ignorierend, aber sie als das in Kauf nehmend, was sie nun mal ist: ein Teil des Alltags.
Ganz schön egoistisch?
An was denken Sie denn so, wenn Sie den Begriff „Sicherheit“ hören? Was kommt Ihnen als erstes in den Sinn, was als zweites und was, wenn Sie etwas länger damit „schwanger gehen“? Vielleicht der große Themenbereich um Flüchtlinge und Migranten, der ja nach wie vor in vieler Munde ist? Ja. Da gibt es welche, die unsere Sicherheit gefährden, die Anschläge verüben, die mit bewusster Planung und aus welchen Motiven auch immer zerstören wollen, solche, von denen ich dankbar wäre, sie würden ihr Unheil lieber anderswo treiben. Allerdings finde ich das auch irgendwie egoistisch. Kennen Sie Michel aus Lönneberga? Diesen kleinen Burschen aus der gleichnamigen Fernsehserie? Da gibt es eine Folge, in der sind die Großmutter und die Magd Lina im Gespräch über den frechen Kerl und eine meint, der sei so frech, dass man ihn weit wegschicken sollte. Am besten nach Amerika. Das war wohl das Weiteste, was sie sich vorstellen konnte. Die andere meinte daraufhin, das könne man den armen Amerikanern dann auch wieder nicht antun.
Ja. Ich sage es laut und deutlich: ich möchte nicht, dass Menschen aus anderen Ländern unter dem Deckmantel irgendeiner Bedürftigkeit und unsere Hilfsbereitschaft ausnutzend in unser Land kommen, um hier ihr destruktives Gedankengut zu verbreiten, Menschen, Wert und Würde zu verachten und Anschläge zu verüben. Ich will das nicht! Genauso wenig will ich, dass auf einem Campingplatz in Nordrhein-Westfalen dutzende Kinder missbraucht werden von Männern, die in unserem Land zuhause sind. Diese Kinder, hätten die nicht in Sicherheitaufwachsen sollen? Hätten die nicht verdient, einen Schutzraum um sich zu haben, und jemanden in der Nähe, der auf sie achtet? Sie beschützt? Ich könnte manchmal heulen. Ich könnte verzweifeln und mir die wenigen noch verbliebenen Haare raufen. Ich könnte den Politikern die Schuld geben, den Behörden, der Gesellschaft. Oder vielleicht auch einfach nur den Tätern. Aber ich würde mich doch einer fürchterlich grausamen Illusion hingeben, wenn ich meinte, irgendwer könne absolute Sicherheit garantieren. Vermutlich gibt es die nicht mal in der rudimentärsten Form. Schon gleich gar nicht, wenn alle Vorsichtsmaßnahmen des Staates, zum Beispiel nachrichtendienstliche oder polizeiliche Aktivitäten, als dreister Eingriff in die Privatsphäre und als das Ende der Freiheit verdammt werden. Schlagen wir noch mal im Duden nach. Der definiert Sicherheit so: „Ein Zustand des Sicherseins, Geschütztseins vor Gefahr oder Schaden; höchstmögliches Freisein von Gefährdungen“. Ich meine, das wird in dieser Form wohl kaum zu machen sein.
Ganz schön mutig!
Wenn nun Menschen, Systeme, Regierungen, Ordnungen und Staatenverbünde nicht für echte Sicherheit im Sinne der Wortbedeutung sorgen können, wer dann? Der Herr im Himmel vielleicht? Der allmächtige Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde? Schaut man in der Konkordanz auf Bibelserver.com nach und wählt die Übersetzung der Lutherbibel 2017, bekommt man schlappe 13 Treffer zum Begriff „Sicherheit“. Davon einen im Neuen Testament und drei aus den Apokryphen. Immerhin. Wählt man die Elberfelder Übersetzung, sind es 44, bei der Hoffnung für Alle 84 Treffer. Gibt man „Glauben“ ein, sieht es ganz anders aus: weit über 400 Treffer, egal, welche der drei erwähnten Bibelversionen man wählt! Da liegt doch die Vermutung ziemlich nahe, dass für das Wort Gottes Sicherheit nicht einer der zentralen Begriffe ist. Dass es sich also nicht zunächst mit einer Leistung, die garantiegleich abzurufen ist, beschäftigt, sondern mit einer Haltung, die Vertrauen und Zuversicht ausdrückt. Kein lapidares „es wird schon nichts passieren“, sondern ein überzeugtes „er weiß, was mir begegnet“.
Ich muss an ein altes Lied zu denken. Jedes Mal, wenn ich es höre oder singe, bewegt es mich tief und öffnet mir die Augen für eine wunderbare Wahrheit. Hedwig von Redern hat es geschrieben, 1901:
Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl;
das macht die Seele still und friedevoll.
Ist's doch umsonst, dass ich mich sorgend müh,
dass ängstlich schlägt mein Herz, sei's spät, sei's früh.
Du weißt den Weg für mich, du weißt die Zeit,
dein Plan ist fertig schon und liegt bereit.
Ich preise dich für deiner Liebe Macht,
ich rühm die Gnade, die mir Heil gebracht.
Du weißt, woher der Wind so stürmisch weht,
und du gebietest ihm, kommst nie zu spät,
drum wart ich still, dein Wort ist ohne Trug,
du weißt den Weg für mich, das ist genug.
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Von Sicherheit schreibt sie gar nichts. Sie wendet sich an Gott, voller Vertrauen und Hingabe, und fragt nicht danach, welche Sicherheit er ihr geben kann. Man hat den Eindruck, dass sie sich dennoch gut aufgehoben weiß. Dass sie ruhig ist, entspannt, fest daran glaubend, dass da einer ist, der auf sie achtet und aufpasst. Und der die Fäden in der Hand hält, der dem Sturm des Lebens Einhalt gebietet und nicht zu spät kommt. In diesem Wissen wird Hedwig von Redern still und meint: Gott weiß den Weg für mich, das ist genug.
Magazin Sommer 2019
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