Dann kam die Diagnose
Biografie
Von einem Moment auf den anderen stürzt die Sicherheit der damals 28-jährigen in sich zusammen, als sie den knappen Namen ihrer Krankheit erfährt. Grausam wird der komplette Lebensentwurf der sport- und berufsbegeisterten Frau zerstört und führt sie hinab zu den Tiefen ihrer selbst. Es dauert, bis sie wieder auftaucht und dem Alltag mutig die Stirn bietet. Ein sehr persönlicher Bericht über den Kampf mit und gegen Multiple Sklerose.
Gibt es Gott? Keine Frage! Als Kind war ich mir dessen ganz sicher. Dennoch habe ich nach meiner Konfirmation keine anhaltenden Schritte zum Glaubenswachstum gewagt, da ich von äußeren Bedingungen gestoppt wurde. So konzentrierte ich mich auf das Lernen und hatte sehr guten Erfolg in Schule und Studium. Bei der Anwendung meines Wissens aus dem Studium im Beruf hatte ich in den ersten Jahren Schwierigkeiten. Das Arbeitsleben war doch anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Wofür hatte ich bloß all diese spannenden Dinge gelernt, wenn sie nun keiner wissen will? Daher wagte ich im Jahr 1999 einen kompletten Neustart. Ich beendete meine Partnerschaft, löste mich vom geliebten Studienort und begann eine Beschäftigung in einem größeren Unternehmen. Dort erhoffte ich mir die Zufriedenheit, die ich bisher nicht gefunden hatte. Der Start verlief gut. Ich fand neue Herausforderungen auf Führungs- und Qualitätsmanagementebene. Da auch Freundschaften entstanden, war ich tatsächlich zufrieden.
Mein Bein macht mir zu schaffen
Eines Tages merkte ich, dass ich mein rechtes Bein nicht normal bewegen konnte. Besonders bei längeren Strecken spürte ich eine Schwäche im Bein und konnte es nicht bewusst kontrollieren. Entsetzt suchte ich Hilfe bei einer Bekannten, die Physiotherapeutin ist. Ihre Behandlung war aber nicht von Erfolg gekrönt. Inzwischen litt ich unter Gleichgewichtsproblemen beim wöchentlichen Jazztanz, die mich aus der choreographischen Bewegungsfolge warfen und sehr belasteten. Auch das Joggen und Inliner Fahren war nur noch eingeschränkt möglich. Unvorstellbar für eine von Jugend an aktive Hobby-Sportlerin! Auf Empfehlung der Physiotherapeutin konsultierte ich einen Orthopäden. Dieser leitete weitere Untersuchungen ein. Nach dem ersten Besuch beim Neurologen wusste ich, welche Diagnose er vermutete, ohne dass er etwas gesagt hatte. Ich informierte mich selbständig und entschied, dass ich diese Erkrankung nicht haben wollte. Als Konsequenz davon strich ich den Orthopäden-Abschlusstermin und hielt die täglichen Beschwerden beim Laufen aus. Von Ignorieren konnte man schon lange nicht mehr sprechen.
Therapie? Fehlanzeige!
Erst nach einer langen Wattwanderung im Sommer, wo jeder sehen konnte, was ich für Beschwerden hatte, ging ich erneut zum Neurologen. Es kam die befürchtete Untersuchung: Liquor Punktion! Immer noch, ohne dass über eine Diagnose gesprochen worden wäre! Da brach meine kleine vermeintlich heile Welt zusammen. Ich lag alleine im Krankenhaus und war gefühlt in diesem nicht mehr funktionierenden Körper dem Mutwillen der Ärzte ausgeliefert. Intuitiv musste ich an meine Studienfreundin denken. Diese schien tiefen Halt im Glauben zu haben. Und ich? Da wurde mir bewusst, wie konsequent ich Gott ignoriert und der Karriere geopfert hatte. Ich schrie um Hilfe. Ich bekannte mein egoistisches Leben vor Gott und entschied mich für ein Leben mit ihm. Ein Anfang. Viele Untersuchungen folgten, bis die Diagnose endlich ausgesprochen wurde: Multiple Sklerose.
Weder ich noch meine Familie oder Freunde wollten das glauben. Schulmedizinische Therapie gab es im Jahr 2000 erst dann, wenn man zwei Schübe, das heißt, zwei dieser Schwächezustände innerhalb eines Jahres, hintereinander erlebt hatte. Waaaas? Jetzt wurde ich auch noch mit dieser Horror-Diagnose allein gelassen?
Ich suchte die Nähe Gottes
Leider war das damals die Wahrheit. So begann ich alternative Therapien, die aber nicht wirkten. Was nach Monaten half, war eine Therapie, bei der Liquor entnommen und stattdessen Kortison eingespritzt wird. Schon wieder Liquor Punktion! Freiwillig unterzog ich mich dieser gefährlichen Behandlung, weil ich einfach verzweifelt war und keine andere Chance auf Linderung sah. Das konnte doch nicht das Ende meines jungen Lebens sein! Ich ersehnte mir einen Partner und Familie, wie würde das mit dieser Erkrankung möglich sein? Und immer das Schreckgespenst „Rollstuhl“ vor Augen. Keiner garantiert einem, auch mit Therapie, dass man einen gutartigen Verlauf bekommt.
„Nach dem ersten Besuch beim Neurologen wusste ich, welche Diagnose er vermutete, ohne dass er etwas gesagt hatte. Ich informierte mich selbständig und entschied, dass ich diese Erkrankung nicht haben wollte.“
Wo fand ich Halt in dieser Ungewissheit? Ich suchte Gottes Nähe und übergab mein Leben vor Zeugen an Jesus Christus, weil ich verstanden hatte, dass er wegen meiner Sünde am Kreuz gestorben ist. Ich bekam die Gewissheit ewigen Lebens, wusste Jesus an meiner Seite und trat in eine Gemeinde ein. Hier konnte ich im Glauben und in der Gemeinschaft wachsen. Sehr wertvoll ist mir die Erkenntnis, dass Gott mich liebt. Trotz Krankheit. So bekommt der Vers in 2. Korinther 12,9 „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ eine ganz persönliche, ermutigende Bedeutung für mich.
Ich bin wirklich dankbar
Gott hilft mir immer weiter, falsche, „ungesunde“ Verhaltensweisen wie z. B. verbissenen Ehrgeiz oder Perfektionismus abzulegen und zu tauschen gegen Dankbarkeit und Demut. Hier bin ich noch nicht am Ziel, aber auf dem Weg. So werde ich barmherziger mit dem Fehlverhalten anderer Menschen und mit mir selbst, denn ich habe erkannt, dass es mich sehr viel Kraft kostet, mich aufzuregen. Gottes Wort und kleine Erlebnisse in der Natur oder mit Menschen erfüllen mich und tragen mich. Auch durch schwere Zeiten hindurch. Und die kommen immer wieder.
Ich will Gottes Wege für mich annehmen. Durch die Diagnose habe ich definitiv schneller zu einer tiefen Liebesbeziehung zu Jesus gefunden. Dafür bin ich dankbar. Jesus ist mein Leben. Inzwischen bin ich Rentnerin. Oh Schreck! Ein Leben ohne Arbeit? Ohne feste Strukturen? Ohne Erfolg und Anerkennung? Das fühlte sich nach Tod auf Raten an für eine Workaholikerin! Erst mit der Zeit erkannte ich Gottes liebevolle Führung in dieser gravierenden Änderung meines Lebens. Bei ihm fand ich Trost in jeder Situation. Es erschlossen sich wunderbare Beschäftigungsmöglichkeiten, die ich vorher nicht erkannte, mich aber sehr glücklich machen. Ich arbeite als Grüne Dame auf der Kinderstation, unterstütze eine Tagesmutter bei der Arbeit und studiere das Wort Gottes mit Bekannten. Andere Kranke kann ich tiefer ermutigen oder stärken. So führe ich ein herausforderndes und doch wunderbares neues Leben.
Meine tägliche Last ist die, das Maß zu erkennen, das ich am jeweiligen Tag bewältigen kann, und mich nicht zu überfordern und mit komplett gesunden Menschen zu vergleichen. Umgekehrt ist es für meine Freunde herausfordernd, mich nicht permanent zu überlasten. Da lernen beide Seiten. Danke, Jesus. Du machst keine Fehler. An deiner Hand will ich voll Vertrauen weitergehen, egal ob mit oder ohne Symptome.
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