Verlieren kann man nur, was man hat

Standpunkt

Wir wollten wissen, wie es in 50 Jahren um unser Land und die Relevanz der Bibel bestellt ist, und fragten einen, der uns zunächst sagt, wie es denn vor 50 Jahren so war. Andreas Malessa spannt den Bogen von 1966 über 2016 bis 2066. Und kommt zu einem Ergebnis, das keinem erlaubt, sich aus der Affäre zu ziehen.

Wie mag Deutschland wohl in 50 Jahren aussehen, also im Jahr 2066, wenn die Bibel an Bedeutung verliert? Verlieren kann man aber nur, was man hat. Hat also die Bibel heute überhaupt Bedeutung? 

Eine Quelle kultureller Güter

Ja, für eine schmale intellektuelle Oberschicht hat sie die. Als Quelle wertvoller Kulturgüter nämlich: Unsere Umgangssprache ist durchsetzt von Begriffen und Sprichwörtern aus Luthers Bibelübersetzung, als da wären, jemanden „zum Sündenbock machen“, „ums goldene Kalb tanzen“, „in Sack und Asche gehen“ oder „auf Herz und Nieren prüfen“. Auch die deutsche Literatur thematisierte immer schon biblische Szenen. So geschehen bei Heinrich Heine, Thomas Mann, Joseph Roth, Siegfried Lenz, Heinrich Böll, Stefan Heym und sicher vielen anderen. Die klassische Musik ist ohne Bibel nicht denkbar, wie folgende Werke wunderbar beweisen: J.S. Bachs „Matthäuspassion“, G.F. Händels „Messias“ oder J. Brahms „Requiem“. Unsere Museen wären ohne die Gemälde biblischer Szenen halb leer und unter anderem diese Künstler inspirationslos: Lukas Cranach, Albrecht Dürer, Max Beckmann. Und sogar Hollywood kam nie ohne „Sandalenfilme“ aus, die sich biblischer Vorlagen bedienten: „Die zehn Gebote“, „Ben Hur“, „Quo Vadis“, „Passion Christi“.

Schön und gut, nur: Von alledem weiß die Mehrheit der Bevölkerung nichts. Und die Mehrheit der unter-30jährigen Deutschen erst recht nichts mehr. Außerdem fragen wir ja nicht nach der kulturellen Bedeutung der Bibel, wenn wir deren Verlust befürchten, sondern ihre moralische und ihre geistliche Wirkung und Prägekraft.

„Mag die Bibelkenntnis der Deutschen vor 50 Jahren besser gewesen sein als heute – ihre Autorität in moralischen Fragen des öffentlichen Lebens war es nicht.“

Die gute alte Zeit war nicht wirklich gut

Welche so verstandene Bedeutung hatte die Bibel denn vor 50 Jahren? 1966 gehörten noch 37,4 Millionen Deutsche zur Evangelischen Kirche, heute sind es 22,2 Millionen. An Karfreitag um 15.00 Uhr, zur Sterbestunde Jesu, sendete der Hessische Rundfunk 15 Minuten lang Stille! Käme heute fünf Minuten lang nichts aus dem Radio, würden wir vermuten, Islamisten oder sonst wer hätten den Sender gekapert … Aber: 1966 durften Ehemänner die Arbeitsstelle ihrer Frau ohne ihr Einverständnis kündigen und Ehefrauen brauchten die Unterschrift ihres Mannes, um ein Konto zu eröffnen. Ex-NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger wurde Bundeskanzler, Euthanasie-Ärzte des Dritten Reichs leiteten Unikliniken, alte SS-Kameraden waren Landräte oder Richter und der Volkstrauertag Mitte November hieß „Heldengedenktag“. In Waisenhäusern und Heimen wurden Kinder halb totgeprügelt und wenn in der Schule Vokabeln oder Chemieformeln gelernt werden mussten, sagte der Lehrer umgangssprachlich „pauken bis zur Vergasung“. Kurz – und allen unter-30jährigen zugute: Die vielzitierte „gute alte Zeit“ war nicht wirklich gut. Mag die Bibelkenntnis der Deutschen vor 50 Jahren besser gewesen sein als heute – ihre Autorität in moralischen Fragen des öffentlichen Lebens war es nicht.

Biblische Werte haben sich bewährt

Nun gibt es seit Oswald Spenglers Buch „Vom Untergang des Abendlandes“ 1922 und Samuel Huntingtons „Kampf der Kulturen“ 1996 bei manchen die Vorstellung einer kontinuierlich linearen Gefällstrecke, auf der die christlich geprägten Gesellschaften dem unvermeidlichen Abgrund entgegenrutschen. Aber im Vergleich zum populären Militarismus und Nationalismus der Kaiserzeit oder dem mörderischen Rassismus der Nazizeit haben sich im Deutschland von heute viele biblische Werte und christlich inspirierte Überzeugungen gehalten. Auch bei denen, die nominell keiner Kirche mehr angehören. Schauen Sie mal:

Die Faustformel kennt irgendwie jeder

Gottes Schöpfungsauftrag, „den Garten zu bebauen und zu bewahren“, 1. Mose 2,15, wird heute ernster genommen als früher. Gottes Zorn gegen Wirtschaftskriminalität, „dass wir das Maß verringern, den Preis steigern, die Waage fälschen und den Armen um ein paar Schuhe betrügen“, Amos 8,5, wird heutzutage auch von jenen in der Bibel vermutet, die gar keine haben. Die alttestamentlichen Sozialgesetze, „Du sollst den Fremdling nicht unterdrücken, Witwen und Waisen keine Gewalt antun“, 1. Mose 23,9; 3. Mose 19,34; 5. Mose 10,18.19; Jeremia 7,6, werden seit neuestem auch von nichtchristlichen Flüchtlingshelfern zitiert. Die neutestamentliche Gleichsetzung aller Menschen als rechtfertigungsbedürftige Sünder, „es ist kein Unterschied, alle haben gesündigt und ermangeln der Ehre bei Gott“, Römer 3,23 und die Aufhebung der Standesunterschiede aller Getauften, „hier ist nicht Sklave noch Freier, nicht Mann noch Frau, nicht Jude noch Grieche“, Galater 3,28, sind heute stärker im öffentlichen Bewusstsein präsent als früher. Die zehn Gebote aufsagen können nur wenige. Was alles in der Bergpredigt steht, wissen noch weniger. Aber die Faustformel „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“, die kennt irgendwie jeder.

„Täglich in der Bibel lesende Christen werden die Minderheit bleiben, die sie heute schon sind.“

Die normsetzende Autorität

Deswegen wage ich die Prognose: In 50 Jahren wird die Bibel für Politik, Wirtschaft und Kultur so viel Bedeutung haben, wie es Christen gibt, die sie als normsetzende Autorität auch leben. Die sie also nicht so anwenden, wie Salafisten den Koran anwenden, als wörtlich eins-zu-eins-anwendbares Sittengesetz eines Gottesstaates, sondern die Gottes in der Bibel offenbarten Willen in staatliche Gesetze und gesellschaftliche Verhaltensweisen transformieren können. Täglich in der Bibel lesende Christen werden die Minderheit bleiben, die sie heute schon sind. Beschädigt in ihrer Glaubwürdigkeit wird die Bibel erst durch solche Deutsche, die das „christliche Abendland“ dadurch zu verteidigen meinen, indem sie biblische Werte und Gebote mit Füßen treten.

Hiervon wird es abhängen

Ob ein allgemeiner Konsens selbstverständlich vorausgesetzt bleibt, dass alle Menschen mit gleicher Würde und gleichen Rechten ausgestattet sind, ob die deutsche Gesellschaft also eine zivilisierte, humane, soziale und sogar solidarische Gruppe innerhalb der Menschheitsfamilie bleibt – das wird auch 2066 von engagierten Christinnen und Christen abhängen, die Gottes geschriebenem Wort, der Bibel, und Gottes menschgewordenem Wort, Jesus Christus, gehorchen und nachfolgen.

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