Mehr, als nur das Tier gefunden
Reportage
Wer sich mit dem Wort Gottes beschäftigt, kommt früher oder später nicht an der Frage vorbei, wie es eigentlich zu dem wurde, was wir heute in gedruckter und gebundener Form in den Händen halten können. Alexander Schick ist leidenschaftlich gerne unterwegs im Land des Ursprungs, und nimmt uns mit auf einen bedeutsamen historischen Spaziergang.
Als ich 12 Jahre alt war, kam unser Religionslehrer mit einer Schriftrolle in den Unterricht und erzählte uns eine unglaublich spannende Geschichte. Ein Beduine habe 1947 bei der Suche nach seiner entlaufenen Ziege unweit von Jericho eine Höhle entdeckt, in der alte Tonkrüge standen. Ihr Inhalt: die heute weltberühmten Schriftrollen vom Toten Meer. Und dann entrollte unser Lehrer vor unseren staunenden Augen eine Kopie der berühmtesten aller Schriftrollen, der kompletten Abschrift des Prophetenbuches Jesaja. Der Lehrer ahnte nicht, was er damit in mir auslöste! Seit über 40 Jahren hat mich die Begeisterung für die biblische Archäologie nicht mehr losgelassen, und als junger Schüler hätte ich es mir nie träumen lassen, über die Geschichte von Qumran einmal mit den direkt beteiligten Forschern zu arbeiten.
Was Jesus damals schon las
Seit vielen Jahren bereise ich jetzt schon das atemberaubende Land der Bibel und berichte bei unzähligen Vorträgen über die enorme Bedeutung archäologischer Funde. In den Höhlen am Nordwestufer des Toten Meeres zum Beispiel wurden Abschriften fast aller Bücher der jüdischen Bibel – dem, was wir als Altes Testament kennen – entdeckt. Diese Bibeltexte sind über 1000 Jahre älter, als alle bis dahin bekannten kompletten hebräischen Bibelhandschriften, und belegen, wie hervorragend Gottes Wort über die Jahrtausende überliefert worden ist. Wir lesen heute noch denselben Bibeltext, wie ihn auch Jesus in der Synagoge von Nazareth aus einer Schriftrolle vorgelesen hat.
Liebesbriefe an die Urgroßmutter
Neben 10 mehr oder minder kompletten Schriftrollen wurden in insgesamt elf Höhlen aber auch etwa 80.000 (!) Fragmente entdeckt, die Forscher in mühsamer Arbeit zu 15.000 zusammengehörenden Textgruppen rekonstruieren konnten. Einer dieser Forscher aus dem ersten Schriftrollenteam ist der deutsche Universitätsprofessor Dr. Claus-Hunno Hunzinger, mit dem mich heute eine tiefe Qumranfreundschaft verbindet. Bei seinen Vorträgen zieht er zur Illustration immer wieder gerne folgende Allegorie heran: „Stellen Sie sich vor, Sie finden auf dem Dachboden eine alte Truhe. Der Inhalt: 600 Liebesbriefe an Ihre Urgroßmutter. Wichtig – es müssen verschiedene Verehrer gewesen sein, die Ihrer Urgroßmutter geschrieben haben. Natürlich lesen Sie die Liebesbriefe nicht. Sie zerreißen alle in 100.000 kleine Fetzen, mischen alles gründlich und – das ist das Schlimmste – Sie verbrennen 80% der Fragmente. Aus dem Rest rekonstruieren Sie die Liebesbriefe und deren Inhalt. Genau das war unsere Arbeit an den Fragmenten. Nur hatten wir es nicht mit Liebesbriefen an Ihre Urgroßmutter zu tun, sondern mit unvokalisierten hebräischen und aramäischen Texten. Texte, die größtenteils bisher völlig unbekannt waren. Die Arbeit war mühsam und ging nur schrittweise voran. Und doch ließ sich in sorgfältiger Kleinarbeit das Material nach den verschiedenen Schreiberhänden auseinander sortieren, Zusammengehöriges zusammenfügen und der Inhalt der so ermittelten Handschrift bestimmen.“
Auf den Stufen zum Teich von Siloah
Nicht nur Jerusalem, sondern fast alle Orte in Israel sind ein gigantisches biblisches „Freilichtmuseum“. Überall finden sich Steine und Ruinen, die aus biblischen Zeiten stammen. Bei jedem Besuch freue ich mich darauf, wenn befreundete Archäologen mir ihre neuesten Entdeckungen zeigen. Wie zum Beispiel die grandiosen Ausgrabungen des Siloahteiches in Jerusalem, der erst im Sommer 2004 entdeckt worden ist. Hierher hatte Jesus den Blindgeborenen nach seiner Heilung geschickt. Die Ausgrabungen zeigen, dass es sich dabei nicht nur um einen einfachen Teich gehandelt hat, sondern um eine Mikveh, ein jüdisches Ritualbad. In einer Mikveh musste man sich rituell waschen, um zum Tempel gehen zu dürfen. Und genau dies forderte Jesus von dem Geheilten (Joh. 9) Für jeden Bibelliebhaber ist es ein besonderes Gefühl, auf den Treppenstufen zu stehen, auf denen Jesus den Blindgeborenen zum Siloahteich hinuntergeschickt hatte. Die Treppen führten einst bis direkt zum Tempelberg und die antiken Stufen sind vorzüglich erhalten. Seit Kurzem können Besucher vom Siloahteich bis zum Tempelberg wie einst in der Antike wieder hinauflaufen.
„Die antiken Schriftrollen machen uns zu Zeitgenossen Jesu und helfen uns, seine befreiende Botschaft noch viel besser zu verstehen. Das ist die wahre Bedeutung der Qumranfunde.“
Das Erbe von David, Hiskia und Ahas
Der bisher größte und bedeutendste Fund aber ist allerdings eine zerbrochene Basaltstele mit einer aramäischen Inschrift aus der Mitte des 9. Jahrhunderts v. Chr. Sie wurde 1993 entdeckt und erwähnt den „König von Israel“ und das „[Köni]gs- Haus David“. Es handelt sich um den ersten außerbiblischen Beweis für König David, beziehungsweise die von ihm begründete Königsdynastie. Dieser Fund ist ein steinerner Beweis, dass König David keine Erfindung der Bibel ist, wie einige Bibelkritiker behaupten, sondern eine historische Person! Im Dezember 2015 sorgte eine Meldung über die Ausgrabungen von Dr. Eilat Mazar von der Hebräischen Universität für weltweite Schlagzeilen. In ihrer Grabung im Ophel, dem Südbereich unterhalb der Südmauer des Tempelberges, auf der die Al Aksa Moschee heut thront, sind seit 2009 insgesamt 34 Bullen entdeckt worden. Eine Bulle ist ein Tonklumpen, auf dem ein Siegel eingedrückt wurde, um einen Papyrusbrief zu versiegeln. Bei der babylonischen Eroberung Jerusalems wurde die Stadt dem Feuer preisgegeben. Dabei verbrannten alle Papyrustexte in den königlichen Archiven, aber die Bullen aus Ton wurden durch das Feuer gehärtet und überdauerten so fast unbeschadet die Jahrhunderte. Unter den Funden ist eine 13 x 12 mm große Bulle mit der Aufschrift: „Gehört Hiskia [dem Sohn von Ahas] König von Juda“. Dr. Mazar betont zu Recht: „Dies ist das erste Mal, dass bei einer wissenschaftlichen Ausgrabung ein Siegelabdruck von einem israelitischen oder judäischen König ans Tageslicht gekommen ist.“ Auf dem Siegelabdruck haben wir nun König Ahas und seinen Sohn König Hiskia. Hier spricht einer der bedeutendsten Könige Judas und dessen gottloser Vater direkt zu uns. Nach über 2700 Jahren!
Das Gras verdorrt und die Steine schreien
Meine Begeisterung für Bibel und Archäologie ist ungebrochen. Schon der Prophet Jesaja (40,8) weissagte: „Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich“ und Jesus sagte: „Wenn diese schweigen, werden die Steine schreien“ (Lk 19,40). Die modernen archäologischen Funde und vor allem die Schriftrollen vom Toten Meer bestätigen dies für mich eindrücklich! Sehr gerne würde ich dem Beduinen, der damals auf die Suche nach seiner Ziege gegangen ist, persönlich die Hand schütteln und ihm von Herzen danken. Er konnte ja nicht wissen, dass er weit mehr als nur sein Tier finden würde.
Magazin Sommer 2016
Bestelle kostenfrei die Printausgabe!
Bestelle die aktuelle Ausgabe und erhalte 4x/Jahr das Magazin NEUES LEBEN. Randvoll mit gutem, christlichem Rat für den Alltag, verständlich und anwendbar.
Seite teilen: