Vanuatu nach dem Sturm

Ein Anrecht auf Hoffnung

Es war im März, als sich das Leben auf der kleinen Inselgruppe im Pazifik schlagartig verfinsterte. Und heute denkt kaum mehr einer daran zurück. Die Republik setzt sich aus zwölf größeren und siebzig kleineren Inseln zusammen, auf einer Fläche von insgesamt etwas mehr als zwölftausend Quadratkilometern. Schleswig-Holstein hat knapp sechzehntausend. Vanuatu ist damit ein wirklich sehr kleines Land. Vielleicht hat man auch deshalb vor dem Wirbelsturm Pam nichts oder nicht viel von der Inselgruppe im Südwestpazifik gehört. Etwa 270.000 Menschen leben dort, sprechen über 100 verschiedene Sprachen. Mehr als 80 Prozent sind Christen.

In God we stand

Als Iolu Johnson Abil, bis 2014 Präsident des Inselstaates, von einem Journalisten gefragt wurde, ob er Optimist sei, gab er eine bemerkenswerte Antwort: „Ich glaube an den Gott der christlichen Bibel, den Gott Abrahams, Issaks und Jacobs. Er ist Gott der Lebenden und der Toten. Ja, ich bin also Optimist.“ Mit Abil sind viele andere Politiker ebenfalls überzeugte Christen, die sich bei ihren Entscheidungen immer wieder auch auf die Bibel berufen. Vanuatu ist seit 1980 von Frankreich und Großbritannien unabhängig. Von den einstigen Kolonialherren haben die Menschen des Inselstaates das Beste übernommen und behalten, was diese mitgebracht hatten: den christlichen Glauben. So lautet das Staatsmotto noch heute: In God we stand. Johnson Abil sagte dazu: „Der Glaube und das Vertrauen auf Gott sind trotz großer kultureller Diversität unsere gemeinsame Basis.“ Das gelebte Christentum entfaltet insgesamt eine starke integrative Wirkung. Das lokale Wertesystem, das die Tradition des Teilens und die gegenseitige Fürsorge betont, werde durch den Glauben stark geprägt. Glaubensüberzeugung ist in Vanuatu scheinbar weit mehr als bloßes Lippenbekenntnis. So erklärte der für Bildung zuständige Minister Marcellino Pipite: „Als christliche Nation müssen wir Gottes Versprechen erfüllen“, und bezieht sich dabei auf die landespolitische Position zum Staat Israel. Pipite meint: „Gott verspricht Israel, es zu einer großen Nation zu machen, und die zu segnen, die Israel segnen. Ich möchte Vanuatu gesegnet sehen und glaube, dass das Land gesegnet ist.“
 

Dann kam der Sturm

Das war lange bevor Zyklon Pam das Land lähmte und vielerorts das Leben zum Stillstand kam. Abil ist nicht mehr Präsident, Marcellino Pipite nicht mehr Minister. Aber Christen sind sie beide noch. Überzeugt, entschlossen, hingegeben. Und wissen beide heute um eine Tragik des Lebens mehr. Der Zyklon hatte mit um die 300 Kilometern die Stunde und schweren Regenfällen die einfachen Hütten aus Stroh und Wellblech dahingerafft, die die meisten Menschen auf den Inseln ihr Zuhause nannten. Mehr als 40 Menschen verloren ihr Leben. Der heutige Staatspräsident Baldwin Lonsdale macht den Klimawandel für die Katastrophe verantwortlich. Und die Frage, warum Gott nicht verhindert hat, was hier geschah, steht wieder einmal im Raum. Auch wenn sie auf Vanuatu keiner laut gestellt hat.

Mit die Ersten am Ort der Katastrophe waren die nationalen Mitarbeiter des Hilfswerkes World Vision, das auf der Inselgruppe nicht nur 80 Einheimische beschäftigt, sondern auch Hilfsgüter in mehreren Lagern vorrätig hatte.

„Mein Herz ist schwer und ich leide mit den Menschen. “

Ein Glücksfall für viele Betroffene. Dann kamen schnelle medizinische Notfallteams von humedica. Mit dabei war Simon Oeckenpöhler, Assistenzarzt der Unfallchirurgie des Uniklinikums Münster. Weil es den 29–Jährigen nicht mehr daheim hielt. Gemeinsam mit Gleichgesinnten hatte er sich auf die 32-stündige Reise ins Katastrophengebiet gemacht. Von dort berichtete er schon am ersten Tag: „Das Land ist komplett verwüstet, die gesamte Infrastruktur und auch die Ernte sind zerstört. Wir haben bereits 70 Patienten im Krankenhaus auf der Insel Tanna behandelt.“ Gemeinsam mit seinen Kollegen hat er den Dienst in diesem Krankenhaus übernommen. Weil der Wirbelsturm in Tanna ganz besonders stark gewütet hat.

Das ist ein derber Rückschlag

Baldwin Lonsdale, der Präsident, der während der Katastrophe auf einer Auslandsreise war, ist tief bewegt. Über 90% aller Häuser der Hauptstadt sind zerstört, einfach so weggeweht. Er nennt den Wirbelsturm ein Monster. Und schaut dankbar auf die Hilfe, die aus dem Ausland kommt. „Nach all der positiven Entwicklung, die wir in Vanuatu erlebt haben, ist das hier ein derber Rückschlag“, erklärt er. „Mein Herz ist schwer und ich leide mit den Menschen. Mit allen Menschen Vanuatus.“

Mittlerweile ist der Alltag wohl zurückgekehrt, auch wenn vieles nie wieder so sein wird, wie es war. Die Kameras sind verschwunden, die Nachrichten drehen sich längst um andere Krisenherde, es gibt kaum Neues zu erfahren aus dem kleinen Staat. Vanuatu ist wieder so unerwähnt wie es das vor dem Zyklon schon war. Die Menschen dort kämpfen, hoffen, beten. Bauen wieder auf, was dem Erdboden gleich gemacht wurde. Ein Staat, der sich dem Gott Abrahams, Issaks und Jakobs verpflichtet weiß, hat also kein Anrecht auf Verschonung. Soviel ist klar. Aber er hat ein Anrecht auf Hoffnung. Auf Perspektive, muss nicht beim Warum stehen bleiben, sondern kann mutig nach vorne schauen. Immer in dem Wissen, dass Gott nichts entgeht und er sich immer kümmert. Auch wenn das für Menschen nicht immer gleich ersichtlich ist.