Status Flüchtling
Geht mich nichts an
Rumänien 2008. Zwei Freunde und ich machen uns auf, um in Transsilvanien in den Karpaten zu wandern. Unglücklicherweise kommt eines der Gepäckstücke nicht an. Nach wenigen Tagen soll es nachgeschickt werden, doch wir können nicht warten und machen uns schließlich ohne Zelt auf den Weg. Keiner von uns war vorher je in Rumänien und eine Unterkunft hatten wir nur für die erste Nacht gebucht. Es sollte ein Abenteuerurlaub werden.
Gleich nach unserer Ankunft lernen wir am Flughafen eine Einheimische kennen. Sie ist auch gerade wieder in ihrer Heimat gelandet und so freundlich, uns alles Wichtige auf Englisch zu erklären. Mehr noch – sofort nimmt sie sich Zeit, uns eine Stadtführung zu geben und lädt uns ein, ihre Familie kennenzulernen.
Diese Gastfreundschaft war und ist für mich überwältigend und ich kam während dieser Reise immer wieder in deren Genuss, sodass wir letzten Endes auch ohne Zelt zurechtkamen. Einheimische nahmen uns auf und teilten nicht nur Lebensmittel mit uns. Warum ich das erzähle?
Seit über drei Jahren arbeite ich unter Flüchtlingen in Ludwigsburg und begegne dabei Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Dabei stellt sich mir immer wieder die Frage, wie es Asylsuchenden geht, wenn sie in unserem Land angekommen sind.
Erst im Vergleich mit dem Fremden entdeckt man schließlich sich selbst. Und so frage ich mich: Werden Fremde von Einheimischen in die Gesellschaft mit hineingenommen? Was ist unsere Gastkultur? Sind wir fähig, auch mal außerhalb ökonomischer Paradigmen zu denken?
Der Grund der Feier waren wir
Meine erste Wahrnehmung dazu ist leider sehr enttäuschend. Ich stelle immer wieder fest, wie schwer sich die Flüchtlinge tun, hier in der Gesellschaft anzukommen bzw. wie schwer sich die Einheimischen tun, auf diese Leute zuzugehen und sie zu sich einzuladen, wie das beispielsweise mir in Rumänien passiert war. Die Distanz innerhalb der hiesigen Kultur ist leider relativ hoch. So setzt man sich hierzulande im Bus oder im Café doch eher nicht dahin, wo schon jemand anderes sitzt. Man kann stundenlang auf der belebten Straße laufen, ohne jemals angesprochen zu werden. Auch meine ersten Eindrücke nach den Besuchen im Flüchtlingsheim haben mir dies bestätigt. Ein Freudestrahlen war bei der Begrüßung auf den Gesichtern, als wir immer wieder auf einen Besuch zu unseren neu kennengelernten Freunden kamen. Eines Tages wurden wir als kleine Gruppe von den Bewohnern zu einer Party eingeladen. Grund der Feier waren wir. Sie waren sehr glücklich, nun endlich regelmäßigen Kontakt zu Einheimischen geknüpft zu haben.
Kontakt mit Deutschen? Muss ich da ein Formular ausfüllen?
Einer der Flüchtlinge wurde später von einem anderen gefragt, wie er das gemacht habe, mit Deutschen in Kontakt zu kommen. Der Fragesteller wollte wissen, ob man dafür ein Formular ausfüllen müsse oder sonst was Spezielles machen sollte. Als ich das hörte, war ich zutiefst beschämt und betroffen. Wie kann es sein, dass Menschen hier für Monate leben und nie in Kontakt zu uns Einheimischen kommen? Klar kann man nun sagen: „Es gibt doch ein soziales System" und: „wir Steuerzahler versorgen sie doch". Sicher, ein Dach über dem Kopf und etwas Geld zum Leben hilft. Aber das ist dann für eine gute Integration doch deutlich zu kurz gedacht. Nach dem, was die meisten dieser Menschen durchlitten haben, braucht es einiges mehr als materielle Hilfe. Niemand gibt freiwillig seine Heimat, seine Familie, seine Sprache, seine Kultur und seine Würde auf, um in einem anderen Land ein Fremder zu sein. Und auf wenigen Quadratmetern jahrelang in einer Kettenduldung zu warten, ob man nicht doch wieder abgeschoben wird. Von rund 92.000 Geduldeten im Jahr 2013 warteten 10.470 seit mehr als 15 Jahren, ob sich ihr Status endlich klären würde.
Die gehen ja sowieso bald wieder
Menschen, die Krieg, Hunger und Verfolgung erlitten haben, benötigen mehr als nur ein Dach über dem Kopf. Diese Menschen brauchen uns Einheimische, die sie in diese Gesellschaft hier mithineinnehmen. Sie benötigen unser Alltagswissen, einen Besuch, ein tröstendes Wort. Schlicht unsere Freundschaft. Ich denke, wir sollten aus früheren Fehlern gelernt haben. In den 60er Jahren ist die Integration der türkischen Gastarbeiter missglückt, weil man dachte, „die gehen ja sowieso bald wieder“. Man hat sie in Baracken im Industriegebiet untergebracht und möglichst wenig Kontakt zu ihnen gepflegt. Deutschkurse und Integrationsmaßnahmen gab es damals nicht.
„Diese Gastfreundschaft war für mich überwältigend. Einheimische haben uns aufgenommen und mit Lebensmitteln versorgt.“
So empfinden laut einer Umfrage unter gut 1.000 Deutsch-Türken nach über 50 Jahren im Land nur 15% Deutschland eher als Heimat als die Türkei. Man müsste meinen, die Politik und die Gesellschaft hierzulande habe davon gelernt, doch leider gibt es nur Einzelne, die sich für diese Thematik sensibilisieren lassen.
Jetzt sind Sie an der Reihe
Oft ist mit kleinsten Mitteln aber schon so viel geholfen. Eine einfache Einladung zum Kaffee oder zum Spielenachmittag würde schon so viel bewegen. Die sprachliche Barriere ist dabei in der Realität oft viel kleiner als in unseren Köpfen. Ich muss sagen, dass die Kontakte zu den Flüchtlingen nicht nur ein Geben von uns sind. Oft bekommen wir sehr viel mehr von den Asylbewerbern zurück. Sie lassen uns häufig die Gastfreundschaft ihrer jeweiligen Nationen spüren und wir gewinnen dabei ungeahnte Eindrücke. Dabei lernen wir kulinarische Köstlichkeiten kennen, die uns begeistern. Es ist wie eine kleine Reise in verschiedene Länder direkt vor unserer Haustüre. Man muss nicht mal seinen Koffer packen und braucht kein Flugticket zu besorgen.
Wir sollten diese neue Vielfalt in Deutschland weniger als Bedrohung wahrnehmen, im Gegenteil, es ist eine Chance! Viele Deutsche Bürger haben seit hunderten von Jahren neue Chancen in anderen Ländern bekommen. Ein Fünftel der deutschen Bevölkerung wanderte in der Vergangenheit aus oder floh. Das ist im Staatsarchiv Ludwigsburg dokumentiert. Die Deutschen wurden nicht nur nach Kriegen, sondern auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten in vielen Teilen der Welt aufgenommen, damit sie ein neues Leben beginnen könnten.
Die Not unter den Flüchtlingen weltweit ist groß. Täglich kommen immer mehr von ihnen nach Deutschland. Letzten Endes könnte jeder zum Flüchtigen werden, das hat die Geschichte zu jeder Epoche gezeigt. Um die Flüchtlinge angemessen aufzunehmen, braucht es eine breite Unterstützung der Gesellschaft. Daher sind nun wir an der Reihe. Geht uns das wirklich gar nichts an?
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