Ich krieg das nicht gebacken

Ein alleinerziehender Vater kämpft mit dem Alltag

Als ich ihn anschreibe und frage, ob er bereit ist, mit mir über seinen Alltag zu reden, winkt er gleich ab. „Nein, lieber Detlef, das kann ich mir nicht vorstellen“, schreibt er postwendend zurück, „aus ganz verschiedenen Gründen“, erklärt er im nächsten Satz. „Einfach deshalb nicht, weil ich noch viel zu mitten drin stecke im Prozess des „es nicht gebacken kriegen und dabei am liebsten manchmal an die Decke Gehens. Nein, nicht mein Ding, sorry. Klare Frage, klare Antwort.“

So schrieb er und lies mich freundlich aber bestimmt abblitzen. Dass wir wenig später dann doch zusammensitzen und reden, erklärt er so: „Eigentlich hatte ich mich über deine Mail ja gefreut. Dachte, endlich fragt mich mal einer, wie es mir geht, endlich kann ich reden, mich mitteilen, will einer zuhören. Und, wer weiß, vielleicht kann ich ja sogar dem ein oder anderen betroffenen Mann Mut machen.“ Und dann sprachen wir. Sehr persönlich, sehr intensiv, sehr ehrlich.

Die Frage, wie er seine Situation beschreiben würde, beantwortet der seit fast zehn Jahren alleinerziehende Vater augenzwinkernd: „Ich habe drei Kinder, alles Söhne, wir sind im Grunde seit der Trennung von meiner Exfrau eine Männer-WG. Das hat sich früher noch etwas anders angefühlt, als die Jungs kleiner waren. Früher hab ich immer gesagt: Wir sind ein Vater und drei Kinder. Jetzt sind es ein Mann, noch ein Mann, ein fast-schon-Mann und ein Möchte-gern-Mann. Und nach wie vor leben wir zusammen wie in einer WG. Da hat jeder seine Aufgabe, damit das Leben gelingt. Aber ich bin am Ende in der Regel der, der verantwortlich ist. Das müssen die Jungs schlucken, das ist nicht immer einfach, aber so ist das.“ Dabei schaut mich mein Gesprächspartner prüfend an, ob ich diese besondere Situation wohl richtig verstehen würde und begreife, was er meint, wenn er von WG spricht. Und sagt dann: „Uns fehlt irgendwie das Weibliche im Haus. Ich vermisse das. Dieses gewisse Etwas, das nur eine Frau in die Familie bringen kann. Das dafür sorgt, dass es schön ist. Ich stelle eher selten Blumen hin oder zünde Kerzen an. Mir fehlt diese positive weibliche Weichheit oder vielleicht müsste ich sagen Milde. Naja, ich bin eben ein Mann, in einer Wohnung mit drei anderen Männern. Da geht’s halt eher zweckmäßig und funktional zu.“

Dass ich alles allein tragen musste, hat mich extrem an die Grenzen gebracht

Dann grinst er ein bisschen, verschmitzt, nicht so, als würde er sich schämen müssen. Aber die Ernsthaftigkeit weicht nicht aus seinem Blick. Er weiß, wovon er spricht, als er zur nächsten Antwort ansetzt. „Was mich an meine Grenzen bringt? Dass ich im Alltag ständig, ohne Unterbrechung, letztlich die Verantwortung allein trage. Alleine, ganz alleine. Ich habe eben kein Gegenüber mehr, mit dem ich Sorgen teilen oder Probleme besprechen könnte. Die Jungs haben nur mich als Ansprechpartner, egal, worum es geht. Ob Schule, Freundin, häusliche Pflichten, Computerzeiten, Gesundheit, Termine, Finanzen. Mit allem kommen sie zu mir und mit allem muss ich mich auseinandersetzen. Das ist oft so schwer. Oft komm ich von der Arbeit, hab den Schlüssel noch nicht aus dem Schloss gezogen, wenn der erste schon was von mir will. Und das geht dann in einem so fort. Das droht mich immer wieder zu überfordern. Ich muss doch selbst erst mal ankommen. Mir fehlt oft das zweite paar Schultern das mir hilft, die Last des Alltags zu tragen.“ Dabei weiß er nur zu genau, dass diese Situation auch für seine Söhne extrem schwierig ist. Und er weiß, dass es richtig ist, dass sie ihn fragen, dass er das ja sogar so will, weil es Ausdruck davon ist, dass sie eben doch weit mehr als nur eine Wohngemeinschaft bilden. Dass sie Familie sind.

Als ich Situationen anspreche, in denen er dachte oder denkt, dass es nicht mehr geht, wird er merkwürdig still. Zieht sich in sich zurück, durchlebt im Bruchteil von Sekunden eine Zeit neu, die der Vergangenheit angehört. „Ich hatte schwere Depressionen“, sagt er dann. „Das war eine schreckliche Zeit. Nicht dass du das falsch verstehst. Als ich sagte, dass ich ganz allein war, da meinte ich nicht, dass niemand da war. Im Gegenteil. Meine Eltern haben mich großartig unterstützt, sind sogar zurück in diese Gegend gezogen, um schnell da sein zu können und kurze Wege zu haben. Wir hatten eine Haushaltshilfe, die jeden Tag da war und sich um vieles kümmerte. Ich hatte Freunde, die mir finanziell geholfen haben. Sonst hätte ich die Haushaltshilfe nicht zahlen können. Mit der Unterstützung von Behörden und öffentlichen Stellen habe ich nämlich nicht wirklich gute Erfahrungen gemacht, von da hatte ich nichts zu erwarten. Also es waren schon Menschen da, die mir halfen, Dinge zu tun. Putzen, Kochen, Waschen, Hausaufgaben. Aber ich musste die Last alleine tragen. Die ganze schwere Ladung, die Zweifel und Selbstvorwürfe, die Hilflosigkeit, die Ratlosigkeit. Alleine. Das hat mich immer wieder an den Rand meiner physischen und psychischen Belastbarkeit geführt.“

Diagnose: Burnout und reaktive Depression

In der Spanne von 24 Monaten war er insgesamt 15 Monate krankgeschrieben und dann viele Jahre in Behandlung. Was ihm in dieser Zeit guttat, war das Alleinsein. Die Jungs verließen morgens das Haus und kamen erst gegen 15 Uhr aus der Schule zurück. Da blieb enorm viel Stille und Ruhe und Freiraum. Das nutzte er, um in sich hineinzuhören. Zu entdecken, wo er steht, was überhaupt los ist und was mit ihm geschieht, welche Bedürfnisse er hat, wo seine Grenzen liegen, wo seine Zweifel und Ängste. „Da habe ich wirklich gelernt, Fehler der Vergangenheit zu sehen. Ich konnte meine eigenen Grenzen erkennen und üben, in guter Weise mit mir umzugehen. Niemand hat etwas davon, wenn ich mich selbst, aus welchem Motiv heraus auch immer, dauernd überfordere. Ich nicht und die Kinder schon gleich gar nicht.“

Mein Gegenüber hält sich tapfer beim gedanklichen Ausflug in seine Vergangenheit. Er meint übrigens, dass alleinerziehende Männer es nicht schwerer oder leichter haben als alleinerziehende Frauen. Irgendeine Form des komplementären Gegenübers fehlt immer. 

Wer keinen Freund hat, der hat auch keine Hilfe

Dann kommen wir auf seinen Glauben und die Gemeinde zu sprechen, was er überraschend nüchtern kommentiert. „Ja, meine Gemeinde war mir eine Hilfe. Allerdings nur auf dem Papier. Ich kann mich kaum erinnern, dass mir jemand Hilfe angeboten hätte. Niemand hat mich gefragt, was ich brauche oder sich um uns gekümmert. Vielleicht waren die ja selbst mit meiner Situation überfordert. Alleinerziehend, noch dazu als Mann?... Geschiedene Christen werden nach wie vor stigmatisiert, das ist nur sehr schwer abzustreifen. Das hat mir sehr wehgetan.“ – „Also war da gar keine Hilfe?“, frage ich. „Doch, die gab es. Aber keiner kam von sich aus auf die Idee, mir zu helfen. Ich hätte immer danach fragen müssen. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass ich aufgrund der enormen Belastung gar nicht mehr die Kraft hatte, mich intensiv in meine Gemeinde einzubringen und Beziehungen zu pflegen. Das fällt mir als Mann generell nicht leicht und war dann eine zusätzliche Last. Und je weniger Beziehungen ich aktiv von mir aus pflegte, desto weniger Freunde hatte ich dort. Bekannte ja, Geschwister ja, aber eben keine Freunde. Solche, die nach mir geschaut hätten.“

Dieses Gespräch berührt und bewegt mich mehr, als ich erwartet hätte. Als ich zum Beispiel höre, dass alle Bekannten, die er um Geld bat, ihm über Jahre monatlich welches gaben, musste ich schlucken. Als er mir die Einsamkeit schildert und das Gefühl, auch in der Gemeinschaft von Christen immer etwas einbringen zu müssen, damit man wahrgenommen wird, werde ich traurig. Aber er beschwert sich nicht. Er macht niemandem einen Vorwurf, klagt nicht an. Er schildert, was er empfindet. Lässt mich in seine Seele blicken, gibt mir Anteil. Ein Mann, der mit dem Alltag kämpft und nicht aufgegeben hat, nach wie vor.

Ich hab ihn angeknurrt: Ich lasse dich nicht los …

Eigentlich ist das Gespräch schon zu Ende, als er sich mir noch einmal sehr konzentriert zuwendet. „Willst du wissen, was mir geholfen hat durchzuhalten? Was mir bis heute hilft?“ Klar will ich. Und weil er das weiß, wartet er meine Antwort gar nicht ab, bevor er weiterspricht. „Ich hab seit meiner Trennung und Scheidung schrecklich mit Gott gehadert und mit ihm gekämpft, fast hätt ich meinen Glauben komplett über Bord geworfen. Aber da war trotz aller Not und Verzweiflung immer die bange Hoffnung, dass Gott ja vielleicht die Antworten kennt, nach denen ich mich sehne, die Hilfe, die ich so dringend bräuchte, und meine Zukunft in der Hand hält, von der ich noch nichts weiß, eine bessere Zukunft hoffentlich. Doch auch wenn ich Gott so oft mein Leid geklagt und nach ihm geschrien habe, ich konnte ihn doch nicht loslassen. Ich hatte ja schon genug hinter mir lassen müssen. Ich hab mich sogar regelrecht „verbissen“ in ihm, wie Jakob beim Kampf am Fluss und hab ihn angeknurrt: Ich lasse dich nicht los, bist du mich segnest! – Und Gott hat mich nicht im Stich gelassen, hat mir Zeit gelassen, hat mich an die Hand genommen und mir Schritt für Schritt die Augen geöffnet: für mein Versagen, meine Fehler in all den Jahren, und hat mit mir geredet, hat mir gezeigt, dass er für mich da ist. Der Erzvater Jakob hat ja in der Nacht am Jabbok den neuen Namen „Israel“ erhalten, und auch ich hab heute das Gefühl, dass vieles neu geworden ist in meinem Leben, durch den Zerbruch. Das hat mir Mut gemacht, nicht aufzugeben und weiterzugehen. Und tut’s bis heute. Mein Leben war völlig zerschmettert, und ist auch jetzt nicht makellos, entspricht überhaupt nicht dem Standard, aber ich bin nicht allein. Und das tut gut.“

 

Magazin Sommer 2015