Streiten? Aber richtig!

Ratgeber

Wer meint, er komme ganz ohne durchs Leben, wird früher oder später jäh erwachen. Die meisten früher. Dabei ist ein gepflegter Streit gar nicht so verkehrt, ist sogar eher gut als schlecht. Wohlgemerkt, ein gepflegter. Dr. Martina Kessler weiß, wie es richtig geht, und plaudert nicht nur aus dem Nähkästchen, sondern gibt profunden Rat.

Früh in seinem Leben lernt der Mensch: Frieden ist ein hohes Gut. Ihn gilt es zu erhalten. Das Kind aus frommem Elternhaus lernt die passenden Bibelworte gleich mit dazu. Geschwister, die sich nicht streiten (dürfen), werden häufig als Musterbeispiele bester Erziehung gelobt. Leider entsteht hier eine das zukünftige Leben schädigende Einseitigkeit. Denn nur wer richtig streiten kann, kann auch echten Frieden erreichen. Ein in lösungsorientiertem Streiten geübtes Kind wird auch als erwachsener Mensch konstruktiv streiten. Denn ein Konflikt an sich ist keine Katastrophe, für seelisch gesunde Menschen gehören Konflikte sogar zum Leben dazu.

Aussprechen, was da ist

Selbstverständlich geht Streiten mit Emotionen einher. Wer diese verleugnet oder unterdrückt, trägt zum Tod einer Beziehung bei. Und wer dann noch darauf hofft, dass sich die Dinge von selbst klären, hofft vergeblich. 

Schweigen ist also keine Alternative. Oft redet man dann ohne Worte umso lauter. Denn Emotionen sind nun mal vorhanden und werden ohne Worte, also nonverbal, ausgelebt. Statt gar nichts zu sagen oder den anderen mit einer scheinbar objektiven Aussage zu konfrontieren, ist es klug, die sowieso vorhandenen eigenen Gefühle zu benennen. Man bleibt dann ganz bei sich und macht sich transparent. Worte wie „du“, „dir“, „dein“, „dich“ oder „Sie“, „Ihnen“, „Ihr“ und so weiter gehören da dann nicht hin. Ganz sicher unterstreicht diese Art der Formulierung aus der Ich-Perspektive die Emotion als subjektiv. Aber damit ist es auch deeskalierend. Statt „Das hast du gut gemacht“ sage ich fairerweise „Mir gefällt es“ oder „Ich freue mich daran“, und statt „Du hast das falsch gemacht“ sage ich möglicherweise „Ich bin streitlustig“ oder „Ich bin traurig“. Eine andere Person könnte dieselbe Situation allerdings ganz anders empfinden. 

 

Emotional intelligent

Emotionen spüren und benennen zu können, wird seit einigen Jahren auch „Emotionale Intelligenz“ genannt. Das betrifft auch den konfliktfreien Raum. Menschen sind selbstkompetent, wenn sie ihre Gefühle wahr- und ernst nehmen. Und das braucht man ganz besonders dann, wenn man nicht einer Meinung ist. Wer emotional intelligent ist, kann die eigenen Gefühle und die Gefühle anderer Personen wahrnehmen und verstehen. Nur wenn das möglich ist, hat man eine Voraussetzung, das eigene Handeln zu reflektieren, die Gefühle zu nutzen und zu beeinflussen – möglicherweise sogar zu verändern. Menschen, die emotional intelligent sind, können sich selbst verstehen, sich mitteilen und zum Beispiel ihre Grenzen deutlich machen oder mit Konflikten besser umgehen. Gefühle werden dann nicht unterdrückt, sondern gesteuert. Herz und Kopf arbeiten dann zusammen. Darin ist auch Selbstbeherrschung enthalten, was nicht ein „Abschalten“ von Gefühlen bedeutet, sondern ein Wissen um den rechten Zeitpunkt.

Vor einiger Zeit ärgerte ich mich frühmorgens auf dem Weg zum Gottesdienst über meinen Mann und am Mittag noch mal bezüglich einer ähnlichen Sache. Den Ärger vom Morgen hatte ich beschlossen einfach wegzustecken, aber als sich eine ähnliche Begebenheit am Mittag wiederholte, war ich nicht mehr gewillt zu schweigen. Aber: Es war heiß, wir waren durstig und müde. Also habe ich für mich überlegt, dass es kein guter Zeitpunkt wäre für eine kontroverse Diskussion. Abends saßen wir dann zusammen, ausgeschlafen, satt und mit genügend Wasser auf dem Tisch. Ich sprach an, was mich geärgert hatte und auch weshalb. Wir gerieten in eine intensive Diskussion. Aber es gelang uns, bei der Sache zu bleiben. Wir haben also beide gesagt, was wir fühlen und warum, aber wir haben uns nicht gegenseitig angegriffen. Kopf und Herz arbeiteten gut zusammen. Leider gelingt mir das nicht immer so gut. Aber ich freue mich über die Momente, in denen ich Erfolg habe.

Und in der Bibel?

Ich bin immer wieder erstaunt, mit welcher Streitkultur im Neuen Testament um einen guten Weg gerungen wurde. Von den Christen in Antiochia lesen wir, dass sie einen „nicht geringen Streit“ (Apostelgeschichte 15,2) hatten. Streiten hatten sie in der Synagoge gelernt, denn dort wurde heftig um die richtige Auslegung der Septuaginta – der ältesten und wichtigsten Übersetzung der Bibel aus der hebräischen Vorlage ins damals alltägliche Altgriechisch – gerungen und manchmal auch gestritten. Später fanden die Apostel eine Lösung, „als sie aber lange gestritten hatten“ (Apostelgeschichte 15,7). Das Ergebnis aus diesem Konflikt prägte das Christentum und ist bis heute gültig. 

Hilfen zum Ausstieg:

1. Schauen Sie genau hin. Was passiert wirklich?

Beispiel: Die Küche ist nicht aufgeräumt, als ich nach Hause komme. Es wäre die Aufgabe meines Sohnes gewesen. Das sind die Fakten. Alles andere ist eine Interpretation: Dass er keine Lust hatte, dass er das nicht gerne macht, dass er lieber am PC ist … 

 

2. Es ist normal, dass Menschen das Erlebte interpretieren. ABER: Jede Interpretation kann falsch oder richtig sein!

Ich kann interpretieren, dass mein Sohn zu müde war, die Küche aufzuräumen. Vielleicht war es so, vielleicht auch nicht. Vielleicht wurde er mittendrin von einem Telefonanruf gestört und hat es danach schlicht vergessen.

 

3. Nehmen Sie Ihre eigenen Gefühle bewusst wahr. 
Gefühle, die Sie bei sich selbst finden, sind weder falsch noch richtig – sie sind einfach da. Gestehen Sie sich Ihre negativen Gefühle ein. Seien Sie ehrlich mit sich selbst, auch wenn Sie dann nicht mehr so fromm erscheinen, wie Sie es sich wünschen.

Meinem Sohn könnte ich sagen: „Ich bin enttäuscht“ oder „Ich bin empört“ oder „Ich bin ärgerlich“, aber Achtung: nicht „verärgert“, denn das würde ihm sagen, er habe mich verärgert – und ärgern, dazu entscheidet man sich immer selbst!

 

4. Formulieren Sie, was Sie sich stattdessen wünschen:
„Lass uns die Küche zusammen aufräumen“ oder „Mach das bitte noch schnell“ oder „Was können wir tun, damit du die Absprache demnächst einhalten kannst?“

Bei einer solchen Streitform achten Sie sich selbst – und den anderen. Kämpfen Sie nicht und geben Sie nicht nach. Wer kämpft, entwürdigt den anderen. Wer nachgibt, entwürdigt sich selbst. Suchen Sie niederlagenlose Wege in der Konfliktbewältigung. Manchmal braucht man dabei Hilfe von Dritten. Ein erfolgreich bestandener Streit birgt große Chancen in sich. Etwas Neues kann entstehen. Wer schweigt, harmonisiert oder Gott mit Gebet benutzen will, nimmt sich selbst die Chancen!

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