Sie nannten mich den Königsmörder

Leitartikel

Loyal. Und integer. Große Worte gelassen hingeschrieben. Wer weiß schon, was das heißt? Wenn man versucht, aufrecht dem einen gerecht zu werden könnte es sein, dass man – ruck zuck – auf der anderen Seite vom Pferd fällt. Meint jedenfalls Detlef Eigenbrodt, der so seine Erfahrungen gemacht und seine Lektion gelernt hat. Er wagt sich dennoch ran. Oder gerade deswegen.

Der Moment hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Schmerzlich – muss ich wohl sagen. Wenn auch heute die Wucht etwas nachgelassen hat. Es ist mehr als 15 Jahre her, ich war in einer leitenden Position auf zweitoberster Ebene in einem großen, international vernetzten Unternehmen, und wir hatten eine schwierige Sitzung vor uns. Wirklich schwierig. Am Ende ging es um die Zukunft des Mannes, der die Nummer eins war. Seit Jahren schon. Ein begabter Mann, einer, der viel geschafft hatte, und einer, mit dem ich seit Jahren eng und freundschaftlich zusammengearbeitet hatte. Seite an Seite. Bis zu dieser Sitzung. Sie veränderte alles.

Tu, was ich will

Einer der rund 20 Leute, die da unter anderem aus dem Aufsichtsrat zusammensaßen, fragte mich, wie denn die Belegschaft die momentane Situation bewerte. Und wie es nach ihren Wünschen weitergehen solle. Schon seit Monaten hatte es heftig gebrodelt, und es waren immer mehr und immer neue Vorwürfe laut geworden, nahezu alle richteten sich gegen den Chef. Da saß ich nun. Auf der einen Seite Mitglied der engsten Führungsriege und Freund, mit allen meinen Einblicken auch in Bereiche, die manch anderer nicht hatte. Auf der anderen Seite war ich Primus inter pares, einer vom Team. Ich hatte viele Gespräche mit Kollegen geführt oder mitangehört, und mir war bewusst, dass ich nicht bei allen gut angesehen war. So ist das wohl manchmal, wenn man zwischen den Stühlen sitzt. Alle wollten im Grunde aber nur eins: dass die allgemeine Unruhe und das Gezerre ein Ende fanden. Egal, auf welchem Weg, die Kolleginnen und Kollegen wollten wieder in Ruhe ihre Arbeit tun können, sie hingen sehr an ihr. Und sie hatten große Hoffnungen an die Sitzung geknüpft, in der ich gerade saß. Als ich also die Frage gestellt bekam, wurde mir mein Dilemma schnell klar. Mein Chef hatte eine bestimmte Erwartung, was ich sagen sollte. Er hoffte, dass ich seine Position stärken und ihn damit im Amt halten würde. Alle anderen hatten die Erwartung, dass ich so objektiv wie möglich wiedergäbe, wie der nicht anwesende Teil der Belegschaft empfand. Wobei sie natürlich ihre ganz eigene Definition von Objektivität hatten. Objektiv wäre ich dann, wenn ich sagte, was sie hören wollten. Welche Wahl hatte ich schon? Ich sprach so aufrichtig es mir möglich war über die Stimmung unter den Angestellten und machte deutlich, was sie sich wünschten. Dabei betonte ich, dass es keine Präferenz für oder gegen eine Personalentscheidung gab. Angestrebtes Ziel war Frieden. Aber ich hatte zunächst nur Unfrieden geschaffen. Mein Chef war bitterböse, dass ich ihn nicht verteidigt hatte und kündigte mir die Freundschaft, die anderen waren sauer, weil ich ihn nicht angegriffen hatte. Jeder schien an seinen Erwartungen zu scheitern, und ich wollte im Grunde nur das Richtige tun. Dass beide Lager mir am Ende der Sitzung mehr oder weniger deutlich zu verstehen gaben, dass ich meine Loyalität ihnen gegenüber aufgegeben hätte, traf mich schwer, und ich frage mich bisweilen heute noch, was ich hätte anders machen können.

Gemeinsame Maxime

Wikipedia definiert Loyalität so: Loyalität (ˌloajaliˈtԑːt, von franz.: loyauté, „Anständigkeit, Loyalität“, dessen Wurzeln auf das lateinische Wort lex = „Gesetz, Vorschrift, Gebot, Vertrag, Bedingung“ zurückgehen, s. a. legal „dem Gesetz entsprechend“) bezeichnet (in Abgrenzung zu Treue, Unterwerfung oder Gehorsam) die auf gemeinsamen moralischen Maximen basierende oder von einem Vernunftinteresse geleitete innere Verbundenheit und deren Ausdruck im Verhalten gegenüber einer Person, Gruppe oder Gemeinschaft. Loyalität bedeutet, im Interesse eines gemeinsamen höheren Zieles, die Werte (und Ideologie) des anderen zu teilen und zu vertreten, bzw. diese auch dann zu vertreten, wenn man sie nicht vollumfänglich teilt, solange dies der Bewahrung des gemeinsam vertretenen höheren Zieles dient. Loyalität zeigt sich sowohl im Verhalten gegenüber demjenigen, dem man loyal verbunden ist, als auch Dritten gegenüber.


Mit diesem Verständnis im Rücken forderte jede am Konflikt beteiligte Fraktion meine Unterstützung und ignorierte dabei doch völlig, dass es längst keine gemeinsame auf moralischen Maximen basierende oder von einem Vernunftsinteresse geleitete Verbundenheit mehr gab. Die dringende Abgrenzung zu Treue, Unterwerfung und Gehorsam wurde – weil unbequem – über den Haufen geworfen.

„Korrumpierbar wollte ich nicht sein. Loyal konnte ich nicht sein, jedenfalls nicht beiden Seiten gegenüber gleichzeitig. Und integer sollte ich nicht sein. Was für ein Patt. Ich habe ganz schön Federn gelassen in dieser Auseinandersetzung und möchte nie wieder zwischen die Mühlräder solch einer Bewegung kommen.“

Reden und Handeln

Als loyal galt, unreflektiert der Meinung des anderen zu sein und sich ihm zu unterwerfen. Raum für Objektivität, eigenes ethisch-moralisches Bewerten, oder schlicht für eine eigene Meinung war da nicht vorgesehen. Was für ein leichtfertiger, egoistisch-grausamer und unreifer Umgang mit Meinungen, was für ein zerstörerisches Schaffen von Koalitionen! Was für eine trügerisch-vorgeschobene Offenheit, die keine war, was für ein feiger Angriff auf die Integrität! Die definiert Wikipedia so: Persönliche Integrität ist die fortwährend aufrechterhaltene Übereinstimmung des persönlichen Wertesystems und der persönlichen Ideale mit dem eigenen Reden und Handeln. Grundlage des Wertesystems ist eine religiös, politisch oder humanistisch begründete Ethik. Ein integrer Mensch lebt und handelt in dem Bewusstsein, dass sich seine persönlichen Überzeugungen, Maßstäbe und Wertvorstellungen in seinem Verhalten ausdrücken. Persönliche Integrität ist als Treue zu sich selbst gekennzeichnet worden. Sie achtet aber ebenso die Integrität und Würde der Mitmenschen und strebt danach, diese nicht zu verletzen. Im Gegensatz zu integer bezeichnet korrumpierbar eine Person, die sich in ihrem Verhalten nicht von eigenen Werten und Prinzipien, sondern von Drohungen und/oder Verlockungen durch äußere und innere Einflüsse leiten lässt.

Korrumpierbar wollte ich nicht sein. Loyal konnte ich nicht sein, jedenfalls nicht beiden Seiten gegenüber gleichzeitig. Und integer sollte ich nicht sein. Was für ein Patt. Ich habe ganz schön Federn gelassen in dieser Auseinandersetzung und möchte nie wieder zwischen die Mühlräder solch einer Bewegung kommen. Wirklich nie wieder. Das mit dem Königsmörder hat mir nämlich echt was ausgemacht. Weil ich weder die Absicht noch die Haltung dazu hatte. Am Ende steht für mich fest: Es gilt, zur rechten Zeit am rechten Ort und im rechten Kontext unbedingt, loyal zu sein. Das strebe ich auch heute noch an. Immer wieder. Wenn das aber nicht zu erreichen ist, ziehe ich die Integrität vor und bin lieber mit mir selbst im Reinen, als dass ich mich zwingen lasse, anderen gegenüber unbedingt loyal zu sein. Loyalität lässt sich nicht erzwingen, sie wird verdient. Integrität wird erworben. Beide nebeneinander und zusammen machen menschliche Größe aus, formen den Charakter und spornen mich an. Denn das will ich sein: Loyal. Und integer.

Detlef Eigenbrodt, M.A., Leiter einer eigenen Agentur für Kommunikationsberatung und Redaktionsleiter dieses Magazins, träumt von einer eigenen Wohnung in Südafrika und freut sich bis zur Erfüllung an den herrlichen Plätzen in Deutschland. Der Ehemann und Vater von vier erwachsenen Kindern sitzt super gern in der Sonne seines Gartens am Rande des Odenwalds und stellt sich der Herausforderung des Alltags. myjabulani.com

Bestelle kostenfrei die Printausgabe!

Bestelle die aktuelle Ausgabe und erhalte 4x/Jahr das Magazin NEUES LEBEN. Randvoll mit gutem, christlichem Rat für den Alltag, verständlich und anwendbar.

Bitte schickt mir NEUES LEBEN!
Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst du dich mit der Speicherung und Verarbeitung deiner Daten durch diese Website einverstanden.