Dann möchte ich unheilbar sein

Persönlich

Es ist jetzt fünf Jahre her, dass wir ein Interview mit Steffi Samuels führten, das war etwa zwei Jahre nach ihrer Krebsdiagnose und -therapie. Wir wollten wissen, wie es ihr heute geht, was sie denkt, fühlt und wie sie nach vorne blickt. Eine erstaunlich positive Frau schrieb einen erstaunlich geerdeten Bericht. Das große „Bämm” sucht man darin vergebens. Sie schreibt eher übers Wesentliche. Und das ist Herzenssache.

Schon schräg. Da geht man zum Arzt und hinterher ist man kränker als vorher. Sollte das nicht eigentlich anders herum sein? Ich weiß noch, wie ich diese beiden Gedanken nur mühsam vereinen konnte. Ich fühlte mich körperlich fit und alles in allem super, und trotzdem wuchs da etwas „Malignes“ in meiner Brust. Warum überhaupt? Sind Stillende von derartigen Diagnosen nicht ausgeschlossen? 

In freiem Fall

Kind zwei und drei, unsere Zwillingsmädchen, waren 10 Monate alt und quietschfidel, die Große drei Jahre, und wir standen kurz vor unserem Umzug 700 km durch die Republik. Da schlich sich die Diagnose „Brustkrebs“ in unser Leben – und zog uns erst einmal den Boden unter den Füßen weg. Interessant, wie schnell man sich nach Normalität sehnt, wenn sie weg ist. Jetzt ging der Marathon los. Eine Untersuchung nach der anderen ließ ich in einer Art Dämmerzustand über mich ergehen und arbeitete die Liste ab. Zwischendurch viele Gespräche und Tränen mit meinem Mann, viel Gebet und Ermutigung durch liebe Freunde, und ja, auch der eine oder andere sinnlose Kommentar unbeteiligter Zuschauender. 

Nach und nach kam eine Art Struktur oder Halt in den Nebel. Die Angst war noch da, und auch das Gefühl, am liebsten weglaufen und bei einem schönen Urlaub alles zu vergessen zu wollen. Auch die Fragen „warum“ und „wieso jetzt“ waren noch da. Trotzdem war mir klar: ich falle nicht ins Bodenlose, sondern „nicht tiefer als in Gottes Hände“. Das wurde mir damals, wie noch nie zuvor in meinem Leben, bewusst.

In guten Händen

Das erste Wunder – und ein Zeichen der Fürsorge Gottes – war die problemlose Umstellung der Zwillinge auf Flaschennahrung. Klingt banal, oder? War es aber ganz und gar nicht! Bisher hatten sie die Flasche immer verweigert. Ich war so dankbar! Und so ging es weiter. Was wurden wir umsorgt! Ich weiß nicht mehr, wie viele Leute beim Umzug geholfen haben – es waren VIELE! In beiden Städten. Meine Eltern haben unermüdlich den Kühlschrank aufgefüllt, Arzttermine und Behandlungen organisiert, die Kinder gehütet. Eine Freundin hat sechs Wochen mit uns gewohnt und die Wohnung einfach mal nach Gutdünken eingeräumt. Leute haben gekocht, mich besucht, Mützen für meine Chemo-Glatze genäht, mich wegen Alltagsbanalitäten angerufen, Karten geschrieben – und all das tat so gut! Ich konnte mich ehrlich darüber freuen! Manchmal hat mir die Postkarte einer lieben Freundin so den Tag versüßt, dass es mir schon fast skurril vorkam, wie etwas so Kleines solch eine Bedeutung haben kann. Das sehe ich als Geschenk an, und ich bin überzeugt, dass es die Antwort auf viele Gebete gewesen ist.

„Dankbarkeit heißt nicht, sich der Realität des Schlechten zu verschließen. Vielmehr ist es eine Entscheidung, das Gute im Leben zuzulassen und es zu bemerken, auch wenn es kleine Dinge sind, und sich daran zu erfreuen.“

Nicht, dass ich vorher pessimistisch gewesen wäre. Das Glas als halb voll, anstatt als halb leer zu betrachten, fiel mir immer schon leicht. Das wurde mir in die Wiege gelegt. Allerdings hat das Leben, vor allem bei und nach Schicksalsschlägen, die Angewohnheit, das Augenmerk auf das Wesentliche zu lenken. Ich erkannte: Ich habe so viel! Einen exzellenten Mann, tolle Kinder, jeden Abend ein bequemes Bett, in das ich mich legen darf. Ich bin geliebt, beschützt, habe ein Ziel vor Augen und einen Sinn im Leben. Außerdem sind alle meiner körperlichen Bedürfnisse immer versorgt.

An diesem, durch meine Lebenskrise sehr real gewordenen Verständnis, wollte ich unbedingt festhalten! Das ist eine Entscheidung, die ich immer wieder neu treffen muss. Sie lässt sich nicht ein für alle Mal treffen und dann konservieren.. Es ist so leicht, auf das zu schauen, was man nicht hat, denn bekanntlich ist das Gras auf der anderen Seite der Wiese ja immer grüner. Aber genau so will ich nicht denken! Ich möchte dankbar sein und leben, ich möchte die Gnade, die mir jeden Tag zuteilwird, sehen und sie nicht kleinreden, weil ich meine, auf hohem Niveau jammern zu müssen. 

In tiefer Dankbarkeit

Natürlich ist das oft leichter gesagt als getan, und manchmal kann ich auch nur sagen: danke, Gott, dass morgen ein neuer Tag ist und ich jetzt ins Bett kann! Natürlich bin ich auch mal traurig, unzufrieden oder fühle mich benachteiligt. Das gehört irgendwie mit zum Leben. Dankbarkeit heißt nicht, sich der Realität des Schlechten zu verschließen. Vielmehr ist es eine Entscheidung, das Gute im Leben zuzulassen und es zu bemerken, auch wenn es kleine Dinge sind, und sich daran zu erfreuen. Ich merke, dass Reflexion – vor allem am Ende des Tages – mir hilft, Dinge zu sortieren. Dabei entdecke ich dann: nein, es war nicht alles gut, aber genauso wenig war alles schlecht. Worüber habe ich mich heute gefreut, wofür bin ich dankbar? Vor allem an den Tagen, an denen ich mich nur so durchkämpfe, die Nacht schlecht war, die Kinder morgens schon streiten, der Mann nervt, alles grau ist und auch ein Kaffee die Laune nicht anzuheben vermag. Dann ist es umso wichtiger, mich auf das Gute und Positive in meinem Leben auszurichten. Dankbarkeit macht etwas mit mir, und das mag und brauche ich.

Vielleicht heißt es deshalb in 1. Thess. 5,18: „Seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch“. Mein Schöpfer weiß, was mir guttut und wie ich dadurch auch andere und ihre Nöte schärfer sehen kann. Dieses Verständnis wollen wir an unsere Kinder weitergeben. Jeden Abend beten wir zusammen und bitten sie, Gott eine Sache zu nennen, für die sie dankbar sind. Manchmal fällt ihnen dazu nur das Mittagessen ein, und das ist o.k., und manchmal hören sie gar nicht mehr auf. Es ist uns sehr wichtig, dass sie schon früh lernen, ihr Augenmerk auf das Gute in ihrem Leben zu richten und nicht auf das Schlechte oder vermeintlich Fehlende. Dann können sie vielleicht auch einmal sagen: unheilbar krank bin ich nicht, aber unbedingt unheilbar dankbar!

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