Das Glücksgefühl, allein zu sein

Ratgeber

Eine der guten alten Fragen ist doch die, wann es genug ist. Genug im Sinne von: ich bin zufrieden, erfüllt und ausgeglichen. Also nicht zu viel, nicht „overdone“, nicht verschwenderisch. Das lässt sich auch auf den Umgang mit sich selbst anwenden. Darauf, wie man sich verausgabt oder eben auch nicht. Heike Huhn erzählt, wie sie das handhabt.

Ich war etwa 8 Jahre alt und auf dem Heimweg von der Schule. Ich dachte an den bevorstehenden Nachmittag, als sich plötzlich ein Glücksgefühl in mir ausbreitete. Mir wurde bewusst, dass mich an diesem Tag keine meiner Freundinnen gefragt hatte, ob wir uns später zum Spielen treffen. Ich begann zu lächeln und beschleunigte meinen Schritt, um die Aussicht auf diesen besonderen Nachmittag, an dem ich alleine tun und lassen konnte was ich wollte, nicht doch noch in letzter Minute zu gefährden. 

Das Bedürfnis nach persönlicher Abgrenzung

Ich wusste intuitiv schon früh, dass ich sehr gern Zeit mit Menschen verbringe, aber auch gern allein bin, obwohl mir Freundschaften sehr wichtig sind. Zunächst hatte ich die diebische Freude daran, wenn ich mir mal Zeit für mich allein gestohlen hatte, aus schlechtem Gewissen verborgen. Später habe ich gelernt, dass, wenn ich meinem Bedürfnis nach persönlicher Abgrenzung nicht nachkomme, das was ich tue, an Fokus und Kraft verliert. 

Der Beruf, den ich gewählt habe, ist sehr menschenorientiert. Als Einsteigerin hatte ich Zweifel, ob das tatsächlich die richtige Wahl war. Obwohl mir die Arbeit als Human Recources Managerin Spaß machte, wollte ich am Ende des Tages nur noch eins: Nicht mehr reden, nicht mehr zuhören. Meine Zweifel an meiner Berufswahl teilte ich damals einem befreundeten Psychologen mit. Er fragte mich, wo und wie ich auftanke. Eine Frage, über die ich mir bis dahin keine Gedanken gemacht hatte. Als Studentin, die tagsüber den Kopf in die Bücher steckte, hatte ich mich zum Ausgleich vor allem gern zu langen Gesprächen mit Freunden getroffen. Jetzt war ich den ganzen Tag mit Menschen im Austausch und musste daher neue Tätigkeiten entdecken, um wieder Balance zu finden. Heute gehe ich nach einem gesprächsintensiven Tag tanzen, schaue gemeinsam mit anderen Sport oder sitze an einem schönen Ort, um den Tag zu reflektieren, zu lesen, zu beten. Zu längeren Gesprächen verabrede ich mich dann eher am Wochenende.

„Ich begann zu lächeln und beschleunigte meinen Schritt, um die Aussicht auf diesen besonderen Nachmittag, an dem ich alleine tun und lassen konnte was ich wollte, nicht doch noch in letzter Minute zu gefährden.“

Das Bedürfnis, der Abgrenzung Grenzen zu setzen

Als ich vor 10 Jahren nach Wien zog, genoss ich meine erste eigene Wohnung. Neuer Job, neue Stadt, neues Land. Um all diese Veränderungen zu verarbeiten brauchte ich mehr Rückzug. Nachdem ich mich eingelebt hatte, beschloss ich jedoch wieder in eine Wohngemeinschaft zu ziehen. Eine reine Kopfentscheidung, um meinem Bedürfnis nach Abgrenzung Grenzen zu setzen. So sehr ich den Rückzug genoss, sah ich die Gefahr, dass das ungesund werden konnte. Ich beschloss, dass ich die Gemeinschaft im Alltag brauchte, um gemeinschafts-, beziehungs- und anpassungsfähig zu bleiben. 

In Zeiten in denen viele Wissensarbeiter ihre Arbeit von zu Hause aus, im Urlaub oder vom Fußballplatz aus erledigen können, werden immer neue Arbeits- und Lebensmodelle diskutiert. Eines haben alle gemeinsam: Die Erkenntnis, dass Balance nicht darin begründet ist, wieviel Zeit wir für die verschiedenen Lebensbereiche direkt aufwenden, sondern darin, wieviel Wert wir aus den einzelnen Lebensbereichen schöpfen, um im Gleichgewicht zu sein und ein erfülltes, zufriedenstellendes Leben zu gestalten.

Magazin Herbst 2019

Heike Huhn, 39, ist Wahlwienerin, Human Resources Manager und Think Productive Trainer, isst supergerne Erdbeerjoghurteis und möchte unbedingt mal Paragliden, um das Leben auch aus der Vogelperspektive zu betrachten.

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