Wir können lernen zu verstehen

Ratgeber

Die jüngsten öffentlichen Debatten aus der Welt des Fußballs brachten wieder auf den Tisch, was nie wirklich abgeräumt war: Das Unverständnis für andere Menschen und andere Kulturen, den eigenen deutschen Trieb, etwas einzuordnen und zu sortieren, das Scheitern des Miteinanders, wenn jeder nur an sich selbst denkt. Daniel Dieckmann ist Mitarbeiter des Kinderhilfswerkes Compassion und hat schon von Berufs wegen viel mit Kultur zu tun. Aber nicht nur.

Ich komme viel rum in der Welt. Ich reise in Länder, die von Armut betroffen sind, und komme oft mit fremden Menschen in Kontakt. Dabei lerne ich viel über andere Kulturen, aber am meisten lerne ich über meine eigene. Mein größtes und schmerzhaftestes Lernerlebnis in diesem Zusammenhang hatte ich in letzter Zeit aber nicht im Ausland, sondern vor meiner eigenen Haustür. Und es passierte im Gespräch mit einer Deutschen.

Die immer gleichen Fragen im Kopf

Nennen wir sie Maria. Sie ist in Deutschland aufgewachsen, spricht perfekt deutsch und studiert an einer deutschen Uni. Trotzdem hat sie mir erzählt: Täglich erfährt sie Rassismus, weil sie eine Schwarze ist. Mehrmals die Woche wird sie gefragt, woher sie denn komme. Die Antwort: „Aus Frankfurt.“ genügt den meisten nicht. Daher bohren viele weiter, bis dann die beruhigende Antwort kommt: „Ich habe Verwandte in Kamerun.“ – damit stimmt das Weltbild wieder. Ich habe mich in diesem Gespräch ertappt gefühlt, denn ich hatte die gleichen Fragen im Kopf. Ich habe dabei gelernt, dass „Deutschsein“ exklusiv ist. Wir haben klare Normen dafür, was deutsch ist und was nicht. Wer nicht in diese Normen passt, spürt das täglich. Das wusste ich nicht, bis ich begonnen habe, mit Betroffenen wie Maria darüber zu sprechen. Für sie und viele andere bedeutet unsere Exklusivität, dass sie sich wie Fremde im eigenen Land fühlen.

„Wir müssen finanziell helfen. Viele sehen dann nur Lösungen für Probleme, die sie selber dort hätten.“

Lernerfahrungen, die in die Tiefe gehen

Tiefe Lernerfahrungen sind oft mit Schmerzen verbunden, weil etwas Altes stirbt und etwas Neues geboren wird. Aber wir brauchen diese Lernerfahrungen, um einen klaren Blick auf die Wirklichkeit zu bekommen. Denn sie sieht oft anders aus als wir denken. Wenn ich dienstlich in ärmere Länder reise, dann beobachte ich bei uns Deutschen zwei unterschiedliche Reaktionen: Die einen beschreiben die Armut im Kontrast zu ihrer eigenen Lebenswelt. Sie sehen die kleinen Häuser, den Dreck und den materiellen Mangel. Vielleicht sind sie dankbar, dass es ihnen nicht so geht. Dabei bleiben sie aber bei sich selbst. Der Lerneffekt ist oberflächlich, denn das Fazit ist oft: Wir müssen finanziell helfen. Viele sehen dann nur Lösungen für Probleme, die sie selber dort hätten. Die anderen gehen eine Ebene tiefer. Sie fragen sich: Was bedeutet die Armut für diese Menschen wirklich? Sie hören hin, fühlen mit und sie hinterfragen sich selbst. Dabei lernen sie, dass sich die äußeren Gegebenheiten auf das Selbstverständnis von Menschen auswirken: Wenn du auf einer Müllkippe lebst, dann fühlst du dich wie Müll. Wenn es für dich keine medizinische Versorgung gibt, dann, weil du es nicht wert bist. Wenn du kein politisches Mitspracherecht hast, dann, weil deine Stimme nicht zählt. Das führt zu Hoffnungslosigkeit und einer verinnerlichten Armut. 

Wenn wir nach diesen tiefer liegenden Dimensionen von Armut fragen, dann beginnen wir Zusammenhänge zu erkennen und hinterfragen unsere eigene Kultur. Bis dahin, dass uns bewusst wird: Wir sind ein Teil des Problems, denn irgendjemand muss für unsere Lebensweise bezahlen. Leider sind es oft die Armen.

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