Leitkultur & Leitbilder - Woran wir uns wirklich orientieren
Plädoyer
Nicht schlecht, wenn man weiß, wohin die Reise geht. Wenn man sich vorbereitet, umschaut und den Weg recherchiert. Immer vorausgesetzt natürlich, man kennt das Ziel und weiß, wo man ankommen will. Michael Buttgereit nimmt uns mit auf eine spannende Ausfahrt und meint: Es kommt auf das gemeinsame Ankommen an.
Ich weiß nicht wie es Ihnen ergeht, wenn Sie mit Ihrem Wagen auf der Autobahn unterwegs sind. Was mich betrifft, freut es mich einfach, wenn die Fahrbahnen von zweispurig auf dreispurig wechseln. Im umgekehrten Fall erlebe ich diese erneute Verengung von drei auf zwei Fahrspuren stets als Einschränkung meiner Möglichkeiten und der Bewegungsfreiheit. Diese Verengung wird durch die Leitplanken an der rechten und linken Fahrbahnseite besonders im Erleben unterstützt. Alles ist so vorbestimmt auf einer Autobahn – die Fahrspuren, Geschwindigkeitsbegrenzungen, die Rastplätze und Abfahrten. Alles hat seine Ordnung und Regeln, damit wir gut am Ziel ankommen. Was uns hier auf Spur hält, will sicherstellen, dass wir nicht vom Weg abkommen. Es soll uns helfen, orientiert zu sein, und nicht mit anderen zusammenzustoßen. Ich habe bei meinen Fahrten nie in Frage gestellt, ob der Weg, der sich da vor mir ausrollt, derjenige ist, der mich bestmöglich weiterbringt – oder ob es sinnvolle Abkürzungen oder herrliche Umwege gäbe. Ich gehe davon aus, dass sich andere darüber Gedanken gemacht haben. Eine Autobahn ist kein persönlicher, individueller Weg. Sie ist ein Weg für die Masse.
Das, was gilt, soll Geltung erfahren
Und eine Autobahn ist eine gute Metapher für das was uns leitet – oder wir könnten auch sagen: was uns führt. Leitkulturen haben eine ähnliche Aufgabe wie Autobahnen. Sie wollen das Vorwärtskommen der Vielen in gewohnt sicheren und geordneten Bahnen lenken und halten. Die Orientierung an einer Leitkultur soll eine gemeinschaftsfördernde Führungsaufgabe ersetzen. Sie ist sozusagen eine kulturelle Anleitung, damit wir uns im Leben nicht verfahren. Auf Autobahnen sind solche Leitsysteme sicher sinnvoll, um Unfälle und Staus zu vermeiden, aber im Bereich unseres Zusammenlebens bleibt dies zumindest fragwürdig. Warum? Kulturen sind gemeinsame soziale Errungenschaften von Übereinkünften zur Besinnung auf unsere Herkunft und zur gemeinsamen Orientierung für unsere Zukunft. Sie dienen zur Ausrichtung und Befriedung des Zusammenlebens. Das, was gilt, soll Geltung erfahren. Alles, was von diesen kulturellen Übereinkünften abweicht, wird per se als störend und bedrohlich erlebt. Andere Erfahrungen - andere Kulturen. Ähnliche Erfahrungen führen zu ähnlichem Bewusstsein in Gruppen und damit zu ähnlichen Haltungen und Glaubenssätzen. Das, was sich damit als tauglich für das Zusammenleben erweist, fließt in unsere Handlungen ein, damit soziales Leben gemeinschaftlich gestaltet werden kann. Eine Kultur ist also das Ergebnis von gemeinsamem Bewusstsein. Andere Kulturen speisen sich aus anderen Erfahrungshintergründen. Das könnte spannend sein miteinander zu teilen, damit das Leben reicher und vielfältiger wird. Es hat jedoch Vorteile, wenn man Gruppen von Menschen in einem Kulturraum einander angleicht – sie lassen sich leichter lenken.
Ist gemeinsame Gesinnung sinnvoll?
In Unternehmen versucht man diese soziale Angleichung durch die Verfassung von Leitbildern zu organisieren. Das, was einem Unternehmen wertvoll ist, wird im schlechtesten Fall allen „vorgeschrieben“. Gemeinsame Gesinnung soll als sinnvoll beschrieben werden. Eine Beteiligung aller Betroffenen ist in modernen Leitbildprozessen zwar die gute Regel – es bleibt jedoch dabei: kopflastige, kulturelle Übereinkünfte in Leitbildern erzeugen selten Handlungsorientierung für die freudvolle Gestaltung gemeinsamer Zukunft. Denn die Frage bleibt: Motiviert uns eigentlich alle, wie wir leben und wo es hingehen soll – was wir wie erzielen oder erreichen wollen? Wie schnell verkommt also das, was uns leiten soll, in Verfassungen und fordernden Handlungsanweisungen. Ein Leitbild sagt uns lediglich, ob wir in einem verabredeten Rahmen sicher handeln oder ob wir abweichen von dem, was uns wichtig und wertvoll ist, aber es hilft uns nicht unbedingt unser Leben energiereich und lebensfroh gemeinsam zu gestalten.
Es gibt kein richtiges Leben im vermeintlich Falschen
Was könnte helfen? Fahren wir einmal von der Autobahn ab – lassen wir Leitkulturen und Leitbilder hinter uns und machen wir eine Rast bei Jesus, dem großen Ratgeber. Jesus ist sich klar darüber, dass es für ein gutes Ankommen jedes Einzelnen Not tut, die göttliche Verfassung zu befolgen. Er sieht aber auch die Not, die diese Gebote mit sich gebracht haben. Plötzlich müssen wir „spuren“, also den äußeren Regeln und Richtlinien gehorchen, ob uns das nun passt oder nicht. Es gibt plötzlich kein richtiges Leben mehr im vermeintlich Falschen, wenn uns das Gesetz sagt, was richtig und falsch ist. Dabei hat Jesus nie eine bestimmte Kultur gepredigt oder ein Verhalten vorschnell beurteilt. Voreilige Bewertungen – und damit Abwertungen – waren ihm fremd. „Richtet nicht!“ „Prüfet alles und das Gute behaltet.“ „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ ... – und nicht an ihren Taten, Wegen, Leitplanken, Leitkulturen und Leitbildern. Das sind Gedanken in einem Geist, der uns in die Freiheit führen will. Jesus versteht etwas von unserer Lebenssehnsucht nach Beziehungsgestaltung und Ganzheitlichkeit. Und er hat darunter gelitten, dass wir auf unseren eigenen, oft lebensfeindlichen, Wegen nie das tief in uns angelegte begehrte Ziel von Frieden und Erfüllung, Annahme und Liebe erfahren werden.
„Vielleicht benötigen wir keine formstabilen Leitplanken von Vorschriften und Wertmaximen, sondern eine lebendige Zukunftssicht.“
Lieber doch Leuchtkultur statt Leitkultur?
Lebenssehnsucht ist eine gute Leitenergie. Und die lebendige Hoffnung auf Erfüllung sorgt dabei für eine begehrenswerte Zukunft, die wir kaum in der Gegenwart abwarten können. Hier eröffnet sich eine Spur: Vielleicht benötigen wir keine formstabilen Leitplanken von Vorschriften und Wertmaximen, sondern eine lebendige Zukunftssicht. Eine Zukunft,
die befestigt ist an einem Strang, der sattes Leben verheißt, an dem wir alle gemeinsam mit vereinten Kräften ziehen mögen, damit sich diese begehrenswerte Zukunft im Hier und Jetzt ereignet. Eine Zukunft die sich mit Gewissheit einstellen wird und schon in die Gegenwart hineinleuchtet. Vielleicht benötigen wir doch eher eine Leuchtkultur als eine Leitkultur. Das, was leuchtet, leitet. Vor uns und aus uns heraus. Das hat Jesus wohl gemeint. Der Blick auf ihn und nach vorn gibt Sicherheit. Der Blick zur Seite und nach unten macht hingegen Angst, mit den Leitplanken auf unserer engen Lebensspur zu kollidieren. Das angebotene echte Leben, das wir im Vertrauen auf uns selbst beziehen, benötigt keine Leitplanken. Es kann nicht vom Ziel abweichen. Es wird uns immer erreichen. Es ist eine Bewegung auf uns zu. Sie sind ein befreiter Mensch, der sein Ziel persönlich kennt und segensreich unterwegs sein kann. Mit solcher Hoffnung im Gepäck sind fremde Kulturen und Religionen keine Bedrohung Ihrer Lebensspur mehr. Sie ist die Chance auf Begegnung. Echtes Interesse an anderen wird denen möglich, die im Fremden die gleiche Lebenssehnsucht erahnen, die sie selbst antreibt – nur anders ausgedrückt. Andere Länder – andere Straßen.
Fahrbahnverengungen im Alltag ertrage ich nun mit mehr Gelassenheit, weil ich weiß, dass es eine bahnbrechende Botschaft gibt – für alle, mit denen ich im Alltag unterwegs bin. Ich lade andere ein mitzufahren, mitzuziehen und mitzureisen. Ich bin sicher, dass wir gemeinsam an einem großartigen Ort ankommen werden.
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