Ist etwas schon deshalb richtig, weil viele es meinen?
Standpunkt
In einer Zeit, in der Toleranz ein wirklich hohes Gut ist, ein Wert, der vielen gilt, eine Forderung, die vielen Mündern entspringt fragten wir Ulrich Neuenhausen, was es damit eigentlich auf sich hat. Was ist Toleranz, wo kommt sie her und wo führt sie hin?
Jesus war nicht tolerant. So ist ein Artikel von Jan Hedde bei Spiegel Online vom 17. April 2016 überschrieben. Toleranz ist ein Produkt der Neuzeit. Bei Wikipedia wird sie erklärt als „… ein Geltenlassen und Gewährenlassen anderer oder fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten“ (Wikipedia „Toleranz“). Hedde erläutert, dass Toleranz keine Tugend oder moralische Leistung ist, sondern eher eine Haltung der Aufklärung, die passiv beobachtet statt aktiv zu urteilen oder sogar zu bekämpfen.
Man würde ihnen mehr Toleranz wünschen
Alles klar, oder? Toleranz kommt also für bibelgläubige Christen nicht in Frage, denn diese vertreten ja klare Überzeugungen und stehen aktiv dafür ein, haben Werte und kämpfen auch dafür. Außerdem ist die Toleranz eine Haltung der Aufklärung und Neuzeit, die viele Christen sowieso für gefährlich und falsch halten. Die Antwort auf die Frage, ob etwas schon deshalb richtig ist, weil viele es dafür halten, ist also ein klares Nein. Hier könnte dieser Artikel dann auch enden, wenn es da nicht diese schwierigen Erfahrungen mit manchen Christen gäbe, die oft ungefragt jedem ihre Meinung sagen, auch bei Kleinigkeiten stur sind und nur sehr schwer mit sich reden lassen. Man würde solchen Christen Toleranz wünschen, aber man darf dieses Wort in manchen Gemeinden ja gar nicht in den Mund nehmen, ohne in den Verdacht zu kommen, Kompromisse mit dem Wort Gottes zu machen. Wenn es dann möglicherweise sogar zur Gemeindespaltung kommt, ist das für die Menschen außerhalb der Gemeinde, die „aufgeklärten Neuzeitler“, nicht nachzuvollziehen und atmet so gar nichts von einem Evangelium, das Menschen annimmt wie sie sind. Soll und darf das so sein? Ist das biblisch gedeckt?
Es ist also gar nicht alles klar. Die Frage ist wohl nicht, ob Toleranz, Respekt und Achtung gut oder schlecht sind, sondern eher, wann sie gut und wann sie schlecht sind. Vor allem aber interessiert die Frage, ob wir dafür eine Antwort aus der Bibel bekommen können. Das Wort Toleranz stammt aus dem Lateinischen „tolerare“ und bedeutet „erdulden, ertragen“. Dem entspricht im Griechischen am ehesten das Wort „anechomai“. Tatsächlich finden wir das in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen: In Matthäus 17,17 und den Parallelstellen seufzt Jesus darüber, dass er den Unglauben der Juden und auch seiner Jünger „ertragen“ muss. Es ist schwer auszuhalten, dass ange
sichts der vielen und unfassbaren Wunder, die er schon getan hat, die Menschen immer noch zweifeln. In 2.Korinther 11,1.2.4.14.19.20 spielt Paulus mit dem Wort „ertragen“, indem er die Korinther bittet, sich doch von ihm was sagen zu lassen. Von allen anderen lassen sie sich beeinflussen, ausnutzen und irreführen, nur Paulus darf ihnen nichts sagen. In Epheser 4,2 und Kolosser 3,13 fordert Paulus dazu auf, einander zu „ertragen“. In 2.Thessalonicher 1,4 geht es darum, Verfolgung zu „ertragen“, in 2.Timotheus 4,3 darum, dass einige die gesunde Lehre nicht mehr „ertragen“.
„Die Frage, wie die Gesellschaft etwas sieht, ist schlichtweg irrelevant. Es geht immer um die Frage, ob unser Leben und unsere Gemeinschaft auf Christus ausgerichtet sind oder nicht.“
Man könnte tatsächlich das Wort Gottes heranziehen
Es geht also auch in der Bibel nicht um ein grundsätzliches Ja oder Nein zur Toleranz, sondern vielmehr um die Frage, was wir tolerieren sollen und was nicht. Wenn zum Beispiel jemand sein ungehobeltes und verletzendes Benehmen damit entschuldigt, dass er etwas gegen Toleranz hat, dann kann man zu Recht mit Epheser 4,2 festhalten, dass dieses Verhalten biblisch nicht gedeckt ist. Wenn auf der anderen Seite jemand fordert, alles in der Gemeinde zu erlauben, keinen Fehltritt anzusprechen und jeden seinen eigenen und möglicherweise schwierigen Weg gehen zu lassen, dann ist das im Sinne von 2. Timotheus 4,3 ungesund und damit auch gefährlich für den Betroffenen und vielleicht sogar die ganze Gemeinde. Wie aber kann man zwischen diesen beiden Dingen unterscheiden? Paulus skizziert in 1.Korinther 3 das Bild eines Tempelbaus. Dabei zeigt er auf, was tolerierbar ist und was nicht:
„Nach der Gnade Gottes, die mir gegeben ist, habe ich als ein weiser Baumeister den Grund gelegt; ein anderer aber baut darauf; jeder aber sehe zu, wie er darauf baut. Denn einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ Das Fundament ist nicht verhandelbar. Das ist Jesus Christus. Die Mauern auf diesem Fundament können unterschiedlich gebaut werden. Hier entscheidet jeder Einzelne nach seinem Gewissen und hofft, dass sein Bau am Ende feuerfest ist: „Wenn aber jemand auf den Grund Gold, Silber, kostbare Steine, Holz, Heu, Stroh baut, so wird das Werk eines jeden offenbar werden, denn der Tag wird es klarmachen, weil er in Feuer geoffenbart wird. Und wie das Werk eines jeden beschaffen ist, das wird das Feuer erweisen. Wenn jemandes Werk bleiben wird, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen; wenn jemandes Werk verbrennen wird, so wird er Schaden leiden, er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer.“
Der Clou dieses Textes ist nicht als erstes die Mahnung, nur ja mit feuerfestem Material zu bauen, sondern der Hinweis, dass die Qualität der Mauern erst dann sichtbar wird, wenn jemand Feuer daran legt. „Der Tag“, an dem das Feuer klärt, was klug gebaut ist, ist hier eine Anspielung auf die Wiederkunft von Jesus Christus. Paulus greift das wenige Verse später noch mal auf, in 1.Korinther 4: „So verurteilt nichts vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Absichten der Herzen offenbaren wird! Und dann wird jedem sein Lob werden von Gott.“
Man müsste nicht wirklich fragen, was die Mehrheit will
Es gibt also eine notwendige und von der Bibel geforderte Toleranz, die uns davon abhalten muss, jetzt schon alles und jeden zu beurteilen. Die Korinther urteilten über die Qualität der Predigten von Paulus und Apollos und spalteten sich darüber. Paulus verbietet das. Es gibt viele Dinge, die Jesus beurteilen wird. Uns steht ein Urteil darüber nicht zu. Wir dürfen gerne davon überzeugt sein, die beste Gemeinde zu haben, den klarsten Durchblick in biblischen Fragen oder den überzeugendsten Lebensstil in der Nachfolge von Jesus. Aber wir dürfen nicht über andere urteilen, die es anders machen. Allein beim Fundament gibt es keine Toleranz: Verherrlicht und spiegelt das, was wir als Christen und in der Gemeinde tun, Jesus Christus? Ist Er die Mitte von allem? Wird Er geehrt, groß gemacht, ist Er die Quelle unseres Lebens, die Quelle der Kraft, die Mitte unseres Glaubens? Wo das in Frage steht, ist kein Platz mehr für Toleranz. Das gilt für zweifelhafte ethische Ansichten in der Gesellschaft genauso wie für gesetzliche Predigten in der Gemeinde, die vom Evangelium wegführen.
Zurück zur Ausgangsfrage: Ist etwas schon deshalb richtig, weil viele es dafür halten? Natürlich nicht. Aber es ist deshalb auch nicht schon falsch! Die Frage, wie die Gesellschaft etwas sieht, ist schlichtweg irrelevant. Es geht immer um die Frage, ob unser Leben und unsere Gemeinschaft auf Christus ausgerichtet sind oder nicht. Ob ich jogge, Fernsehen gucke, durchs Internet browse, ein Computerspiel spiele, beim Essen sitze, zum Gottesdienst gehe, ein Bier trinke, Geld verdiene, Auto fahre, Urlaub mache, hart arbeite, Pause mache, meine Frau in den Arm nehme, grille, ein Konzert besuche, ein Buch lese und was noch alles denkbar wäre – führt es zu Christus hin, ist es „neutral“ oder führt es von ihm weg?
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