Trainiere dein Tugend-Gespann!

Wie wir unsere „Tugendpferde“ fit halten können

Vernünftig, verantwortlich, mutig und maßvoll das Leben gestalten: Hans-Arved Willberg hat einige praktische Anregungen zusammengestellt, wie wir unsere vier „Tugend-Pferde“ zum Laufen motivieren, unsere Ziele neu ausrichten und zu einer gesunden Balance finden können.

„Irgendwie hängt beim Thema Tugenden doch alles sehr zusammen“, mögen Sie jetzt denken. Natürlich! Sie lenken ja auch nicht vier einzelne Pferde, sondern einen Vierspänner. Da soll „das Gangwerk der Pferde harmonisch zusammenpassen“, wie es offiziell im Fahrsport heißt. Die Vier gehören zusammen und ergänzen sich. Je mehr sie sich einander anpassen, desto größer ist die Harmonie. Denn was nützt uns die ganze Selbstdisziplin, wenn man nicht immer wieder ein mutiges Ja zum Leben findet? Und was der Mut, wenn wir uns damit auf Kosten unserer Umwelt verwirk-lichen? Was nützt die Vernunft, wenn sie sich nicht in konkreten, verantwortlichen Entscheidungen niederschlägt? Und was die Verantwortlichkeit, wenn wir nicht konsequent und fest entschlossen für das Leben sind?

Kein Tugendgespann ist perfekt. Leben in Balance ist ein Leben mit vier gesunden Tugendpferden. Sie dürfen ihre Schwächen haben, aber nicht lahmen. Wenn eines dieser Pferde nicht laufen kann und mag, wird es sehr mühsam mit der Lebensbewältigung. Der Stress nimmt überhand. Da muss sich dringend etwas ändern!

Oder lahmen alle vier? Fehlt das Grundmotiv des Lebens? Tugend ist das Gefährt, mit dem ich meine Lebensreise bewältige. Wenn ich aber nicht weiß, wohin der Weg mich führt, dann ist nicht viel mit Reisen und Bewältigen. Wenn Ihnen also unklar ist, wozu Sie eigentlich auf dieser Welt sind, dann müssen Sie erst mal diese entscheidende Frage klären. Doch ich schlage Ihnen vor, dass Sie dazu nicht mit einer Google-Suche beginnen. Besser gehen Sie von folgenden Eckdaten aus:

  • Ein lohnendes Ziel für mein Leben in seiner Gesamtheit kann nur ein Plus an Menschlichkeit und Liebe sein. Die Liebe ist das Größte. Wenn es sich nicht lohnt, für sie zu leben und zu sterben, dann ist es sehr zweifelhaft, ob es sich überhaupt lohnt. Für die Kursbestimmung meines Lebens ist darum entscheidend, dass ich definiere, was ich unter Liebe verstehen will.
  • Ich brauche eine Antwort auf die Frage nach dem letzten Woher und Wohin meines Lebens. Ich brauche sie, damit meine Angst sie mir nicht gibt. Es hilft nichts, wenn ich die Frage nach der letzten Verantwortung und nach dem ewigen Leben ausblende. Dann überlasse ich mich der Angst. Für die Kursbestimmung meines Lebens ist darum entscheidend, dass ich für mich überzeugend die spirituelle Frage kläre, die Frage nach Gott.
  • Wo suche ich, wenn nicht bei Google? Auf jeden Fall nur dort, wo die Menschenliebe höchstes Gebot ist. „Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Dies ist das höchste Gebot des jüdischen und christlichen Glaubens. Das Gebot schlechthin, wie Jesus sagte. Ich bin persönlich überzeugt, dass nur der christliche Glaube der wahren Menschlichkeit die Tür ganz öffnet. Aber überzeugen Sie sich bitte selbst.

Diese Frage nach der Person des Kutschers und seines Fahrgastes ist die wichtigste. Nehmen Sie sich Zeit und Muße dafür. Verzichten Sie aber auch hier auf die perfekte Antwort. Erkennen Sie die Spur, die Richtung. Das reicht. Von dorther können Sie Ihren Weg bestimmen. Sie werden unterwegs immer wieder anhalten müssen, um neu zu navigieren. Manches wird klarer werden, manches aus dem Blick geraten. Wenn Sie aber genügend Daten für die Grundausrichtung Ihrer Lebensfahrt haben, dann schauen Sie sich noch einmal den Gesundheitszustand Ihrer Tugendpferde an. Sie können etwas zum Training Ihrer Pferde beitragen. Dazu nachfolgend ein paar praktische Tipps.

„Tugend ist das Gefährt, mit dem wir unsere Lebensreise bewältigen.“

1. TRAININGS-EINHEITEN
VERNUNFT

Erweitern Sie Ihren Horizont. Beschäftigen Sie sich wieder neu mit Themen, die Sie interessieren. Erschließen Sie sich neue Themenbereiche. Bilden Sie sich, vergrößern Sie Ihr Wissen.

Öffnen Sie sich für andere Sichtweisen. Schieben Sie Ihr Vorurteil zur Seite, über die Meinungen anders denkender Menschen schon genug zu wissen, um sie beurteilen zu können. Überwinden Sie Berührungsängste. Bemühen Sie sich um Verständnis.

Nehmen Sie die Stimme Ihres Herzens ernst. Es stimmt schon, was der Fuchs im Buch „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry sagt: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Alles Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Wofür schlägt Ihr Herz? Was bewegt Sie? Sie können das üben, indem Sie auf Ihre Empfindungen achten und ihnen trauen.

Reflektieren Sie Ihre Erfahrungen. Nehmen Sie sich immer wieder Zeit und Muße zur Bilanz. Genießen Sie Ihre Erfolge und verarbeiten Sie Ihre Misserfolge. Lernen Sie aus Fehlern und Enttäuschungen und ziehen Sie konstruktive Schlüsse daraus.

Hören Sie zu und lassen Sie sich korrigieren. Manchmal lernen wir am meisten von den Menschen, die wir dafür nicht vorgesehen haben. Nicht von ungefähr heißt es zum Beispiel: „Kindermund tut Wahrheit kund.“ Achten Sie mehr auf die leisen Töne als auf marktschreierische Ratgeber.

Betrachten Sie verschlossene Türen als Wegweiser. Maria und Josef mussten in einem Stall landen, damit Weihnachten werden konnte. Sie hätten sich nie aus eigenem Entschluss dort einquartiert. Sie wären auch nicht dort angekommen, wenn sie aufgegeben hätten. Die Gastwirte waren sehr abweisend, aber sie suchten weiter. Vertrauen Sie, dass es einen guten Weg für Sie gibt, auch wenn es ganz anders kommt, als Sie geplant haben.

Akzeptieren Sie sich selbst. Nehmen Sie sich wahr und mit Ihren Stärken und Schwächen an. Nehmen Sie eine freundliche, fördernde Haltung zu sich selbst ein. Hüten und pflegen Sie Ihre Kernkompetenzen wie einen sehr wertvollen Schatz. Machen Sie das Beste aus Ihrem Leben.

2. TRAININGS-EINHEITEN
VERANTWORTUNG

Definieren Sie Ihre höchsten Werte. Was ist Ihnen vor allem wichtig im Leben? Was vermissen Sie am meisten bei Ihren Mitmenschen? Werfen Sie es Ihnen nicht vor, sondern setzen Sie sich dafür ein.

Überlegen Sie sich, wo Sie gebraucht werden. Gehen Sie dabei nicht nur von Ihren eigenen Fähigkeiten und Interessen aus. Wie können Sie anderen Menschen eine Freude machen? Wie können Sie andere unterstützen, die Hilfe benötigen?

Beschäftigen Sie sich mit hoffnungsvollen Initiativen. Schützen Sie sich vor der Jammer-Mentalität. Schließen Sie sich mit optimistischen Weltveränderern zusammen und unterstützen Sie sie.

Lassen Sie sich von Not berühren. Verdrängen Sie die Not Ihrer Mitmenschen nicht durch billige Sprüche. Nehmen Sie das tatsächliche Leiden wahr und lassen Sie sich davon bewegen.

Nehmen Sie eine konstruktive Haltung zur Politik ein. Bemühen Sie sich, ein vorbildlicher Bürger zu sein. Bilden Sie sich ein ausgewogenes politisches Urteil. Seien Sie ein aktiver Demokrat.

Lassen Sie sich gern ergänzen und beschenken. Suchen Sie Gemeinschaft. Lassen Sie sich nicht vereinnahmen, aber seien Sie auch nicht allzu wählerisch, was Beziehungen und Freundschaften angeht. Üben Sie sich in Wertschätzung, Akzeptanz und Dankbarkeit.

Machen Sie die „Goldene Regel“ zu Ihrem Lebensmotto. „Was ich will, das mir die andern tun sollen, das will ich ihnen tun“ (nach Lukas 6,31).

3. TRAININGS-EINHEITEN
MUT

Überwinden Sie Ihre Angst vor Blamage. Die allermeisten Befürchtungen, was andere über uns denken könnten, bestehen nur in unserer Fantasie. Entschließen Sie sich, konsequent Verhaltensweisen zu wagen, denen Sie bisher aus dem Weg gegangen sind.

Stehen Sie zu Ihren Stärken. Seien Sie dankbar dafür und lassen Sie andere etwas davon haben. Lassen Sie sich nicht durch Ihren Perfektionismus abhalten. Üben Sie Selbstbewusstsein, indem Sie tun, was Ihnen liegt und sagen Sie, was Sie wissen.

„Leben in Balance ist ein Leben mit vier gesunden Tugendpferden. Sie dürfen ihre Schwächen haben, aber nicht lahmen.“

Stehen Sie zu Ihren Schwächen und Fehlern. Fehler zu machen gehört zum ganz normalen Leben. Entschließen Sie sich, sie grundsätzlich nicht zu vertuschen, zu verharmlosen und sich herauszureden. Entwickeln Sie Humor für Ihre Mängel.

Stehen Sie zu Ihren Entscheidungen. Lassen Sie sich nicht zu leicht verunsichern. Werfen Sie Ihre Entschlüsse nicht gleich wieder über den Haufen, weil sie nicht optimal sind oder weil andere skeptisch sind. Verändern Sie Ihre Pläne erst, wenn Sie erkennen, dass es eine wirklich bessere Alternative gibt.

Geben Sie erst auf, wenn es wirklich nicht mehr geht. Bewahren Sie sich dadurch vor Sich-selbst-erfüllenden Prophezeiungen. Haben Sie wirklich alles versucht?

Bewahren Sie emotionale Unabhängigkeit. Behalten Sie den nötigen inneren Abstand, um sich von schlechten Erfahrungen mit anderen Menschen nicht übermäßig erschüttern und von schönen Erfahrungen nicht übermäßig binden zu lassen. Wagen Sie es, auf eigenen Füßen zu stehen, mit eigener Meinung, eigenem Geschmack und eigenem Willen.

4. TRAININGS-EINHEITEN
DISZIPLIN

Optimieren Sie Ihr Zeitmanagement. Es geht nicht darum, noch mehr Produktivität aus den 24 Stunden eines Tages zu pressen, sondern so zu leben, wie es für Sie passt.

Ordnen Sie Ihre Prioritäten. Nicht alles ist gleich wichtig. Sie erleichtern sich Ihr Zeitmanagement erheblich dadurch, dass Sie dem, was wesentlich ist, auch genügend Raum geben. Lassen Sie sich dabei nicht von dem bestimmen, was „man“ zu tun und zu lassen hat. Finden Sie Ihren eigenen Weg.

Verzichten Sie auf Zeitvertreib. Wenn wir etwas vertreiben müssen, mögen wir es nicht. Ihre Zeit ist etwas Kostbares – behandeln Sie sie darum entsprechend. Zeitvertreib ist auf die Dauer Pseudogenuss. Genießen Sie wirklich, statt zu kompensieren!

Achten Sie auf die Signale Ihrer Gefühle und Ihres Körpers. Diese Signale sind die Bojen, mit denen die Fahrrinnen Ihres Lebenswegs begrenzt werden, damit nichts passiert. Verbessern Sie Ihre emotionale Intelligenz.

Pflegen Sie eine ausgewogene Lebensweise. Achten Sie darauf, dass die Bedürfnisse Ihres Körpers gestillt sind. Suchen Sie die Balance zwischen Arbeit und Erholung.

Definieren Sie realistisch kurz- und mittelfristige Ziele. Wenn Sie haushälterisch leben wollen, müssen Sie wissen, wohin Sie gehen, um Zeit und Kraft sinnvoll einteilen zu können und motiviert und geduldig zu sein.

Entdecken Sie Ihre „inneren Antreiber“ und beherrschen Sie sie. Übermäßige, unangemessene Emotionen veranlassen Sie zu Verhaltensweisen, die Sie eigentlich gar nicht wollen. Sie gehen aus überzogenen Erwartungen an sich selbst, andere Menschen und das Leben hervor. Entlarven und bekämpfen Sie diese Denkmuster.