Achterbahnfahrt ins Licht

Das abenteuerliche Leben des Münchner Lichtdesigners Erwin Döring

Internationale Preise, prestigeträchtige Projekte in der Dresdener Frauenkirche oder der Hamburger HafenCity – Erwin Döring scheint vom Erfolg verwöhnt. Doch das Leben des Münchner Lichtgestalters gleicht lange einer abenteuerlichen Achterbahnfahrt mit schweren Krisen, Neustarts und ungeahnten Wendungen. Mit 40 entdeckt Erwin Döring das „Material“, das ihn nicht mehr loslässt und dass ihm beruflich großen Erfolg bringen wird: Licht. Doch seit er vor einigen Jahren beschlossen hat, seinen Lebensweg „nur noch mit Gott zu gehen“, hat er noch mehr über das wahre Licht herausgefunden.

Die Frage, was ihn an Licht so fasziniert, kann Erwin Döring mit einem Satz beantworten: „Licht ist pure Emotion!“ Es steuert die Sinne und Hormone, das ganze menschliche Wohlbefinden und erhöht die Konzentration oder Entspannung – je nachdem. „Deshalb ist es entscheidend wichtig, dass die Beleuchtung stimmt.“ Und als Lichtplaner hat Döring sich genau darauf spezialisiert: Bauprojekte mit Tages- und Kunstlicht stimmig und stimmungsvoll zu gestalten. Einer seiner jüngsten Aufträge ist ein Unesco-Projekt in Steingaden im Tölzer Land – die Wieskirche. Dieses neue Projekt, ebenso wie die Hauskapelle des Klosters Benediktbeuren, an der er gerade arbeitet, ist jedoch eher ein „Sahnehäubchen“ für den Beleuchtungs-Profi mit internationalem Renommee. Erst im Frühjahr durfte der kreative Tüftler den bedeutendsten Preis der Branche, den „Radiance Award“, in den USA entgegennehmen – für die Gestaltung einer U-Bahnstation der Hamburger HafenCity-Universität. Seinen christlichen Glauben findet der gebürtige Stettiner, der seit vielen Jahren in München lebt, auch in seiner Arbeit wieder. Zum Beispiel in der Unterschiedlichkeit des Lichtes, das sich als hell, dunkel, kalt, warm und in Farbstufen charakterisiert: „Genau wie Jesus. Er sagt, ich bin das Licht des Lebens.“ Und über all die Jahre hat der Planer herausgefunden, was Licht für ihn ist: „Etwas Lebendiges, Wahrhaftiges, Ehrliches, Klares, Definiertes“. 

Doch der Weg war schwer für Döring, bis „endlich Frieden“ in sein Leben einkehrte. Schon sein Start ins Leben fand unter katastrophalen Vorzeichen statt. Erst vor wenigen Wochen ist der inzwischen 70-Jährige mit seiner Frau und der 14-jährigen Tochter an die Orte seiner Kindheit in der Nähe von Bonn zurückgekehrt, hat sich in Erinnerung gerufen, was damals geschah. Gerade zwei Jahre alt ist Erwin Döring, als er mit Diakonissen des Roten Kreuzes und 800 weiteren Kindern aus Stettin fliehen muss. Die Hälfte der Kinder überlebt den Transport im bitterkalten Winter 1945 nicht. Seine Eltern, eine bei seiner Geburt erst 16-jährige Landarbeiterin und ein zum Arbeitsdienst deportierter Franzose, haben ihren kleinen Jungen im Stich gelassen. „Ich hatte lange Probleme damit, dass meine Mutter nicht zu mir gehalten hat“, blickt Döring zurück. Doch sein Glaube hilft ihm schließlich damit umzugehen: „Man weiß nicht, aus welcher Not heraus sie gehandelt hat. Ich habe ihr längst vergeben.“ 

Schwerer Unfall bringt eine Kehrtwende

Döring wächst in Kinderheimen auf, bis er mit 14 Jahren das Heim verlassen muss. „Es wurde nicht nach Neigungen und Talenten gefragt, Hauptsache man kam irgendwo unter“, erinnert er sich. So arbeitet er zunächst ein Jahr lang in der Landwirtschaft, bevor er eine Lehre als Metzger beginnt. Dort fühlt sich der sensible Jugendliche fehl am Platz. Auch das Umfeld tut dem Teenager nicht gut. Nach eineinhalb Jahren beendet ein schwerer Unfall die Lehre und fast auch sein Leben: Döring rutscht mit dem Fleischermesser ab und durchtrennt sich die Bauchschlagader - nur das beherzte Eingreifen eines Helfers vor Ort rettet ihn. Als Folge dieses Unfalls wird ihm jedoch sein rechtes Bein amputiert. Rückblickend betont Döring heute: „Ich habe den Eindruck, ich habe dennoch Bewahrung durch Gott erlebt.“ Der Unfall bringt in jedem Fall eine Kehrtwende, der Auszubildende kommt mit ganz anderen Menschen in Kontakt. Doch ständig lastet ein Gedanke auf dem Heranwachsenden: „Wie soll es weitergehen?“ Weiterhin entscheiden andere, was er zu tun hat, bis er volljährig ist. Die nächste Lehre als Werkzeugmacher gefällt Döring, doch sie scheitert daran, dass er mit seiner Beinamputation schwere körperliche Arbeit und langes Stehen nicht bewältigen kann. Die folgende Lehrstelle bei einem Schuhmachermeister stellt schließlich die Weichen: Der Lehrmeister vermittelt nicht nur Fachkenntnisse, sondern auch christliche Grundwerte und erkennt das kreative Talent seines Gesellen. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass Döring in Pirmasens in sechs Studiensemestern zum Schuhtechniker und Schuhdesigner ausgebildet wird und einen schulischen Abschluss ähnlich der Mittleren Reife nachholt. Die Fachschule schließt er mit einem Diplom als Modelleur (Schuhdesigner) ab. Sein Privatleben ist indes unausgeglichen. Als Heimkind war die Betreuung „auf Essen, Schlafen, Kleidung und bedingungslosen Gehorsam“ reduziert. „Ich hatte ein hohes Aggressionspotential in mir, das ich nicht abbauen konnte“, erinnert er sich. „Und einen großen Nachholbedarf, da ich zu lange in meiner Entwicklung fremdbestimmt worden war.“ Der junge Mann trifft die Entscheidung, sich „nicht mehr unterzuordnen“. 
Dörings Wunsch, Kunst oder Architektur zu studieren, scheitert an seinen finanziellen Möglichkeiten. So arbeitet er zunächst viele Jahre bei verschiedenen Schuhherstellern, auch in verantwortlichen Positionen. Fernweh packt ihn, gerne ergreift er Gelegenheiten, auch in anderen Ländern zu arbeiten: „Ich lernte die halbe Welt kennen.“ Einer seiner Heimatbesuche bringt Dörings Leben jedoch wieder einmal gehörig durcheinander. Der damals 30-Jährige hat eine Stelle bei einem Schuhproduzenten in Lagos, Nigeria, angetreten. Er hat sich gut eingearbeitet, alles läuft bestens, bis er einen Brief von seiner damaligen Freundin aus Deutschland erhält: Sie schreibt, dass sie schwanger ist. „Das war ein Bruch für mich, endlich verdiente ich nach der langen Ausbildungszeit gutes Geld, war in die Gesellschaft eingeführt, und ich merkte, das liegt mir.“ Noch nie im Leben, erinnert sich Döring, habe er so mit einer Entscheidung gerungen, doch ein Gedanke sei ihm damals nicht mehr aus dem Sinn gegangen: „Wenn meine Eltern zu mir gestanden hätten, wäre mir vielleicht vieles im Leben erspart geblieben. Ich wollte meinem Kind nicht das Gleiche zumuten.“ Der Schuhdesigner kehrt also nach Deutschland zurück, heiratet die Freundin, und Sohn Hagen kommt 1969 zur Welt. Schnell muss der junge Vater aber ernüchtert feststellen: „Mit dieser Frau werde ich nicht alt. Wir waren so gegensätzlich wie nur irgend möglich. Und ich war total bindungsunfähig, das hatte ich schon früher gemerkt.“ Was Beziehung bedeutet und wie man sie lebt, versteht er damals noch nicht, er handelt widersprüchlich und impulsiv, zieht „zu Hause aus und wieder ein“. Auf den Sohn wirkt sich sein Verhalten negativ aus. Seine Verhaltensweisen damals, meint Döring heute, seien Folgen und Defizite aus der Kinderheimzeit gewesen.

„Es wurde nicht nach Neigungen und Talenten gefragt, Hauptsache man kam irgendwo her.“

Gefängnis und innere Befreiung

Beruflich kann der Designer nicht klagen. Er geht für fünf Jahre nach Italien, doch insgeheim sucht er nach etwas Neuem. Ein Freund zeigt ihm schließlich einen der ersten Halogenstrahler, die auf den Markt kommen. „Das Licht sah super aus, das hat mich regelrecht emotionalisiert.“ Und dieses „klare Licht“ lässt ihn nicht mehr los. Er ist 40 Jahre alt, will nun als Quereinsteiger mehr aus seinem Interesse machen. Als Gaststudent an der technischen Universität in Berlin eignet Döring sich Fachwissen an, steigt aus der Schuhbranche aus und macht das Licht zum Beruf. Schließlich gründet er mit Partnern das „Lichtforum“ in München. Was Döring nicht ahnt: Wieder wird er eine intensive Lektion fürs Leben lernen müssen. Gerne verabredet sich der Beleuchtungsplaner in jenen Jahren zum Abendessen mit Architekten, ist oft mit dem Auto unterwegs, konsumiert regelmäßig Alkohol. Bei einer Polizeikontrolle ist sein Promille-Pegel am Steuer zu hoch – er verliert den Führerschein für neun Monate. Doch der Vorfall macht ihn nicht klug. Er trinkt wieder, fährt und wird erneut erwischt – Resultat: Der Führerschein ist für weitere zwei Jahre weg, und er bekommt eine dreimonatige Gefängnisstrafe auf Bewährung. Aber damit nicht genug: Döring wird ein drittes Mal von der Polizei gestoppt. Für den Richter ist nun „Schluss mit lustig“: Döring wird zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, zwei davon muss er absitzen. Eine Stunde Ausgang, 23 Stunden in der Zelle: „Ich konnte nicht mehr arbeiten, das war die Höchststrafe.“ Der Lichtdesigner wird „entschleunigt“, wie er sagt. Zum ersten Mal denkt er wirklich über den bisherigen Verlauf seines Lebens nach. „Ich merkte: Mensch, eigentlich hast du keinen guten Charakter. Es waren viele Defizite da, ich war schnell mit Unwahrheiten zur Hand, wenn es mir Vorteile brachte. Ich habe mein Fähnchen nach dem Wind gedreht, wollte immer glänzen.“ Schließlich kommt ihm das Kinderheim in den Sinn, in dem regelmäßig gebetet wurde. Und Döring wendet sich in der Stille der Zelle an Gott: „Herr, wenn es dich gibt, dann wirst du mich verändern und mir einen neuen Weg zeigen, den ich mit dir gehen kann.“

„Ich nahm richtig viele Schulden mit, doch ich hatte mich für Gott entschieden, er war mein Versorger.“

Schmerzlicher Verlust und neue Liebe

Wieder in Freiheit verändert sich das Leben des mittlerweile 46-Jährigen. Er bekommt über seine Nachbarin, die Christin ist, Anschluss an einen Gebetskreis und wird zu einer Veranstaltung mit der Evangelistin Kim Kollins eingeladen. Als diese ihn erblickt, sagte sie: „Ich habe gewusst, dass ich dich heute Abend hier sehe.“ Das, erinnert sich Döring, löst wirklich etwas in ihm aus. Ein halbes Jahr später, Ende 1989, entscheidet er sich, sein Leben „ganz in die Hände von Jesus zu legen“. Beruflich startet er neu durch. Er verlässt das Lichtforum und macht sich 1991 als Lichtplaner selbständig: „Ich nahm richtig viele Schulden mit, doch ich hatte mich für Gott entschieden und damit war er mein Versorger.“ Gleich im ersten Jahr erhält er so viele Aufträge, dass er alle Außenstände abtragen kann und das Geschäftsjahr mit einem Gewinn abschließt. Privat trifft Döring allerdings vorerst „eine Entscheidung ohne Gott“: Nachdem er sich 1989 von seiner ersten Frau hat scheiden lassen, beschließt er, nie wieder zu heiraten. „Ich habe mich darauf festgelegt, auch als Christ nie wieder eine Bindung einzugehen.“ Viele Jahre hält Döring daran fest.

Dass in seiner Lebensgeschichte Freud und Leid nah beieinander liegen, muss er 1995 schmerzlich erfahren: Sohn Hagen stirbt an einer Überdosis Drogen. „Das hat mich tief getroffen und mir das Herz gebrochen“, sagt er noch heute sehr bewegt. Andere Erlebnisse hätten ihm aber gezeigt, dass Gott, auch noch bevor er sich für ein Leben im Glauben entschied, seine Hand über ihm gehalten habe. So hat ihn einmal eine unglücklich geendete Liebesgeschichte beinahe in den Selbstmord getrieben, in letzter Minute wird er davon abgehalten: „Tiefe Resignation verbunden mit Versagensängsten waren mein ständiger Wegbegleiter. Beruflich war ich mit meinem Planungsbüro sehr erfolgreich, aber zwischen Herz und Seele stimmte die Balance nicht.“ In seinem Leben, weiß Döring heute, war dennoch viel Bewahrung. „Ich bin aus jeder bedrohlichen Situation wieder herausgekommen, Gott war am Wirken. Das macht die Beziehung zu ihm sehr lebendig.“ Die Frage, warum Gott so viel Leid in seinem Leben zugelassen hat, stellt er als 70-Jähriger nicht mehr. Er weiß: „Gott ist in den Schwachen mächtig. Er ist souverän und hat für mein Leben einen Plan. Er liebt mich so wie ich bin und verändert mich nach seinem Willen. Er hat mir Talente geschenkt, mit denen ich wuchern kann.“ 

Schließlich entsteht bei Döring sogar der Wunsch nach einer Partnerschaft auf einer geistlichen Basis wieder ganz neu. Der Wahlmünchner lernt über eine christliche Partneragentur seine heutige Frau, eine Österreicherin, kennen, die er nach einem halben Jahr heiratet. Erstaunlich ist dann: „Ich hatte nie wieder Bindungs- und Beziehungsprobleme.“ Später erfährt er, dass die Partnerschaftsagentur nur ganz kurze Zeit Bestand hatte. „So ist Gott“, sagt der Lichtplaner lachend. 1999 kommt schließlich die gemeinsame Tochter zur Welt. 

Döring hadert nicht mit seiner Vergangenheit. Er hat erfahren: „Gott hat mich noch nie enttäuscht.“ Heute schafft er sich mehr und mehr Freiraum, um seinerseits etwas für Gott zu tun. Seit 17 Jahren engagiert er sich für eine christliche Vereinigung von Geschäftsleuten als stellvertretender Chapterleiter in München und fährt mit zu Hilfseinsätzen, etwa in Malawi oder Armenien, um beim Aufbau von Chaptergründungen zu helfen. Und er sieht den Bogen, den Gott vom Heimkind bis heute gespannt hat: Döring ist angekommen, er ist „glücklich und zufrieden“. Zeitaufwändige Lichtplanungen von Großprojekten möchte er reduzieren, wohl aber Kirchen, historische Gebäude, Hotels und ähnliches gestalten. „Das Kribbeln ist noch da, das hält mich vital, aber ein neues Projekt muss mich heute besonders herausfordern.“