Wie ich dich liebe
Inspiration
Gar nicht so einfach, das in Worte zu kleiden. Wie liebt ein Mensch den anderen? Und warum? Besonders spannend wird das wohl außerhalb einer Liebesbeziehung, bei der man meistens meint, die Antwort läge auf der Hand. Was sie oft nicht tut. David Kröker wagt es, uns die Zusammenhänge zu erklären – und setzt dabei einen ganz bemerkenswerten Fokus.
Nach meinem elfjährigen pastoralen Dienst in der EFG Haiger sind wir als Familie im Sommer 2018 nach Euskirchen ins Neubaugebiet gezogen. In Haiger lebten wir auf dem Gelände des Missionswerkes DIGUNA e.V. Alle Nachbarn waren gläubige Christen. In Euskirchen fanden wir uns unter wildfremden Menschen wieder und bauten nach und nach Beziehungen zu unseren Nachbarn auf. Immer wieder fragten meine Frau und ich uns, ob wir diesen missionarischen Lebensstil auch dann leben würden, wenn wir nicht zur Gemeindegründungsarbeit berufen werden würden. Das ist eine theoretische Frage, die man nicht beantworten kann. Aber wir haben uns dann gesagt, dass es hoffentlich Zeit unseres Lebens immer und bei jeder neuen Aufgabe selbstverständlich bleibt, den Nächsten zu lieben. Und hier haben wir das Problem. Das höchste Gebot ist bekannt, aber die Umsetzung bleibt immer eine Herausforderung.
Tu es einfach
In Lukas 10,25ff fordert ein Gesetzeslehrer Jesus heraus und fragt: „Lehrer, was muss ich getan haben, um ewiges Leben zu erben?“ Jesus erwidert daraufhin: „Was steht in dem Gesetz geschrieben? Was liest du?“ Selbstsicher antwortet der Gesetzeslehrer: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Verstand und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Jesus bekräftigt dieses höchste Gebot mit den Worten: „Du hast recht geantwortet; tu dies, und du wirst leben.“ Doch plötzlich fragt der Mann: „Und wer ist mein Nächster?“ Warum weiß er nicht, wer sein Nächster ist? Er muss sich doch nur umschauen. Es gibt doch so viele Menschen auf dieser Erde, die Not leiden und Hilfe benötigen. Fällt ihm kein Mensch ein, der seine Hilfe gebrauchen könnte? Offensichtlich nicht. Und warum nimmt er nur Bezug auf den zweiten Teil des höchsten Gebotes? Vermutlich geht er davon aus, dass er dem ersten Teil mit der Liebe zu Gott von ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzer Kraft und mit ganzem Verstand nachkommt. Würde man ihn fragen, ob er Gott liebt, würde er es wohl unbedingt bejahen.
Befehl oder Folge?
Aber kann man Gott lieben und nicht wissen, wer ein Nächster ist? In Johannes 21 fragt Jesus Petrus drei Mal: „Liebst du mich?“ Drei Mal verweist Jesus nach der Antwort des Petrus darauf, die Lämmer zu weiden – und schafft damit einen Bezug zwischen Gottes Liebe und dem Dienst an Menschen. Am Kreuz von Golgatha demonstriert Jesus in herausragender Weise die Erfüllung des Doppelgebotes der Liebe. Er liebt seinen Vater, indem er ihm gehorsam ist bis zum Tod. Gleichzeitig beweist er die Liebe zu den Menschen, indem er sein Leben für sie hingibt.
Wenn ich bisher davon ausgegangen bin, dass meine Liebe zu Gott groß ist, sollte mir also auch ein Nächster einfallen, für den ich regelmäßig da sein kann, für den ich bete und dem ich konkrete Hilfe leiste. Muss ich aber lange überlegen, wer mein Nächster ist, zeigt das letztlich, dass meine Liebe zu Gott offensichtlich schwach ist oder fehlt. Wie kommt man nun zur echten Nächstenliebe? Reicht es, wenn man mit erhobenem Zeigefinger appelliert: „Liebe deinen Nächsten“? Ein deutsches Sprichwort lautet: „Lieben und Singen kann man nicht zwingen.“ Und tatsächlich, würde ein junger Mann einem Mädchen sagen „Liebe mich!“ – so würde sie gerade wegen dieser Art des Umgangs mit ihr die Flucht ergreifen. Es gibt also keinen Knopf, den ich drücken könnte, um Nächstenliebe zu bestellen und zu erhalten. Aber wie geht’s denn dann?
Für Jesus ist es ganz klar: „Tu dies, und du wirst leben“, sagt er dem Gesetzeslehrer. Jesus, der selbst das Leben ist, weiß, dass die Erfüllung des Doppelgebotes der Liebe zum wirklichen Leben führt. Und letztlich auch zum ewigen Leben. Wer also Interesse an einer höheren Lebensqualität in diesem Leben hat und ewig leben möchte, kommt an der Liebe zum Nächsten nicht vorbei. Zwei Dinge sind mir dabei wichtig:
„Es ist selbstverständlich, dass ein Handschuh aus sich heraus nichts tun kann, weil er kein Eigenleben führt.“
Die Sache mit dem Handschuh
Wir lieben, weil Gott uns zuerst geliebt hat (1. Johannes 4,19). Wir brauchen also den ersten unbewegten Beweger. Gott setzt uns in Bewegung, damit wir andere in Bewegung setzen können. Er liebt uns, sodass wir andere lieben können. Wenn Paulus die Christen in Rom zur Hingabe ermahnt (Römer 12,1), dann hebt er nicht einfach den moralischen Finger. Paulus erinnert daran, dass wir durch die Erbarmungen Gottes unser Wesen einsetzen sollen als ein „lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer“. Wer Gottes Liebe und sein Erbarmen persönlich erfahren hat, wird als Reaktion auf dieses Handeln Gottes sich auch selbst bereitwillig Gott zur Verfügung stellen. Ein kleines Beispiel mag das verdeutlichen: Es ist selbstverständlich, dass ein Handschuh aus sich heraus nichts tun kann, weil er kein Eigenleben führt. Er liegt schlaff und leblos da, bis eine Hand in ihn schlüpft und ihn „zum Leben erweckt“. Die Hand im Handschuh ist dabei für die Umwelt nicht sichtbar, sie ist ja drinnen. Der Handschuh selbst aber, weil er außen ist, wird gesehen. Niemand wird auf die Idee kommen, dem Handschuh Ehre zu erweisen. Alle Ehre bekommt der, der den Handschuh anzieht und mit ihm ein Meisterwerk schafft. Eine solche „Hingabe des Handschuhs an den, der ihn führt“, bezeichnet Paulus dann als vernünftigen Gottesdienst. Dann handelt Christus höchstpersönlich in und durch ihn. Und alles, was er tut, ist lebendig, heilig und Gott wohlgefällig. Es ist authentisch und wahrhaftig.
Auf diese Weise führte der Herr – ich der Handschuh, er die Hand – im September 2022 meinen direkten Nachbarn zum Heil und ein Jahr später den übernächsten Nachbarn. Dieser sagte mir anschließend: „Dadurch, dass du mich nicht aktiv missioniert hast, habe ich mich auf Jesus eingelassen.“ Selbstkritisch sagte ich: „Ich frage mich selbst, woher ich die Geduld hatte, dir fünf Jahre lang nachzugehen.“ Daraufhin antwortete er: „Das war wohl Gott in dir!“
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