Von vorn bis hinten

Leitartikel

Die einen reden gern über Liebe. Die anderen lieben. Wie zum Beispiel Mama Nompilo in Khayelitsha, von der Detlef Eigenbrodt erzählt. Oder der reiche Brite Studd, um den es hier auch geht. Und auch wenn Welten die beiden trennen, verbindet sie doch eins: Sie sind von vorn bis hinten motiviert – auch zum Opfer.

Als junger Mann hörte ich tief beeindruckt von Studds Lebensgeschichte. Charles Thomas Studd (1860–1931), Spitzensportler und Millionenerbe, erkennt am Krankenbett seines Bruders schlagartig, dass sportliche Anerkennung, Ruhm, Geld und sogar das Leben in kürzester Zeit vergehen können. Wenig später fällt ihm die Kampfschrift eines Atheisten in die Hände, in der die Frage nach echtem, konsequentem Christsein gestellt wird. C. T. Studd beschließt, alle Inkonsequenz hinter sich zu lassen, und beginnt das Wagnis eines Lebens der Hingabe an Gott. Nachdem er seine erfolgversprechende Karriere als Kricketspieler und Cambridge-Absolvent an den Nagel gehängt hat, wird er Missionar – zunächst in China, dann in Indien und Afrika. Sein Millionenvermögen verschenkt er. Auf abenteuerlichen Wegen erreicht er das Innere Afrikas, durchzieht malariaverseuchte Gebiete und begegnet Kannibalen. Menschen, die noch nie von Jesus Christus gehört haben, erfahren die einzigartige Nachricht des Evangeliums, und es entstehen einheimische Gemeinden. Neben zahllosen Rückschlägen und Schwierigkeiten erlebt C. T. Studd immer wieder Gottes Eingreifen. Prekären Situationen begegnet er mit Gottvertrauen, erstaunlicher Ausdauer – und Humor. Und er setzt seinem Leben dieses Motto: „Wenn Jesus Christus Gott ist und für mich starb, kann mir kein Opfer zu groß sein, um es ihm darzubringen.“

Kein Opfer zu groß

Was liegt da für eine Entschlossenheit in seinem Tun, was für eine Konsequenz, was für eine Hingabe! Studd hat nicht nur von dem geredet, was er tun könnte, sondern hat es getan. Manche haben das schon damals „ziemlich radikal“ genannt und damit den Kern der Sache ja durchaus auch getroffen. Er selbst hätte dieses Attribut bestimmt nicht als Beleidigung aufgefasst, wohl eher im Gegenteil. Neben ihm fallen mir reichlich weitere Männer und Frauen der Kirchen- und Missionsgeschichte ein, die bereit waren, ein aufopferungsvolles Leben zu führen, um Gott und Menschen zu dienen. Sie haben viel erreicht, viele inspiriert und motiviert, Initiativen und Werke gegründet, die noch heute ihren Dienst tun. So weit ist das alles in bester Ordnung. Wenn da nicht auch eine Dimension wäre, die in diesem ganzen Zusammenhang eine wesentliche Rolle spielt: Was meint Gott wohl, wenn er sagt, dass er Lust an der Liebe hat, aber nicht am Opfer? Hier die exakte Formulierung der Worte in Hosea 6,6 nach der Lutherübersetzung 2017: „Denn ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer.“ Und so liest sich das in der Übersetzung „Hoffnung für alle“: „Wenn jemand mir treu ist, so ist mir das lieber als ein Schlachtopfer. Und wenn jemand mich erkennen will, freut mich das mehr als jedes Brandopfer!“

Von Mensch zu Gott

Wie ist das also mit den Opfern? Das hier schreibt die Deutsche Bibelgesellschaft zur Erklärung dazu: 

„Als ‚Opfer‘ bezeichnet man eine Gabe, die Gott dargebracht wird. Das können Tiere oder Pflanzen, Duftstoffe wie Weihrauch oder auch Geschenke sein. Diese Gaben sind Zeichen des Danks oder der Bitte (2. Mose/Exodus 20,24). Das Opfer schafft Gemeinschaft des Opfernden mit Gott und mit den Menschen, die neben dem Opfernden zu einer Opferfeier eingeladen waren. 

(1) Ursprünglich brachten die Menschen Opfer dar, um einen Gott zu versorgen. Der Grundgedanke dahinter ist, dass die Menschen dazu erschaffen worden sind, um den Göttern zu dienen. Die Menschen sind verantwortlich für die Wohnung und Verpflegung der Götter. Deshalb bauen sie ihnen prächtige und wertvoll eingerichtete Tempel und bereiten ihnen täglich üppige Mahlzeiten zu. Oft wurden diese Mahlzeiten in einem gemeinsamen Festmahl verzehrt. Dabei stellte man sich vor, dass der Gott, dem das Opfer dargebracht wurde, am Festmahl teilnahm. Das Opfer war also eine Weise der Begegnung von Mensch und Gott. 

(2) In alttestamentlicher Zeit gab es eine Vielzahl von Opferarten und Anlässen für ein Opfer. Über die genaue Entstehung der verschiedenen Arten und die Vorstellungen, die damit verbunden waren, lässt sich nichts Sicheres sagen. Man kann aber die verschiedenen Opferarten einteilen in sogenannte blutige Opfer (Tieropfer) und unblutige Opfer (Pflanzenopfer). …“

„Der Opfernde folgt einer oft Jahrhunderte alten Tradition und Regel, um damit etwas zu erreichen, das ihm dient.“

Lust an der Liebe

Das Opfer hat also eine Absicht. Und es folgt einer Anweisung. Zwei bedeutsame Punkte, machen sie doch den ganzen Ritus in ihrer Konsequenz weder freiwillig noch neutral. Der Opfernde folgt einer oft Jahrhunderte alten Tradition und Regel, um damit etwas zu erreichen, das ihm dient. Ganz nach dem Motto: Ich gebe dir etwas, um dich milde zu stimmen. Und wenn du mir dann milde gestimmt bist, gibst du mir das, was ich will. Voilà. Nun, ich bin sehr sicher, dass das nicht der Motivation von zum Beispiel Charles Studd entsprach. Seine Opferbereitschaft hatte einen anderen Ansatz. Was hat Hosea noch gleich gesagt: „Ich habe Lust an der Liebe“, nach Luther, und: „wenn mir jemand treu ist“, nach der Hoffnung für alle. Hier geht es um Beziehung als grundlegendes Element und nicht um Anweisungen. Hier steht das Sichzueinander- hingezogen-Wissen im Vordergrund und nicht das Einhalten einer Regel. Das ordnet den Zusammenhang von Liebe und Opfer neu. 

Es ist jetzt sicher rund 20 Jahre her, dass ich Mama Nompilo kennenlernte. Damals war sie Teilnehmerin an einem Seminar, das ich in Khayelitsha unterrichtete, in einem der größten Townships am Westkap Südafrikas, in direkter Nachbarschaft zur schillernden Metropole Kapstadt. Mama Nompilo war zu der Zeit berufstätig, hatte ein kleines Haus, etwa in der Größe einer durchschnittlichen Doppelgarage, und pflegte dort auch ihre Mutter. Für ihre Verhältnisse war sie also privilegiert. Ein Haus aus Stein und nicht aus Blech, ein regelmäßiges Einkommen und ein gewisser Anspruch auf eine vermutlich überschaubare Altersversorgung. Bis zu diesem Seminar.

Nach Hause kommen

Später erzählte sie mir ihre Geschichte: „In direkter Nähe zu meinem Haus war eine kleine Klinik, in der HIV-positive Patienten kostenlose Medikamente bekamen. Das war ein großes Geschenk für viele, eine echte Erleichterung. Aber mir fiel zunehmend auf, dass diese Leute nicht gut aussahen, dass sie zum Teil kollabierten oder sich nur sehr schwach auf den Beinen halten konnten. Als ich einige von ihnen ansprach, sagten sie alle das Gleiche. Sie hatten nichts gegessen und vertrugen die starken Medikamente auf nüchternen Magen nicht. Das ließ mir keine Ruhe. Das konnte doch nicht sein, dass in meiner Nachbarschaft Menschen auf der Straße zusammenbrachen, weil sie nichts zu essen hatten! Mitten in diese Zeit hinein kamst du dann zu dem Seminar zu uns ins Township, lehrtest uns das Wort Gottes zu verstehen. Ich hatte den starken Eindruck, dass Gott mich immer wieder auf die Menschen in meiner Nachbarschaft aufmerksam machte. Also unterhielt ich mich mit ein paar anderen Frauen und wir schmiedeten einen Plan: Wir wollten dem Hunger begegnen! 

Ich hatte ja das Haus, darin konnten wir kochen und aus der Hintertür das Essen verteilen. Fleißige Hände gab es reichlich, Platz hatten wir, Bedürftige waren auch in Hülle und Fülle da. Wir mussten nur noch klären, wie wir an große Töpfe und Lebensmittel kämen. Am Ende war es wie so oft eine Frage des Geldes. Und wieder war mir, als würde Gott mir sagen, dass ich doch Geld hätte! Ja, meine Altersversorgung. Die könnte ich zum Teil oder ganz auflösen und zu Bargeld machen. Damit wären wir für den Anfang ausgerüstet. Aber damit wären meine Ansprüche auch fort. Davor hatte ich große Angst. Ich konnte doch nicht nur an die anderen denken, ich musste doch auch an mich selbst denken und an meine Mutter. Aber Gott bat mich, ihm zu vertrauen, er würde für mich da sein, mir geben, was ich brauche. Also löste ich das Geld aus und wir begannen zu kochen. Heute geben wir zwischen 350 bis 500 Mahlzeiten pro Tag aus, morgens meist an Kinder auf dem Weg zur Schule, mittags und abends eher an Erwachsene. Unser Dienst wächst, weil die Not wächst. Iza Ikhaya steht groß über der Tür, der Name unserer Arbeit. Iza Ikhaya bedeutet nach Hause kommen.“

„Ist das Opfer, das ich bringe, das du bringst, das Sie bringen, ist dieses Opfer inspiriert von aufrichtiger Liebe zu Gott und Mensch? Ist es rein?“

Tu, was du kannst!

Charles Studd hat geopfert und Mama Nompilo hat geopfert. Beide eint in ihrem Tun aber zunächst und als wesentlicher Antrieb die Liebe zu Gott. Sie folgten nicht der Idee, durch ihre Opfer etwas für sich zurückbekommen zu können. Sie folgten ihrer Beziehung zu Jesus, ihrer Liebe zu ihm, der Treue, die sie verband, und der Leidenschaft, die Gott in sie gelegt hatte. Leidenschaft für Menschen, die allein nicht zurechtkommen können. Bleibt die Frage an mich: Wie schaut es mit meiner Liebe zu Gott aus? Wie mit meiner Treue? Wann und wo versuche ich immer noch durch dieses oder jenes Opfer Einfluss bei Gott zu üben, mich beliebt zu machen und Pluspunkte zu sammeln? Glaube ich noch, dass ich durch das, was ich fortgebe, etwas zurückbekomme? Schließlich gibt es auch dafür geistliche Ideen – auf die will ich an dieser Stelle aber nicht weiter eingehen.

Ich will nur einfach fragen, zunächst mich und dann auch jeden anderen: Ist das Opfer, das ich bringe, das du bringst, das Sie bringen, ist dieses Opfer inspiriert von aufrichtiger Liebe zu Gott und Mensch? Ist es rein? Ist es frei von jeder persönlichen Erwartung, jeder vermeintlichen Pflichterfüllung? Entspringt es einer intakten und gesunden Beziehung zu Jesus? Ja? Dann machen Sie bitte unbedingt weiter, dann hör bitte nicht auf, tu und gib, was immer du kannst!