Der Andere und ich
Inspiration
Ihm wären fast die Worte im Hals stecken geblieben, als er einem in große Not geratenen Freund sagen wollte: „Ich bete für dich“ – und gleichzeitig begriff, dass das nicht ausreicht. Also nahm sich Markus Pfeil frei und machte sich auf den Weg, um vor Ort anzupacken. Und er betete trotzdem. Nach Eva Dittmanns Beitrag über die Liebe zu Gott geht’s hier um Nächstenliebe.
Wer seinem Nächsten Liebe erweisen will, muss zum Helfen bereit sein. Das steht so in der Bibel: „… dass sich unsere Liebe nicht in Worten und schönen Reden erschöpfen darf; sie muss sich durch unser Tun als echt und wahr erweisen.“ (1. Johannes 3,18) Wikipedia fasst es so zusammen: „Als Nächstenliebe wird ein helfendes Handeln für andere Menschen bezeichnet. ‚Liebe‘ beinhaltet hier jede dem Wohl des Mitmenschen zugewandte aktive, uneigennützige Gefühls-, Willens- und Tathandlung, nicht unbedingt eine emotionale Sympathie. Der ‚Nächste‘ kann jeder Mensch in einer konkreten Notlage sein, der einem begegnet.“
Ziel verfehlt
Beim Lesen einschlägiger Bibelstellen zum Thema Nächstenliebe ist mir wieder bewusst geworden, wie zentral die Nächstenliebe für ein gelingendes Leben ist und welch hohen Stellenwert sie hat. „Verständen wir den Wert und die Wichtigkeit dieser Tugend der Nächstenliebe: wir würden uns auf nichts anderes mehr verlegen“, sagte Teresa von Avila, und sie hat recht. Jesus stellt die Liebe zum Nächsten mit der Gottesliebe auf die gleiche Stufe. Es ist das höchste und wichtigste Gebot. Deshalb ist es auch die größte Verfehlung des Menschen, nicht zu lieben. Das griechische Wort, das im Neuen Testament am häufigsten für Sünde verwendet wird, bedeutet wörtlich Zielverfehlung. Wenn wir Gott und unseren Nächsten nicht lieben, dann haben wir unser Lebensziel verfehlt, zu dem wir bestimmt und geschaffen wurden.
Lektion gelernt
Allein die Tatsache, dass Gott uns bedingungslos angenommen und geliebt hat, befähigt uns, auch ihn zu lieben und unseren Nächsten wie uns selbst. Das regelt unsere Beziehung und unser Verhalten zu unserem Nächsten. Normalerweise handeln wir nach dem Prinzip: Wie du mir, so ich dir! „Wenn du nicht nett zu mir bist, dann bin ich auch nicht nett zu dir!“ Das neue Prinzip heißt: Wie Gott mir, so ich dir! Das zu leben, scheint aber nicht so einfach zu sein. Es bleibt ein lebenslanger Lernprozess. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass ich als junger Evangelist viel im Land herumgereist bin, um den Menschen von der Liebe Gottes zu erzählen, und gleichzeitig litt meine Familie mehr und mehr unter der Abwesenheit ihres Papas und Ehemanns. Das Ungleichgewicht entstand, weil ich die Bedürfnisse meiner Familie aus dem Blick verloren hatte. Heute weiß ich, dass Nächstenliebe zuhause anfängt und dass meine Frau und meine Kinder die Hauptprofiteure meines Glaubens sein müssen.
„Normalerweise handeln wir nach dem Prinzip: Wie du mir, so ich dir! Das neue Prinzip heißt: Wie Gott mir, so ich dir!“
Scheu überwunden
Schon die Jünger, die ihrerzeit mit Jesus unterwegs waren, bekamen eine praktische Ausbildung in Sachen Nächstenliebe, denn sie sollten Menschen für das Reich Gottes gewinnen. Sie hatten dabei Berührungsängste, scheuten davor zurück, mit den Kranken und den Schwachen der Gesellschaft in Kontakt zu kommen, von denen sie glaubten, dass sie an ihrem Schicksal selbst schuld seien. Die Jünger waren es nicht gewohnt, Umgang mit Menschen zu haben, die ein schlechtes oder moralisch zweifelhaftes Leben führten, wie zum Beispiel Prostituierte, Betrüger, Ehebrecher oder von Dämonen besessene Menschen. Selbst Kinder schienen sie zu nerven. Ein großes Problem hatten sie mit Heiden, an vorderster Stelle mit den Samaritern. Jesus dagegen hatte keine Berührungsängste. Er war die Nächstenliebe in Person. Am Ende ihrer Ausbildung, kurz vor seinem Tod, gab er den Jüngern „den vollkommensten Beweis seiner Liebe“. (Johannes 13,1) Er stand vom Abendessen auf und fing an, ihnen die Füße zu waschen. Eine Arbeit, die sonst nur Sklaven verrichteten. Das war die wohl intensivste Lektion für die Jünger. Petrus hielt es kaum aus, das über sich ergehen zu lassen, und wehrte zunächst ab. Jesus machte deutlich: „Ich bin nicht gekommen, um mir dienen zu lassen, sondern um den Menschen zu dienen.“
„Er wechselte nicht die Straßenseite, als er den hilfsbedürftigen Menschen sah. Er ließ sich emotional berühren und nahm sich Zeit.“
Richtig verhalten
Jesus erzählt einem Schriftgelehrten, der ihn gefragt hatte, wer denn sein Nächster sei, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Jesus wählt ausgerechnet einen Samariter aus. Das ist insofern bemerkenswert, als dieser zur „falschen Gemeinde“ gehörte und aus der Sicht der Juden nicht „richtig“ gläubig war. Aber er ist ein Beispiel für jemanden, der verstanden hatte, worum es Jesus geht, ein Beispiel für Nächstenliebe und für das Erlangen des ewigen Lebens. Bemerkenswert finde ich auch, dass Jesus auf die Frage „Wer ist mein Nächster?“ gar nicht antwortet – darüber ließe sich nämlich vortrefflich diskutieren. Dagegen wirft er die Frage auf: „Bist du ein Nächster?“ Diese Frage möchte ich mir selbst aufrichtig stellen und mich am Verhalten des barmherzigen Samariters orientieren. Er ging mit offenen Augen durch das Leben und wechselte nicht die Straßenseite, als er den hilfsbedürftigen Menschen sah. Er hatte Mitleid, ließ sich emotional berühren und ging auf die Situation ein. Er nahm sich Zeit. Dafür musste er seine Pläne ändern und seine Prioritäten neu ordnen. Mit dem, was er bei sich hatte, leistete er Erste Hilfe. Aber nicht nur das, er investierte Geld für die Nachbehandlung und stellte für eventuell weitere anfallende Kosten einen Blankoscheck aus.
Jemand sagte einmal: „Unsere Terminkalender und unsere Geldbörsen sind die Götzen unserer Zeit.“ Im Umgang damit zeigt sich unsere Liebe. Schon länger begleitet mich ein Zitat von Hugo Kükelhaus: „Wir müssen uns Zeit nehmen, wenn wir Gutes erreichen wollen. Die Zeit, die wir auf eine Sache verwenden, ist der Maßstab unserer Liebe zu ihr. Und ohne Liebe kann keine Arbeit gedeihen.“
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